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Der Rosengart-Komplex - The Rosengart Complex

1998
1970
1945
041 4 February 2022
Von Giulia Bernardi

Die Sammlung Rosengart feiert dieses Jahr Jubiläum. Picasso und Klee gelten nach wie vor als Kassenschlager – aber wie gut ist die Institution selbst gealtert? Eine Einordnung in den aktuellen Diskurs der Provenienzforschung – oder eher der Versuch eines Einblicks hinter die steinerne Fassade.

Braque, Léger, Picasso, Miró, Klee. Die Namen schlängeln sich in grossen Lettern entlang der Fassade der Sammlung Rosengart, die seit der Eröffnung des Museums im Jahr 2002 öffentlich zugänglich ist. Die Künstler prägten nicht nur den männlichen Kanon der Kunstgeschichte, sondern über weite Strecken auch die Sammlung. Sie beherbergt rund 300 Exponate aus der klassischen Moderne, mit einem Schwerpunkt auf Pablo Picasso und Paul Klee. Aber auch Künstler aus dem 19. Jahrhundert sind vertreten, darunter etwa Claude Monet oder Paul Cézanne.

Die Sammlung geht auf den jüdischen Kunsthändler Siegfried Rosengart zurück, der 1920 seine erste Galerie in Luzern eröffnete. Seine Tochter Angela wurde schon im Alter von 16 Jahren involviert; gemeinsam mit ihrem Vater reiste sie viel und lernte jene Künstler kennen, die später in die Sammlung eingehen sollten. Dies wird anhand verschiedener Schwarz-Weiss-Fotografien deutlich, die im Museum zu sehen sind. Nach dem Tod ihres Vaters Mitte der 1980er-Jahre übernahm Angela Rosengart schliesslich die Galerie.

Fragen nach Rekontextualisierung
Aus den erworbenen Werken wuchs nach und nach eine Sammlung heran, worauf Angela Rosengart 1992 die gleichnamige Stiftung gründete. Die darin enthaltenen Werke werden weder verkauft noch ausgeliehen. «Ich wollte, dass das Gesicht, das ich der Sammlung gegeben habe, gewahrt bleibt», sagte sie im Gespräch mit «NZZ Standpunkte» im Jahr 2008. Auch die Platzierung in den Ausstellungsräumen soll sich nicht verändern, so die Stifterin.

Wie neue Kontextualisierungen innerhalb des statisch angelegten Museums stattfinden, darüber gibt das Vermittlungsprogramm auf der Website wenig Aufschluss. In Hinblick darauf stellt sich etwa die Frage, wie heute mit einer Sammlung umzugehen ist, die stellvertretend für den westlich und männlich geprägten Kanon steht, zu dem sich jene, die als Künstlerinnen galten, stets verhalten mussten.

Auch die Schweiz war während des Zweiten Weltkriegs ein Umschlagplatz für gestohlene Kulturgüter. Erwähnt wird in der Studie auch die Galerie Rosengart, die am Verkauf von Raubkunst beteiligt war.

 Auch die aktuelle Debatte um das Thema der Provenienzforschung, die etwa im Rahmen der Sammlung von Emil G. Bührle im Kunsthaus Zürich verhandelt wird, stellt die Frage einer Rekontextualisierung in den Raum. Dass sich in der Sammlung «keine fragwürdigen Stücke» befinden, sagte Angela Rosengart im Jahr 2016 gegenüber «zentralplus». Auf Anfrage, ob dies nach wie vor der aktuelle Stand sei oder ob es Berichte von externen und unabhängigen Expert:innen gäbe, entschied Angela Rosengart nach einem längeren Gespräch, ihre Aussagen zurückzuziehen. Diese Reaktion lässt vermuten, dass es sich dabei um eine Selbstdeklaration handelt. Eine der wenigen Hinweise über den Bestand der Sammlung gibt das bereits erwähnte Gespräch mit «NZZ Standpunkte». Dieses lässt vermuten, dass einige Werke direkt von den Künstlern erworben wurden, darunter etwa von Picasso. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Provenienz anderer Bilder, etwa jenen aus dem 19. Jahrhundert, ebenfalls abgeklärt wurde.

