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Museumsdetektive auf den Spuren jüdischer Umzugsgüter

1998
1970
1945
NDR 9 November 2020
von Sophia Münder

Viele Juden flüchteten noch vor Kriegsausbruch 1939 aus Deutschland. Auf ihre Umzugskisten warteten sie jedoch vergeblich.


Im Hamburger Hafen werden um 1940 Umzugskisten - sogenannte Lifts - mit einem Kran umgesetzt.

Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, glaubten viele Juden in Deutschland, Hitler sei nur ein Spuk, der schnell vorüberziehen wird. Doch spätestens nach der Reichspogromnacht im November 1938 war auch den letzten Bürgern jüdischen Glaubens klar, dass sie in Deutschland ihres Lebens nicht mehr sicher sein konnten. Manchen gelang noch kurz vor Kriegsausbruch die Flucht. Auf ihre Umzugskisten aus der Heimat warteten sie jedoch vergeblich. Nun haben sich Forscherinnen auf die Suche nach dem verschollenen jüdischen Besitz gemacht.

In ihrer Umzugskiste befand sich alles, was Siegfried und Anna Berliner lieb und teuer war. Haushaltsgegenstände, Bücher, Musikinstrumente. Und eine wertvolle Sammlung japanischer Teekultur, die Anna Berliner während eines Aufenthalts in Tokio zusammenstellt hatte. Anna Berliner war Psychologin, ihr Mann Hochschullehrer. 1933 wird Siegfried Berliner wegen seiner jüdischen Herkunft von seinem Lehrauftrag an der Hochschule in Leipzig entbunden.

Am 31. Mai 1938 reist das Ehepaar über Bremen in die USA aus. Ihren Hausrat und die Wertgegenstände lässt das Ehepaar von Annas Schwester in einen Lift - eine Umzugskiste packen. Aber sie erreicht das Ehepaar nie. Ihr Umzugsgut strandet zusammen mit etwa 3.000 Umzugskisten von jüdischen Auswanderern aus dem gesamten Deutschen Reich im Hamburger Hafen. Denn als der zweite Weltkrieg begann, liefen die zivilen Schiffe mit der Ladung nicht mehr aus.

Zeitung bewarb die "Versteigerung der Judenkisten"

Kathrin Kleibl ist Expertin für NS-Raubgut am Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven.

Kathrin Kleibl, Provenienzforscherin am Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven, versucht die Spur des Umzugsguts zu rekonstruieren: "Man hat alles gepackt, hat viele Abgaben gezahlt und muss alle Brücken abreißen und ein neues Leben in Übersee beginnen. Und dann kommen diese Dinge nie an."

Sie lagerten am Togo- und Kamerunkai am Südwesthafen. Bis sich die Behörden für das wertvolle Gut interessierten. "Man wollte Besitztümer der Juden verwerten und dem Deutschen Reich zuführen", sagt Kleibl. Die Gestapo beschlagnahmte die Kisten - sie wurden im Auftrag der Oberfinanzdirektion in der Gerichtsvollzieherei in Hamburg versteigert. In der Zeitung wurde die "Versteigerung der Judenkisten" beworben.

Forschungsprojekt soll Verschollenes wiederfinden

Offiziell hieß es, die Juden hätten ihr Hab und Gut freiwillig versteigern lassen. Waren sie doch ausgewandert und hatten kein Anrecht mehr darauf. "Das war natürlich mitnichten freiwillig, natürlich wollten die Besitzer ihre Umzug-Lifts bekommen", sagt Kleibl. Sie möchte in einem zweijährigen Forschungsprojekt - gefördert vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste - die verschollenen Gegenstände wiederfinden und möglicherweise den Verwandten zu restituieren.

Hamburger Kunsthalle im Besitz von Umzugsobjekten

Ute Haug ist Forscherin an der Kunsthalle Hamburg und befasst sich mit der Herkunft von Kunstwerken.

