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NS-Raubkunst: Restitution fühlen

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1945
Deutsche Welle 18 February 2022
Julia Hitz

Nazi-Raubkunst ist ein Politikum - noch heute. Ein neues Projekt in Berlin und München will die Geschichten von jüdischen Sammlerinnen und Sammlern multimedial erzählen. Es sind Geschichten, die schmerzen.

Gustav Klimts Gemälde "Adele Bloch-Bauer"

Fragen rund um Restitution sind in aller Munde, nicht nur wenn es um Nazi-Raubkunst geht. Dass es mit ihrer Aufklärung auch im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert nicht vorbei ist, hat der Fall Gurlitt klar gemacht. Doch was ist mit den Geschichten hinter den Gemälden, Zeichnungen und Skizzen? Was ist mit den Menschen?

Ein neues Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen will hier eine Lücke schließen und die Geschichten einiger Restitutionen in ihrer menschlichen Dimension erzählen. "Wir machen seit 20 Jahren Provenienzforschung, helfen bei Restitutionen oder stoßen sie an", sagt Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, im DW-Gespräch. "Doch was zu wenig vermittelt bleibt, ist die große emotionale Tragweite dieser Prozesse."

Archiv der vergessenen Schicksale

30 Fälle sollen also innerhalb der drei Jahre Projektlaufzeit filmisch aufbereitet werden, 30 Geschichten, die von den Kunstwerken und ihren jüdischen Besitzerinnen und Besitzern erzählen. Sie sollen auch ihren Weg durch die Hände von Kollaborateurinnen und Kollaborateuren oder Unwissenden nachvollziehen und ihren Wert für die Besitzerinnen und Besitzer sowie Nachfahren beleuchten. Im Idealfall enden die Geschichten mit der Restitution.

Für das Projekt, das ein junges Publikum erreichen will, kooperieren die beiden großen Kunstinstitutionen mit dem Bayerischen und dem Berliner Rundfunk. "Es ist ein Schnittstellenprojekt, das kunsthistorische Forschung und mediale Vermittlungskompetenz vereinen muss", so Ingolf Kern, Kommunikationsdirektor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gegenüber DW. Mit einer Mediathek sollen die Geschichten Museumsbesucherinnen und -besuchern sowie Interessierten zugänglich gemacht werden.

Grausame Schicksale, schleppende Aufarbeitung 

Die Geschichten der jüdischen Sammlerinnen und Sammler sind oft kaum bekannt. Die Gemälde, die mit ihnen assoziiert sind, aber sehr wohl: Etwa das goldene Porträt der Adele Bloch-Bauer von Gustav Klimt, die "Berliner Straßenszene" von Ernst Ludwig Kirchner oder die "Justitia" von Carl Spitzweg. Die Geschichten hinter den Bildern erzählen von Verfolgung, Enteignung, Ermordung.


Das Original: Adele Bloch-Bauer um 1920 in Wien

Der Betrieb des österreich-tschechischen Zuckerfabrikanten und Kunstliebhabers Ferdinand Bloch-Bauer etwa wurde "arisiert", er verarmte ab 1939 im Schweizer Exil und starb vereinsamt kurz nach Kriegsende. Die Familie Hess hatte eine Schuhfabrik in Erfurt und besaß die wohl beste Sammlung an deutschen Expressionisten. Tekla Hess und ihr Sohn Alfred überlebten den Krieg in ärmlichen Verhältnissen im Londoner Exil, große Teile der Sammlung wurden verkauft. Ihre beiden Schwägerinnen und Cousine Olga wurden von den Nazis in Theresienstadt ermordet.

