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Archivfund belegt: Klimts "Fräulein Lieser" wurde in NS-Zeit entzogen - Archive finds prove Klimt's "Fräulein Lieser" was confiscated during the Nazi era

1998
1970
1945
Der Standard 20 February 2024
Olga Kronsteiner

Der Restitutionsvergleich für Gustav Klimts Bildnis "Fräulein Lieser" ist berechtigt. STANDARD-Recherchen zufolge wurde das Gemälde in der NS-Zeit entzogen


30 bis 50 Millionen Euro könnte Gustav Klimts "Fräulein Lieser" bei seiner Versteigerung erlösen. Sein privater Restitutionsvergleich ist laut STANDARD-Recherchen korrekt gewesen.

Es ist ein Jahrhundertfund, der die Forschungsgemeinschaft seit der Bekanntgabe Ende Jänner hinter den Kulissen weiterbeschäftigt: Gustav Klimts unvollendet gebliebenes und verschollen geglaubtes Porträt Fräulein Lieser (1917), das im April bei "im Kinsky" versteigert wird und zwischen 30 und 50 Millionen Euro einspielen soll.

Grundlage für den Verkauf ist ein privater Restitutionsvergleich zwischen dem gegenwärtigen Eigentümer des Bildes und den Erben der einstigen Auftraggeber, also entweder Adolf Lieser oder seine im Holocaust ermordete Schwägerin Henriette (Lilly) Lieser.

Welchem Familienzweig das Gemälde womöglich in der NS-Zeit entzogen wurde, ist nur eine der Fragen, die trotz intensiver Forschung seitens des Auktionshauses ungeklärt blieben. STANDARD-Recherchen werfen ein neues Licht auf diesen Aspekt und die Umstände, unter denen das Bild in der NS-Zeit verschwand. Den ersten entscheidenden Hinweis liefert Provenienzforscherin Monika Mayer, die sich seit vielen Jahren mit der Rekonstruktion der Herkunftsgeschichte von Klimt-Gemälden beschäftigt.

Korrespondenz entdeckt

Als Archivarin des Belvedere war sie mit Fräulein Lieser zwar nie befasst, verweist aus aktuellem Anlass aber auf einen Artikel, der samt Abbildung des Gemäldes am 24. November 1961 in der Tageszeitung Die Presseerschienen war. Unter dem Titel Ist dieses Bild wirklich von Klimt? wird über verschiedene Meinungen zur Autorschaft des (unsignierten) Bildes informiert, das "bei der Übersiedlung eines Geschäfts in der Innenstadt" entdeckt worden sei. Erwähnt wird Werner Hofmann, der sich "dafür interessiert, um es im zukünftigen Modernen Museum im Schweizergarten zu zeigen".


1961 berichtete die "Presse" über das Klimt-Bild.

Der österreichische Kunsthistoriker und Gründungsdirektor des Museums des 20. Jahrhunderts (bis 1969) hatte bereits zwei Jahre vor der Eröffnung 1962 (im 20er-Haus, heute Belvedere 21) mit dem Aufbau der Sammlung des späteren Mumok begonnen. Hofmann starb 2013 in Hamburg. Aber eventuell haben sich zeitnah zur damaligen Auffindung Korrespondenz oder andere Dokumente erhalten?

Fund im Mumok-Archiv

Im digitalisierten Aktenindex des Belvedere finden sich keine Anhaltspunkte dazu. Ende Jänner übermittelte DER STANDARD eine Anfrage an das Mumok-Archiv. Da dessen Bestände noch nicht digitalisiert sind, müssen infrage kommende Ordner von einer Mitarbeiterin manuell gesichtet werden. Das Warten lohnte sich: Es sind insgesamt sechs Briefe, die bemerkenswerten Aufschluss geben.

Sie datieren zwischen 27. November und 15. Dezember 1961 – ein Zeitraum, in dem Werner Hofmann das Gemälde persönlich in Augenschein genommen und mit dem damaligen Besitzer, einem gewissen Adolf Hagenauer, gesprochen hatte, um es als Leihgabe zu bekommen. Diese Bemühungen sollten sich allerdings zerstreuen.

In einem Brief an Hagenauer reagiert Hofmann angesichts der "Umstände, die seinerzeit dazu geführt haben, dass dieses Bild bei Ihnen deponiert wurde", verständnislos, "wenn Sie nun über diese Vorgeschichte hinwegsehen und das Kunstwerk so betrachten, als wäre es seinerzeit von Ihnen erworben worden". Weiters droht Hofmann die Finanzprokuratur über den "bekanntgewordenen Sachverhalt mit der Bitte Prüfung in Kenntnis zu setzen", da "erbloser Nachlass dem Staat heimfiele".