Dass Fragen der Provenienz auch für die Schweiz relevant sind, verdeutlichte Thomas Buomberger in seiner Studie «Raubkunst – Kunstraub», die bereits 1998 erschien. Darin weist der Historiker darauf hin, dass sich Kunstraub nicht nur in Deutschland und den besetzen Ländern ereignete; auch die Schweiz war während des Zweiten Weltkriegs ein Umschlagplatz für gestohlene Kulturgüter. Erwähnt wird in der Studie auch die Galerie Rosengart, die am Verkauf von Raubkunst beteiligt war. Mit dem Begriff der «Raubkunst» wird auf Werke aus jüdischem Besitz verwiesen, die während der NS-Zeit konfisziert wurden oder aus behördlichem Zwang verkauft werden mussten. Wird festgestellt, dass eine Zwangslage der Verkäufer:innen ausgenutzt wurde oder der Preis weit unter dem Marktwert lag, gilt das Werk als restitutionswürdig. Allerdings kommt es hier auf die Prüfung des einzelnen Falles an. Die international gebräuchliche Definition, die Raub- und Fluchtkunst umfasst, lautet «NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut».

Die Anfrage, ob die Bestände der Sammlung Rosengart dennoch offengelegt werden könnten, um mehr Transparenz zu schaffen, lässt Angela Rosengart unkommentiert. 

Raubkunst in Luzern?
In seiner Studie erwähnt Thomas Buomberger unter anderem «Nature morte à la corbeille de fruits» (1927) von Georges Braque als Beispiel von Raubkunst. Das Bild gehörte dem jüdischen Sammler Alphonse Kann und wurde 1940 durch den Einsatzstab des Reichsleiters Alfred Rosenberg konfisziert. Danach erwarb es der Luzerner Auktionator und Kunsthändler Theodor Fischer für 4000 Franken, bot es 1942 für 12 000 Franken dem Basler Kunsthändler Willi Raeber an, der es einen Monat später für 15 000 Franken Siegfried Rosengart gab. Dieser verkaufte es anschliessend für 18 400 Franken an eine Privatperson. 1949 wurde das Bild dem Estate von Alphonse Kann in London restituiert. «Viele Raubbilder haben etliche Male die Besitzer:innen gewechselt, woran die involvierten Kunsthändler:innen verdient haben», sagt Thomas Buomberger. «Es stellt sich die Frage, wie die Sammlung heute damit umgeht, dass Siegfried Rosengart von solchen Verkäufen bewusst oder unbewusst profitierte.»

Dass in der Schweiz zu Unrecht entwendete Kulturgüter zirkulierten, verdeutlicht auch die Auktion, die 1939 in Luzern stattfand. Dort versteigerte Theodor Fischer insgesamt 125 Werke aus deutschen Museen, die als «entartete Kunst» bezeichnet wurden. Den Auftrag, die Werke zu verkaufen, hatte er von der deutschen Verwertungskommission erhalten.

(Un)verantwortungsvoller Umgang
Dass auch Schweizer Institutionen ethisch in der Verpflichtung stehen, aktiv Provenienzforschung zu fördern und allfällige Restitutionen in die Wege zu leiten, wurde in den «Washington Principles» von 1998 festgelegt. Diese wurden von 44 Ländern unterzeichnet, darunter von der Schweiz. Allerdings sind private Sammlungen rechtlich davon ausgenommen.

Die Frage, ob die Bestände der Sammlung Rosengart dennoch offengelegt werden könnten, um mehr Transparenz zu schaffen, lässt Angela Rosengart unkommentiert. Dieser Reaktion steht Thomas Buomberger kritisch gegenüber, schliesslich gäbe es viele Dokumente, die Aufschluss über die Sammlung geben würden. «Das Archiv war immer das Kapital von Kunsthändler:innen. Es gab nicht nur Auskunft über Transaktionen, sondern auch über die Vorlieben der jeweiligen Kund:innen.»

Das Gespräch mit Angela Rosengart wurde am 13. Januar 2022 in Luzern geführt. Danach entschied sich die Stifterin, ihre Aussagen zurückzuziehen. Die Korrespondenz liegt der Redaktion vor. Und so stellt sich die Frage: Braucht es nicht mehr, um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte zu finden? Diese Verantwortung liegt nicht zuletzt bei Stadt und Kanton, die das Museum finanzieren. Wie hoch die Subventionen proportional zu den restlichen Einnahmen sind, darüber gab die Sammlung Rosengart keine Auskunft. Sollten diese einen substanziellen Beitrag ausmachen, müsste die Institution als öffentliches Museum bezeichnet werden, das den «Washington Principles» unterliegt.

English translation:

The Rosengart Collection celebrates its anniversary this year. Picasso and Klee are still considered box office hits – but how well has the institution itself aged? A classification in the current discourse of provenance research - or rather an attempt to gain insight behind the stone facade.

Braque, Leger, Picasso, Miró, Klee. The names meander in large letters along the façade of the Rosengart Collection, which has been open to the public since the museum opened in 2002. The artists not only shaped the male canon of art history, but also the collection to a large extent. It houses around 300 exhibits from classical modernism, with a focus on Pablo Picasso and Paul Klee. But artists from the 19th century are also represented, including Claude Monet and Paul Cézanne.