Eine Frage der Gerechtigkeit


Die "Justitia" von Carl Spitzweg

Die "Justitia" war Teil der kleinen Sammlung von dem jüdischen Kaufmann Leo Bendel, der - im polnischen Strzyzow geboren - nach immer stärker werdenden Repressalien 1937 gemeinsam mit seiner Frau Berlin Richtung Wien verlassen hatte. Hier veräußerte er im selben Jahr notgedrungen - und unterpreisig - zwei Spitzweg-Gemälde. Die "Justitia” wurde von einer Ankäuferin der Linzer Führersammlung erworben, Leo Bendel wurde aber nicht als "nicht-arisierter Ursprung" vermerkt. So kam es, dass das Bild nach dem Krieg als unbedenklich eingestuft und 1961 dem Bundespräsidialamt übergeben wurde. Das Gemälde hing bis 2007 in der Villa Hammerschmidt in Bonn, unter den Augen der deutschen Bundespräsidenten. Danach wurde es auf Betreiben und auf Grundlagen von Recherchen der Erben restituiert.

Leo Bendel wurde 1939 von der Gestapo als polnischer Jude verhaftet, misshandelt und letztlich ins KZ Buchenwald deportiert. Eine Gruppe von Menschen wurde hier in einen abgezäunten Teil des KZs, oberhalb des jüdischen Blocks, zusammengepfercht. Direkt neben dem Appellplatz wurden hier Alte und Schwache, die nicht mehr zum Appell erscheinen konnten, dem Sterben überlassen. Es wurde der Ort der ersten vorsätzlichen Massentötung von Juden und Polen im KZ Buchenwald. In den Totenbüchern findet sich auch der Name Leo Bendel: Er starb am 30. März 1940 um 2.35 Uhr morgens an "Altersschwäche". 

Die Washingtoner Erklärung und die Provenienzforschung

Die Washingtoner Prinzipien, die 1998 mit einer gemeinsamen Erklärung von Deutschland und den USA anerkannt wurden, haben den Rahmen geschaffen, mit dem Nazi-Raubkunst seitdem behandelt wird. In ihnen verpflichtet sich Deutschland, seine Kunstwerke zu untersuchen und Raubkunst zu identifizieren bzw. zu der Aufklärung beizutragen. Es war eine Stunde Null für den Umgang mit NS-Raubkunst.


Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen

Doch die Dinge erzählen ihre Geschichten nicht von alleine. Die Kunstwelt prüft seitdem (mal mehr, mal weniger engagiert, in manchen Fällen auch gar nicht) ihre Bestände. Provenienzforschung - historische Forschung an den Objekten, zu ihnen überlieferten Dokumenten oder Menschen, die sie besaßen oder veräußerten - ist komplex. "Wir sprechen hier von insgesamt schätzungsweise 600.000 Kunstwerken, das sind riesige Dimensionen", führt Bernhard Maaz aus. Auch wenn sich viel getan habe, ist Provenienzforschung oft kleinteilige, langwierige Arbeit. "Denn jeder Fall ist ein Einzelfall", so Maaz. "Das wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen."

Die drei Pinakotheken und 20 Zweiggalerien umfassenden Bayerischen Staatsgemäldesammlungen konnten seit 1998 25 Werke aus 17 Sammlungen restituieren. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat seit 1999 mehr als 50 Restitutionsbegehren bearbeitet und dabei mehr als 350 Kunstwerke und rund 2000 Bücher an die Berechtigten zurückgegeben. Darunter waren eine Zeichnung von Vincent van Gogh, Arbeiten von Munch und "Der Watzmann" von Caspar David Friedrich. Die Provenienzforschung hat sich in Deutschland seit 1998 zwar etabliert und auch professionalisiert. Aber sie hat ein Kommunikationsproblem.

Mehr Erinnerungskultur an jüdisches Leben

Die Bedeutung jüdischer Mäzene war nicht nur für die deutsche Kunstlandschaft immens. Viele der großen Kunstschätze haben jüdische Sammlerinnen oder Sammler eingebracht, man denke zum Beispiel an die Nofretete im Neuen Museum in Berlin, deren Ausgrabung James Simon finanziert und die Büste 1920 dem Ägyptischen Museum geschenkt hatte. Das Gedenken an James Simon hat mit dem Gebäude von David Chipperfield einen angemessenen Platz gefunden, andere Erinnerungsorte sind aber noch "work in progress", etwa der Johanna und Eduard Arnhold Platz in Berlin.

