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Raubkunst der Familie Coninx

1998
1970
1945
Die Weltwoche 12 January 2022
Christoph Mörgeli

Die Tamedia-Zeitungen schiessen scharf gegen die Sammlung Bührle im Zürcher Kunsthaus. Wer berichtet über die Kunst der eigenen Verlegerfamilie?


Provenienz-Probleme: Sammler Coninx im Selbstporträt.

In der Schlacht ums Zürcher Kunsthaus hantiert der 
Tages-Anzeiger mit grossen Kanonen. Das Blatt schreibt sich die Finger wund über den «skrupellosen Geschäftsmann» Emil Bührle und dessen «Waffenverkäufe an Nazi-Deutschland», seine «Zwangsarbeiterinnen» und die «problematische Herkunft» seiner Bildersammlung. Es müsse daran gezweifelt werden, dass Bührle «alle Bilder, die zum Teil aus jüdischem Vorbesitz stammen, rechtmässig erworben hat».

Die Scharfrichter des Tages-Anzeigers fordern auch die vorzeitige Entfernung des Kunsthaus-Direktors. Denn dieser habe mit anderen Verantwortlichen «das grösste PR-Desaster des Kunsthauses» angerichtet. Schon Res Strehle, der frühere Chefredaktor des Tages-Anzeigers, hat sich in seinem Buch «Die Bührle-Saga» kritisch mit dem Waffenfabrikanten und dessen Sammelleidenschaft auseinandergesetzt. Das neueste Tagi-Fazit lautet so: «Selbst 65 Jahre nach Bührles Tod ist sein Name derart kompromittiert, dass man noch so viele seiner Bilder im Kunsthaus aufhängen kann – der Kunstsammler Bührle bleibt immer auch ein Waffenproduzent.»

Der gestohlene «Apfel»

Mit dem angeblich völlig unkompromittierten Namen der eigenen Verlegerfamilie mag sich bei Tamedia niemand auseinandersetzen. Die Weltwoche («Hitlers Schatten über dem Tages-Anzeiger», Nr. 3/21) hat aufgezeigt, wie unkritisch Zürichs auflagenstärkste Zeitung Adolf Hitler 1931 ihre Spalten überliess, wie positiv sie seine Machtergreifung würdigte und selbst noch die menschenverachtenden Angriffskriege der Wehrmacht verherrlichte. Die Proteste «jüdischer Akademiker» seien eine «wahrhaft schamlose Lügenhetze».

Umso freundlicher begleitete der Tages-Anzeiger in den dreissiger Jahren die krawallartigen Auftritte der schweizerischen Frontisten. Die aus Deutschland stammende Verlegergattin Berta Coninx-Girardet stellte der NSDAP 1933 bis 1944 gratis und franko die familieneigene Villa in ihrem Miteigentum zum Zweck einer «Gauführerschule» zur Verfügung. Im repräsentativsten Raum dieses «Feuerschlösschens» in Bad Honnef bei Bonn wurde eine Art «Weihehalle» für den nationalsozialistischen Totenkult rund um die «Blutzeugen der Bewegung» gestaltet.

Der überwiegende Teil der Coninx-Sammlung ist bezüglich Herkunft nicht untersucht worden.

Interessanterweise ist die Frage nach allfälliger Raub- oder Fluchtkunst im Besitz der Verlegerfamilie Coninx kein öffentliches Thema – ganz im Gegensatz zur Hyperkritik an Emil G.Bührle. Dabei hat Verlegergattin Berta Coninx am 9. Mai 1945, einen Tag nach dem europäischen Friedensschluss des Zweiten Weltkriegs, das Bild «Pomme» von Pablo Picasso aus dem Jahr 1918 für 3200 Franken gekauft. Es war dem jüdischen Kunsthändler Paul Rosenberg nach der Besetzung von Paris durch die Rauborganisation der NSDAP gestohlen worden. Die Nazis richteten in den Räumen von Rosenbergs beschlagnahmter Galerie ein «Institut für Judenforschung» ein und betrieben dort antisemitische Propaganda.