"Moralisch Denkende"

Noch deutlicher wird Hoffmann in einem an einen Bekannten der Familie Hagenauer, der in die damalige "Entdeckung" des Bildes involviert war, adressierten Schreiben. Demnach seien Versuche, "den derzeitigen ‚Besitzer‘ – sagen wir besser: den mit der Verwahrung Beauftragten – zu einer Leihgabe zu bewegen", fehlgeschlagen.

Dabei sei die Rechtslage keineswegs eindeutig, da es kein Schriftstück gebe, "aus dem die Übertragung der Besitzrechte" an die Familie Hagenauer hervorgehe. Und weiter: "Die Tatsache, dass das Bild aus jüdischem Besitz stammt und dass seine Besitzerin in den Gaskammern umgekommen ist, scheidet für den rechtlich und moralisch Denkenden die Möglichkeit aus, das Bild zu veräußern oder dem Vermögen der Familie einzugliedern."

Damit ist ein Entzug in der NS-Zeit und die über Hagenauer an Hofmann überlieferte Identität der damaligen Besitzerin erwiesen: nicht Silvia Lieser, Witwe nach Adolf Lieser und Mutter von Margarethe verehelichte De Gelsey, die im Juni 1938 in Budapest an Leukämie starb; sondern Lilly Lieser, die im Jänner 1942 zuerst ins Ghetto nach Riga deportiert und Anfang November 1943 in Auschwitz vergast worden war.

Aber wer war Adolf Hagenauer? Er war der Spross einer von seinem Großvater 1873 gegründeten Delikatessenhandlung an der Adresse Tuchlauben 4, die sich auf Importe aus England oder Frankreich spezialisiert hatte und auch als k. k. Hoflieferant firmierte. Nach dem Tod seines Vaters 1943 wurde er Inhaber des Familienbetriebs.

Eingefrorenes Vermögen

Zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nationalsozialisten war er dort Geschäftsführer. Seinem im Österreichischen Staatsarchiv erhaltenen Antrag auf eine NSDAP-Mitgliedskarte im Mai 1938 zufolge war er außerdem seit 16. Juli 1933 illegales Parteimitglied. Ob er das Klimt-Bild anstelle einer Zahlung für Lebensmittel übernahm, muss eine Mutmaßung bleiben.

Jedenfalls war Lilly Liesers Vermögen nach dem "Anschluss" eingefroren worden. Aus den Erlösen der zwangsweisen Verkäufe ihrer Liegenschaften, darunter das Palais in der Argentinierstraße 20 sowie das benachbarte Wohnhaus 20a, musste sie Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe abführen. Bis zu ihrer Deportation stand ihr fast vier lange Jahre kaum Bargeld zur Verfügung. Laut einer ihrer ehemaligen Mieterinnen habe Lieser in dieser Zeit vom Verkauf ihrer Habseligkeiten gelebt.

In den Akten der Rückstellungsverfahren wird weiters ein Zeuge erwähnt, der von Mitte 1939 bis Ende Dezember 1941 Liesers Diener gewesen sei: ein gewisser Hans Jürka, bei dem es sich um Adolf Hagenauers Schwager gehandelt haben dürfte. Damit ist eine Verbindung zu Lilly Lieser dokumentiert.

Schreibfehler

Einen Hinweis auf diesen Familienzweig hatten die Kunsthistoriker schon seit Jahrzehnten, genauer seit dem ersten Klimt-Werkverzeichnis, das 1967 von Fritz Novotny, damals Direktor des Belvedere, und Johannes Dobai publiziert wurde.

Die nachfolgenden Autoren Alfred Weidinger (2006) und Tobias Natter (2012, 2017) haben die historischen Besitzerangaben zu Fräulein Lieser einfach übernommen, ohne sie je zu prüfen. Andernfalls hätte ihnen der Schreibfehler auffallen müssen: "Wien, Lieser-Lankiewits" vermerken sie als erste Provenienz einhellig, tatsächlich sollte der zweite Name aber "Mankiewicz" lauten.

Dobai bezog sich dabei wohl auf Ida Mankiewicz, die im September 1942 aus der Krankenabteilung des Altersheims des jüdischen Ältestenrats in der Seegasse nach Theresienstadt deportiert wurde, wo sie im Dezember 1943 umkam. Sie war eine ältere Schwester von Lilly Lieser und die Großmutter des Opernkenners Marcel Prawy.

English translation

The restitution settlement for Gustav Klimt's portrait "Fräulein Lieser" is justified. According to Der Standard's research, the painting was confiscated during the Nazi era


It is a find of the century that has kept the research community busy behind the scenes since it was announced at the end of January : Gustav Klimt's unfinished and thought-to-be-lost portrait Fräulein Lieser (1917), which will be auctioned off at "im Kinsky" in April and is estimated at between 30 and 50 million euros.

The basis for the sale is a private restitution settlement between the current owner of the picture and the heirs of the former clients, i.e. either Adolf Lieser or his sister-in-law Henriette (Lilly) Lieser, who was murdered in the Holocaust.