"Restituere" bedeutet "wiederherstellen", und die Kernidee von Restitutionspolitik ist, durch die Rückgabe von Besitz das getane Unrecht wenn nicht wieder gut zu machen, doch immerhin durch den Akt der Restitution vollumfänglich anzuerkennen und im Idealfall tröstlich zu lindern.

Wissen und Mitgefühl

Anerkennung setzt aber Kenntnis voraus. "Uns geht es darum, das Wissen, was in der Community da ist, in die Bevölkerung zu tragen", sagt Maaz. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sehen sich hierbei auch in der Verantwortung. "München und Berlin waren schließlich die Orte, an denen Kunstwerke von den Nationalsozialisten als erstes diffamiert wurde", so Maaz.

Im Idealfall sollen die Filme wie eine Art Stolperstein in den Museen fungieren, als Irritation, die Zugang zu den jüdischen Lebensgeschichten schafft, die von den Nazis vernichtet oder an der Entfaltung gehindert wurden. Es sind Geschichten, die den Kunstwerken eine längst überfällige Dimension hinzufügen: die der Menschlichkeit.

English translation:

Nazi looted art is a political issue - even today. A new project in Berlin and Munich wants to tell the stories of Jewish collectors through multimedia. These are stories that hurt.

Restitution issues are on everyone's lips, and not just when it comes to Nazi looted art. The Gurlitt case has made it clear that even in the advanced 21st century, the task of resolving these issues is not over. But what about the stories behind the paintings, drawings and sketches? What about the people?

A new joint project of the Prussian Cultural Heritage Foundation and the Bavarian State Painting Collections aims to fill a gap here and tell the stories of some restitutions in their human dimension. "We've been doing provenance research for 20 years, helping with restitutions or initiating them," says Bernhard Maaz, director general of the Bayerische Staatsgemäldesammlungen, in an interview with DW. "But what remains too little communicated is the great emotional scope of these processes."

Archive of forgotten fates

So 30 cases are to be processed on film within the three years of the project, 30 stories that tell of the artworks and their Jewish owners. They should also trace their path through the hands of collaborators or the unknowing and shed light on their value for the owners and descendants. Ideally, the stories will end with restitution.

For the project, which aims to reach a young audience, the two major art institutions are cooperating with the Bavarian and Berlin radio stations. "It's an interface project that has to combine art historical research and media mediation skills," Ingolf Kern, communications director at the Prussian Cultural Heritage Foundation, told DW. A media library will make the stories accessible to museum visitors and other interested parties.

Cruel fates, slow processing

The stories of the Jewish collectors are often hardly known. The paintings associated with them, however, are very well known: for example, the golden portrait of Adele Bloch-Bauer by Gustav Klimt, the "Berlin Street Scene" by Ernst Ludwig Kirchner or the "Justitia" by Carl Spitzweg. The stories behind the paintings tell of persecution, expropriation, murder.

The business of the Austro-Czech sugar manufacturer and art lover Ferdinand Bloch-Bauer, for example, was "Aryanized," he became impoverished in Swiss exile from 1939 and died alone shortly after the end of the war. The Hess family had a shoe factory in Erfurt and owned probably the best collection of German Expressionists. Tekla Hess and her son Alfred survived the war in poor conditions in exile in London, and large parts of the collection were sold. Her two sisters-in-law and cousin Olga were murdered by the Nazis in Theresienstadt.