The collection goes back to the Jewish art dealer Siegfried Rosengart, who opened his first gallery in Lucerne in 1920. His daughter Angela became involved at the age of 16; She traveled a lot with her father and got to know the artists who would later go into the collection. This is made clear by the various black and white photographs that can be seen in the museum. After the death of her father in the mid-1980s, Angela Rosengart finally took over the gallery.

Questions about recontextualization
The acquired works gradually grew into a collection, after which Angela Rosengart founded the foundation of the same name in 1992. The works contained therein are neither sold nor lent. "I wanted the face that I gave the collection to remain intact," she said in an interview with "NZZ standpoints" in 2008. The positioning in the exhibition rooms should also not change, according to the founder.

The educational program on the website provides little information on how new contextualisations take place within the static museum. In view of this, the question arises of how to deal with a collection that is representative of the western and male-dominated canon, to which those who were considered female artists always had to relate.

Switzerland was also a transshipment point for stolen cultural assets during the Second World War. The study also mentions the Rosengart Gallery, which was involved in the sale of looted art.

The current debate on the topic of provenance research, which is being discussed in the context of the Emil G. Bührle collection in the Kunsthaus Zurich, also raises the question of recontextualization. In 2016, Angela Rosengart told "zentralplus" that there were "no questionable pieces" in the collection. When asked whether this was still the current status or whether there were reports from external and independent experts, Angela Rosengart decided after a lengthy discussion to withdraw her statements. This reaction suggests that this is a self-declaration. One of the few clues about the existence of the collection is provided by the conversation with “NZZ standpoints” mentioned above. This suggests that some works were acquired directly from the artists, including Picasso.

Thomas Buomberger made it clear that questions of provenance are also relevant for Switzerland in his study “Looted art – art robbery”, which was published in 1998. In it, the historian points out that art theft did not only occur in Germany and the occupied countries; Switzerland was also a transshipment point for stolen cultural assets during the Second World War. The study also mentions the Rosengart Gallery, which was involved in the sale of looted art. The term "looted art" refers to works belonging to Jews that were confiscated during the Nazi era or had to be sold due to official coercion. If it is determined that a predicament of the seller was exploited or the price was far below the market value, the work is considered worthy of restitution. However, it depends on the examination of the individual case. The internationally used definition, which includes looted and refugee art, is “cultural property confiscated as a result of Nazi persecution”.

Angela Rosengart does not comment on the question as to whether the holdings of the Rosengart Collection could nevertheless be disclosed in order to create more transparency. 

Looted art in Lucerne?
In his study, Thomas Buomberger mentions Georges Braque's "Nature morte à la corbeille de fruits" (1927) as an example of looted art. The picture belonged to the Jewish collector Alphonse Kann and was confiscated in 1940 by the task force of Reichsleiter Alfred Rosenberg. It was then acquired by the Lucerne auctioneer and art dealer Theodor Fischer for 4,000 francs, and in 1942 offered it to the Basel art dealer Willi Raeber for 12,000 francs, who gave it to Siegfried Rosengart a month later for 15,000 francs. He then sold it to a private individual for CHF 18,400. In 1949 the painting was restituted to the Alphonse Kann estate in London. "Many robbed images have changed hands several times, which is what the art dealers involved have made a profit from," says Thomas Buomberger. "The question comes up,

The fact that unjustly stolen cultural assets circulated in Switzerland is also illustrated by the auction that took place in Lucerne in 1939. There Theodor Fischer auctioned a total of 125 works from German museums that were described as "degenerate art". He had received the order to sell the works from the German exploitation commission.

(Un)responsible handling
The fact that Swiss institutions also have an ethical obligation to actively promote provenance research and initiate any restitutions was laid down in the 1998 Washington Principles. These were signed by 44 countries, including Switzerland. However, private collections are legally exempt from this.

Angela Rosengart does not comment on the question of whether the holdings of the Rosengart Collection could nevertheless be disclosed in order to create more transparency. Thomas Buomberger is critical of this reaction, after all there are many documents that would provide information about the collection. «The archive has always been the capital of art dealers. There was not only information about transactions, but also about the preferences of the respective customers.»

The conversation with Angela Rosengart was held on January 13, 2022 in Lucerne. The founder then decided to withdraw her statements. The correspondence is available to the editors. And so the question arises: doesn't it take more to find a responsible way of dealing with history? Last but not least, this responsibility lies with the city and canton, which finance the museum. The Rosengart Collection did not provide any information on how high the subsidies are in proportion to the remaining income. If these make a substantial contribution, the institution would have to be described as a public museum subject to the Washington Principles.

 

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