Which branch of the family may have had the painting stolen during the Nazi era is just one of the questions that remained unanswered despite intensive research by the auction house. Der Standard's research sheds new light on this aspect and the circumstances under which the painting disappeared during the Nazi era. The first decisive clue is provided by provenance researcher Monika Mayer, who has been working on reconstructing the story of Klimt paintings for many years.

Correspondence discovered

As the archivist at the Belvedere, she was never involved with Fraulein Lieser, but for current reasons she refers to an article that appeared in the daily newspaper Die Presse on November 24, 1961, including an image of the painting. Under the title Is this picture really by Klimt? the readers are informed about various opinions on the authorship of the (unsigned) picture, which was discovered "when a shop was moving in the city centre". Werner Hofmann is mentioned, who is “interested in it in order to show it in the future Modern Museum in the Schweizergarten”.

The Austrian art historian and founding director of the Museum of the 20th Century (until 1969) had already started building up the collection of what would later become Mumok two years before it opened in 1962 (in the 20er-Haus, now Belvedere 21). Hofmann died in Hamburg in 2013. But perhaps correspondence or other documents were preserved shortly after the discovery?

Found in the Mumok archive

There is no evidence of this in the Belvedere's digitized file index. At the end of January, Der Standard sent a request to the Mumok archive. Since its holdings have not yet been digitized, the folders in question must be viewed manually by an employee. The wait was worth it: there are a total of six letters that provide remarkable information.

They date between November 27 and December 15, 1961 - a period in which Werner Hofmann personally examined the painting and spoke to the then owner, a certain Adolf Hagenauer, in order to get it on loan. However, these efforts were to dissipate.

In a letter to Hagenauer, Hofmann reacts with incomprehension in view of the "circumstances that led to this picture being deposited with you," "if you now ignore this history and look at the work of art as if it had been acquired by you at the time been". Furthermore, Hofmann threatens to inform the financial prosecutor's office about the "facts that have become known and to request that they be examined" because "heirless estate would fall back into the state."

“Moral thinkers”

Hoffmann is even clearer in a letter addressed to an acquaintance of the Hagenauer family who was involved in the "discovery" of the picture. According to this, attempts “to persuade the current ‘owner’ – let’s say: the person responsible for its custody – to lend the item on loan” have failed.

The legal situation is by no means clear, as there is no document “from which the transfer of ownership rights” to the Hagenauer family emerges. And further: "The fact that the picture comes from Jewish ownership and that its owner died in the gas chambers excludes the possibility of legally and morally thinking people selling the picture or incorporating it into the family's assets."

This proves a deprivation during the Nazi era and the identity of the owner at the time, which was passed down to Hofmann via Hagenauer: not Silvia Lieser, widow after Adolf Lieser and mother of Margarethe De Gelsey, who died of leukemia in Budapest in June 1938; but Lilly Lieser, who was first deported to the ghetto in Riga in January 1942 and gassed in Auschwitz at the beginning of November 1943.

But who was Adolf Hagenauer? He was the offspring of a delicatessen shop founded by his grandfather in 1873 at Tuchlauben 4, which specialized in imports from England and France and also operated as a purveyor to the Court. After his father's death in 1943, he became the owner of the family business.

Frozen assets

At the time the National Socialists came to power, he was managing director there. According to his application for a NSDAP membership card in May 1938, which was preserved in the Austrian State Archives, he had also been an illegal Party member since July 16, 1933. Whether he took over the Klimt picture in lieu of payment for food remains a matter of conjecture.

In any case, Lilly Lieser's assets were frozen after the "Anschluss". She had to pay Reich flight tax and Jewish property tax from the proceeds of the forced sales of her properties, including the palace at Argentinierstrasse 20 and the neighboring residential building at 20a. By the time she was deported, she had hardly any cash at her disposal for almost four long years. According to one of her former tenants, Lieser lived by selling her belongings during this time.

The files of the restitution proceedings also mention a witness who was Lieser's servant from mid-1939 to the end of December 1941: a certain Hans Jürka, who was probably Adolf Hagenauer's brother-in-law. This documents a connection to Lilly Lieser.

Typo

Art historians have had a reference to this branch of the family for decades, more precisely since the first Klimt catalogue raisonné, which was published in 1967 by Fritz Novotny, then director of the Belvedere, and Johannes Dobai.

The following authors Alfred Weidinger (2006) and Tobias Natter (2012, 2017) simply adopted the historical owner information about Fräulein Lieser without ever checking them. Otherwise they would have noticed the spelling mistake: they unanimously noted "Vienna, Lieser-Lankiewits" as the first provenance, but in fact the second name should have been "Mankiewicz".

Dobai was probably referring to Ida Mankiewicz, who was deported in September 1942 from the hospital ward of the Jewish Elders' Council retirement home in Seegasse to Theresienstadt, where she died in December 1943. She was an older sister of Lilly Lieser and the grandmother of the opera connoisseur Marcel Prawy.



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