A question of justice

The "Justitia" was part of the small collection of the Jewish merchant Leo Bendel, who - born in Strzyzow, Poland - had left Berlin together with his wife for Vienna in 1937 after increasingly severe repressive measures. Here, in the same year, he sold two Spitzweg paintings of necessity - and at a lower price. The "Justitia" was acquired by a buyer from the Linz Führersammlung, but Leo Bendel was not noted as "non-arized origin". As a result, the painting was deemed unobjectionable after the war and was given to the Office of the Federal President in 1961. The painting hung in the Villa Hammerschmidt in Bonn until 2007, under the eyes of the German presidents. After that, it was restituted at the instigation and on the basis of research by the heirs.

Leo Bendel was arrested by the Gestapo in 1939 as a Polish Jew, mistreated and ultimately deported to Buchenwald concentration camp. A group of people were crammed here into a fenced-off part of the concentration camp, above the Jewish block. Right next to the roll call area, old and weak people who could no longer appear for roll call were left here to die. It became the site of the first deliberate mass killing of Jews and Poles at Buchenwald concentration camp. The death books also contain the name Leo Bendel: he died of "old age" at 2:35 a.m. on March 30, 1940.

The Washington Declaration and provenance research

The Washington Principles, which were recognized by Germany and the U.S. in a joint declaration in 1998, created the framework with which Nazi looted art has been treated ever since. In them, Germany undertakes to investigate its artworks and to identify looted art or contribute to its clarification. It was a zero hour for dealing with Nazi looted art. In them, Germany undertakes to examine its works of art and to identify looted art or to contribute to its clarification. It was a zero hour for dealing with Nazi looted art.

But things do not tell their stories on their own. Since then, the art world has been examining its holdings (sometimes with more, sometimes with less commitment, in some cases not at all). Provenance research - historical research on the objects, on documents that have come down to them, or on people who owned or sold them - is complex. "We're talking about an estimated 600,000 works of art in total, which is huge," Bernhard Maaz elaborates. Even though much has been done, provenance research is often small-scale, lengthy work. "Because every case is an individual case," says Maaz. "This will keep us busy for decades to come."

The Bavarian State Painting Collections, which comprise three Pinakotheks and 20 branch galleries, have been able to restitute 25 works from 17 collections since 1998. The Prussian Cultural Heritage Foundation has processed more than 50 restitution requests since 1999, returning more than 350 works of art and around 2,000 books to the rightful owners. These included a drawing by Vincent van Gogh, works by Munch and "Der Watzmann" by Caspar David Friedrich. Provenance research has become established and professionalized in Germany since 1998. But it has a communication problem.

More culture of remembrance of Jewish life

The importance of Jewish patrons was not only immense for the German art landscape. Many of the great art treasures were brought in by Jewish collectors; think, for example, of Nefertiti in the Neues Museum in Berlin, whose excavation was financed by James Simon and the bust donated to the Egyptian Museum in 1920. The memory of James Simon has found an appropriate place with David Chipperfield's building, but other places of remembrance are still "work in progress," such as the Johanna and Eduard Arnhold Platz in Berlin.

"Restituere" means "to restore," and the core idea of restitution policy is to make good, if not right, the wrongs done through the restitution of property, at least to fully acknowledge and ideally to comfort through the act of restitution.


Knowledge and compassion

Recognition, however, requires knowledge. "For us, it's about taking the knowledge that's there in the community and bringing it to the people," Maaz says. The Prussian Cultural Heritage Foundation and the Bavarian State Painting Collections also see themselves as having a responsibility in this regard. "Munich and Berlin were, after all, the places where works of art were first defamed by the National Socialists," says Maaz.

Ideally, the films should act as a kind of stumbling block in the museums, an irritation that creates access to the Jewish life stories that were destroyed or prevented from unfolding by the Nazis. They are stories that add a long overdue dimension to the works of art: that of humanity.


https://www.dw.com/de/nazi-raubkunst-restitution-stiftung-preu%C3%9Fischer-kulturbesitz-bayerische-staatsgem%C3%A4ldesammlungen/a-60829063
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