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Österreich hat aus Fehlern gelernt - Austria has learned from its mistakes

1998
1970
1945
Die Presse 8 February 2021
Julia Reitzenstein

Ein aktuelles Urteil des Supreme Court der USA in Raubkunstfällen ist auf vielen Ebenen bemerkenswert. Für Österreich insbesondere deswegen, weil in der vergangenen Woche zu Gunsten Deutschlands anders geurteilt wurde als noch 2004 zu Lasten Österreichs.

Das Urteil des Supreme Court vom 3. Februar 2021 straft jene Kommentatoren Lügen, die sich seit Jahren an Donald Trump und seinem Slogan „America First“ abarbeiten. Unter dessen Administration wurden drei freiwerdende Richterposten an diesem Gericht nachbesetzt – und zwar mit konservativen Juristen. Die so entstandene Mehrheit von sechs konservativen zu drei liberalen Richtern würde, so eine der Befürchtungen, einen Anspruch der USA, sich für Recht und Ordnung auf der ganzen Welt zuständig zu fühlen, zementieren. Es gilt schon lange als völkerrechtlicher Konsens, dass Bürger eines Staates einen ausländischen Staat nicht verklagen können. Als erster Staat kodifizierten die USA diesen bewährten Grundsatz dann im Jahre 1976 als Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA).

Damit sollten nicht nur Immunitätsentscheidungen vom Außenministerium an die Justiz übertragen, sondern auch ein einheitlicher Umgang mit dieser Immunität geschaffen werden. Doch es wurden auch Ausnahmen definiert. Eine dieser Ausnahmen führte dazu, dass der Supreme Court 2004 Maria Altmann Recht gab, der Nichte und Erbin von Adele Bloch-Bauer. Das österreichische Recht war zu jener Zeit noch nicht angemessen auf den Umgang mit Raubkunst vorbereitet. Nachdem es ihr deshalb aussichtslos schien, ihre Rückgabeforderungen auf ihrer Familie geraubte Kunstwerke in Österreich geltend zu machen, wandte sich Altmann an ein US-Gericht. Österreich berief sich auf seine Immunität, so landete der Fall vor dem Supreme Court. Doch dieser urteilte im Fall Republic of Austria v. Altmann, 541 U.S. 677, dass eine Ausnahme vorliege und die Klage Altmanns zulässig sei. Am Ende erhielt Maria Altmann zahlreiche Kunstwerke zurück.

Heuer musste der Supreme Court abermals über einen Raubkunstfall urteilen. 1929 hatte das Fürstenhaus der Welfen die Verwertung eines mittelalterlichen Kirchenschatzes für den Mindestpreis von 7,5 Millionen Reichsmark einem Konsortium mehrheitlich jüdischer Kaufleute übertragen. Doch entgegen den Erwartungen konnten die Händler des Konsortiums bis 1932 nur 40 der 82 Kunstwerke verkaufen - viele in die USA - und dafür nur rund 1,5 Millionen Reichsmark erlösen. Die restlichen Stücke mussten ab 1932 also für rund sechs Millionen Reichsmark verkauft werden, damit keine Verluste entstanden – und das bei einem durch die Weltwirtschaftskrise gelähmten Kunsthandelsmarkt. Zahlreiche Museen waren an diesem einzigartigen Schatz interessiert, hatten aber nicht einen Bruchteil des Ankaufsetats zur Verfügung, der nötig gewesen wäre, den Welfenschatz zu erwerben. Die Weltwirtschaftskrise hatte ebenso zum Platzen unzähliger Bankkredite geführt. Besonders die Dresdner Bank hatte tausende Kunstwerke als Sicherheiten für solche Kredite erhalten, die sie auf Druck der Reichsbank verwerten sollte. Für den Fall, dass die Berliner Museen das Portfolio übernehmen wollten, stellte der Preußische Staat einen Sonderankaufsetat in Aussicht.

Kurz zusammengefasst, waren die Berliner Museen bereit, das doch sehr gemischte Kunstportfolio der Bankseite zu übernehmen, wenn dieses um andere attraktive Kunstwerke vom freien Markt ergänzt würde. Und dazu zählte der Welfenschatz, der versprach, ein Publikumsmagnet zu werden. Die Ankaufsverhandlungen führte der zuständige – jüdische – Manager der Dresdner Bank, Theodor Stern, mit Vertretern des Konsortiums. Dabei hat die Bank nie öffentlich gemacht, dass sie in Wahrheit vom Preußischen Staat beauftragt war, die Kunstwerke anzukaufen. Es ist bis heute unklar, wer alles am Konsortium beteiligt war und somit Miteigentümer am Schatz, von denen einige möglicherweise Ausländer waren. Zudem haben die Konsorten ihre Anteile teilweise untereinander gehandelt. Deshalb ist auch die genaue Verteilung der Anteile unklar. Zudem haben einige Konsorten ihre Anteile auf Kredit gekauft und besichert. Dadurch hätten auch Kreditgeber möglicherweise mittelbare Ansprüche auf den anteiligen Verkaufserlös gehabt. Nach erfolgreichen Ankaufsverhandlungen gingen die Kunstschätze der Dresdner Bank, einschließlich des für 4,25 Millionen Reichsmark frisch erworbenen Welfenschatzes an den Preußischen Staat. So gelangte der Welfenschatz – mit Zwischenstationen – in die heutige Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK).