Im September 1945 kehrte Paul Rosenberg aus seinem Exil in den USA nach Europa zurück, um in der Schweiz den Spuren seines enteigneten Besitzes nachzugehen. Er entdeckte dabei eine ganze Anzahl von Bildern, die ihm gestohlen worden und auf dubiosen Wegen in unser Land gelangt waren. In der Zürcher Galerie Toni Aktuaryus konnte er den Weg von Picassos Ölgemälde «Pomme» zu Berta Coninx rekonstruieren. Die Vorbesitzerin wusste um die Warnungen der alliierten Kontrollbehörden vor Raubkunst. Sie meinte aber später treuherzig, sie habe geglaubt, «dass diese nur gelten für grössere Bilder und habe gar nicht daran gedacht, sie auf ein so kleines Objekt wie das Picasso-Bild zu beziehen».

Paul Rosenberg klagte gegen Berta Coninx als letzte Besitzerin. In einem aufsehenerregenden Raubgut-Prozess vor Bundesgericht wurde 1948 über Rosenbergs gestohlene Bilder verhandelt. Berta Coninx musste als Eigentümerin des Gemäldes «Pomme» die Klage und damit den Anspruch Rosenbergs anerkennen. Das Werk wurde am 6. November 2007 bei Christies in New York für 825 000 Dollar versteigert. Das ist ein mehrhundertfach höherer Betrag, als die Verlegergattin Berta Coninx vom Tages-Anzeiger 1945 hingeblättert hat.

Werner Coninx, Sohn des Tagi-Gründers und langjähriger Verwaltungsrat, trug ab 1945 eine «universale» Sammlung von fast 13 500 Kunstobjekten unterschiedlicher Qualität zusammen. Der Grossvater des heutigen Tamedia-Präsidenten Pietro Supino begründete die Werner-Coninx-Stiftung, die heute nach etlichen Turbulenzen der Kunstrechtsexperte Alexander Jolles präsidiert. Jolles ist gleichzeitig der zurzeit vom Tages-Anzeiger massiv kritisierte Präsident der Stiftung E. G. Bührle. Ebenfalls im Stiftungsrat der Werner-Coninx-Stiftung sitzt Lukas Gloor, Direktor der Sammlung E. G. Bührle – auch er verschiedentlich Ziel von Tamedia-Angriffen.

Leihgaben in elf Schweizer Museen

Der weitaus überwiegende Teil der Sammlung von Werner Coninx ist bezüglich seiner Herkunft nicht untersucht worden. Dabei befinden sich dessen Bestände heute als Leihgaben in elf verschiedenen Schweizer Museen. Das Bündner Kunstmuseum hat im September 2020 ein Projekt Provenienzforschung mit einem vorläufigen Bericht abgeschlossen. Von den 163 Papierarbeiten der Werner-Coninx-Stiftung ist die Provenienz zwischen 1933 und 1945 nur gerade bei sechzehn rekonstruierbar und unbedenklich. Bei 142 ist die Herkunft nicht eindeutig geklärt oder nur lückenhaft belegt. Und bei zehn Grafiken und Zeichnungen weisen die vorhandenen Informationen «auf mögliche Zusammenhänge mit NS-Raubkunst hin». Hier müsse die Herkunft «weiter erforscht» werden. Neue Überraschungen für Tamedia und ihre Verlegerfamilie sind jedenfalls nicht ausgeschlossen.

Kulturjournalist Christoph Heim, der in den Tamedia-Zeitungen nicht genug auf die Sammlung Bührle und das Zürcher Kunsthaus einprügeln kann, sieht die Sache im Fall der Werner-Coninx-Stiftung ganz anders. Heim schwärmt von «herausragenden Kunstbeständen», die wie «Phönix aus der Asche auferstanden» seien. Die Strategie des Stiftungsrates habe «das Potenzial, als Vorbild für andere Kunstsammlungen zu dienen». Es gehe nämlich darum, die besten Bilder für Museumszwecke auszuleihen und sie so «einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich» zu machen. Was die Werner-Coninx-Stiftung tut, ist für den Tages-Anzeiger unübertrefflich. Sobald die Stiftung Bührle dasselbe macht, speit das Blatt Gift und Galle.



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