Nun haben drei Erben von drei namentlich bekannten Konsorten die Herausgabe des gesamten Schatzes von der SPK verlangt. Die in Deutschland bei streitigen Restitutionsangelegenheiten zuständige Beratende Kommission vermochte 2014 keinen Fall verfolgungsbedingten Vermögensentzuges zu erkennen. Sie beschied den Fall abschlägig, wenngleich ihre Empfehlungen nicht rechtlich bindend sind. Einige der zahlreichen Gründe für diese Empfehlung findet sich in den Entschädigungsakten einiger der Konsorten, die nach dem Krieg umfangreiche Entschädigungsansprüche stellten – nur nie bezüglich des Welfenschatzes. Dies legt nahe, dass sie selbst nicht von Raubkunst ausgingen oder aber annahmen, zum Verkaufszeitpunkt keine Eigentümer mehr gewesen zu sein.

Nach den gescheiterten Herausgabeforderungen in Deutschland klagten die drei Erben – sie sind wie Maria Altmann US-Staatsbürger – in Washington, D.C. gegen die Bundesrepublik und die SPK. Der Streit zog sich bis vor den Supreme Court. Dieser hielt in seinem Urteil vom 3. Februar fest: „Die Erben bieten mehrere Gegenargumente an, aber keines kann den Text, den Kontext und die Geschichte der Enteignungsausnahme überwinden.“ Doch der Kern des Urteils bezieht sich nicht auf die Sachentscheidung, sondern auf die Zulässigkeit einer solchen Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland in den USA. Das Gericht kam zu der klaren Auffassung, dass solche Fälle nicht vor US-Gerichte gehören, denn es läge keiner der Ausnahmetatbestände des Foreign Sovereign Immunities Acts vor. Dazu zählen auch bestimmte Fälle von Menschenrechtsverletzungen, die das Gericht in diesem Falle als nicht gegeben ansah. Eine zulässige Ausnahme nach dem FSIA könnte dem Gericht zufolge gegeben sein, wenn einer der Konsorten zum Zeitpunkt des Verkaufs an die Dresdner Bank nicht oder nicht mehr deutscher Staatsbürger gewesen wäre. Andernfalls könne die Beraubung von Bürgern eines Staates durch die eigene Regierung nicht die Zuständigkeit von ausländischen Gerichten, beispielsweise in den USA begründen. Doch eine weitere Stelle aus dem Urteil lässt aufhorchen: „Als Nation wären wir überrascht - und würden vielleicht sogar eine Gegenklage einleiten -, wenn ein Gericht in Deutschland über Ansprüche von Amerikanern entscheiden würde, dass sie Anspruch auf Hunderte von Millionen Dollar hätten, weil die Regierung der Vereinigten Staaten vor Jahren Menschenrechtsverletzungen begangen hat.“

Politisch bemerkenswert

Das politisch bemerkenswerte dieses Urteils liegt hingegen darin, dass das Gericht einstimmig entscheiden hat – was bei weitem nicht selbstverständlich ist. Im Fall Republic of Austria v. Altmann urteilten die Richter damals im Verhältnis 6:3. Doch die Einstimmigkeit der heuer verkündeten Entscheidung bedeutet auch: Entgegen aller Kassandra-Rufe gab es kein „America First“, also eine juristisch begründete Zuständigkeit für Restitutionsforderungen US-amerikanischer Erben gegen andere Staaten. Das Urteil schließt zukünftige Klagen in den USA wegen Rückgabeforderungen von Raubkunst gegen andere Staaten fast ausnahmslos aus.

Stellt dies eine Ungleichbehandlung Deutschlands und Österreichs vor dem Supreme Court dar? Möglicherweise ja. Stellt es eine Ungerechtigkeit dar? Möglicherweise ja. Möglicherweise liegt die Ironie der Geschichte aber darin, dass viele Österreicher nach Abschluss des Staatsvertrages unter Bundeskanzler Julius Raab 1955 sehr gern glaubten, dass die Österreicher das erste Opfer von Hitlers Politik gewesen seien. Dabei wurde nur allzu oft übersehen, dass gleich nach dem „Anschluss“ die Juden Österreichs tatsächliche Opfer wurden. Zu ihnen zählte auch die Familie Bloch-Bauer, die nicht nur allen Besitz verlor, sondern auch ihre verfassungsmäßigen Rechte und ihre Zukunft. Das damalige Supreme Court Urteil zu Gunsten von Maria Altmann war ein Weckruf für Österreich. Anschließend hat Österreich als erster der Signatarstaaten die Washington Principles in nationales Recht überführt. In diesen 1998 von Österreich und 43 weiteren Signatarstaaten sowie 13 nichtstaatliche Organisationen unterzeichneten „Washington Principles on Nazi-Confiscated Art“, wurde die Absicht bekräftigt, „nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu suchen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte zu unternehmen, eine gerechte und faire Lösung zu finden“. Deutschland hat die Umsetzung in nationales Recht bis heute, trotz einer entsprechenden Mahnung des Bundesrats von 2002, unterlassen.

Auch wenn nun der Supreme Court zu Gunsten der Bundesrepublik entschieden hat: Es ist an der Zeit, dass Deutschland dem Beispiel Österreichs folgt und die Washington Principles in nationales Recht umsetzt. Wäre dies direkt geschehen, wäre der Fall des Welfenschatzes wohl nie vor dem Supreme Court verhandelt worden.

Der Autor

Julien Reitzenstein lehrt als Historiker Zeitgeschichte und forscht zu den Verbrechen des NS-Regimes sowie zu Ideologiegeschichte. Als Autor betrachtet er aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen in ihrem historischen Kontext. Mehr unter: www.julienreitzenstein.de


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