Die Käufer der Lift-Inhalte: Privatleute, Händler - und Museen wie die Hamburger Kunsthalle. Die Provenienzforscherin Ute Haug geht davon aus, dass die Kunsthalle acht Kunstwerke im Bestand hat, die aus Umzugskisten stammen. Erworben hat sie das Haus auf einer Versteigerung des Auktionshauses Schlüter, das die Objekte aus den Umzugskisten im Auftrag der Oberfinanzdirektion versteigert hat. "Man kann sehen, anhand dieser Bleistift Merkmale, dass sich jemand für die Auktion vorbereitet hat und Kunstwerke markiert hat, mit einem Stern, mit zwei Sternen und mit drei Sternen - also quasi eine Art Rangliste erstellt hat", sagt Ute Haug.

Den Zuschlag bekam die Kunsthalle unter anderem für ein Werk aus dem 17. Jahrhundert. "Nymphe und Satyr",  gekauft für 1.850 Reichsmark.

Weg einer Umzugskiste wird mühsam nachgezeichnet

Ute Haug versucht die Liste mit den Merkmalen auf dem Bild zu kombinieren, um Rückschlüsse auf den Vorbesitzer zu schließen. Aber eine Nummer - 4043 - kann sie nicht entschlüsseln. "Das ist genau die Nummer, wo wir nicht weiterkommen aus der Museumsperspektive." Gehört die Nummer zu einer Umzugskiste? Ute Haug erhofft sich Hinweise aus Kathrin Kleibls Forschung. Im Hamburger Staatsarchiv geht Kleibl alle Akten zu den Versteigerungen durch. "Man hat hier immer den Namen des Gegenstandes, den Namen des Erstehers, hier zum Beispiel das Museum für Völkerkunde und was geboten wurde. Das geht von Kunstgegenständen über Bücher, einfache Kleidungsstücke und Wäsche." Jede Info fügt sie in eine Datenbank ein, um den Weg einer Umzugskiste vom Verlassen des Hauses des Eigentümers bis hin zum neuen Besitzer nachzuzeichnen.

Wo kamen die Umzugskisten unter den Hammer?

Im Fall der Nummer aus der Kunsthalle kommt Kleibl tatsächlich einen kleinen Schritt weiter. In einem Papier eines Gerichtsvollziehers taucht die Nummer wieder auf. Sie gehört zu einer Umzugskiste mit dem Ziel Los Angeles. Aber der Käufer bleibt unklar. "Das ist eben die Schwierigkeit an diesem Projekt, dass wir Puzzlestücke aus allen Ecken zusammensuchen müssen - und dann das große Ganze zusammensetzen", sagt Kleibl.

In Bremen fing sie mit ihrer Recherche an, auch dort kamen Umzugskisten unter den Hammer. Schiffe, die eigentlich in Bremen ausgelaufen sind, wurden nach Kriegsbeginn in Hamburg gelöscht. "Wir konnten feststellen, dass es Parallelen zwischen Hamburg und Bremen gibt", sagt Kleibl. Teilweise seien dieselben Personen und Käufer involviert gewesen.

Teetassen von Anna Berliner landeten im MARKK

Susanne Knödel, Wissenschaftliche Leiterin am Museum am Rothenbaum, in einer Lagerkammer des Museums.

Das Umzugsgut von Anna und Siegfried Berliner wurde am 14. Juli 1941 in Hamburg öffentlich versteigert. Teile der Japanischen Sammlung von Anna Berliner hat das damalige Museum für Völkerkunde gekauft. Susanne Knödel, Kuratorin im Hamburger Museum am Rothenbaum (MARKK), hat die japanischen Teetassen, die Anna Berliner sammelte, auf einem Tisch aufgestellt. Der Hintergrund der Sammlung ist ihr bewusst. Akten eines Gerichtsvollziehers belegen "die Versteigerung des jüdischen Umzugsgutes des Juden Siegfried Berliner". Sie sagt: "Dann war eigentlich schon völlig klar, dass das nicht beschlagnahmtes Gut, sondern Umzugsgut ist."

Stück Familiengeschichte soll zurückgegeben werden

Susanne Knödel erhofft sich von Kleibls Forschung, herauszufinden, wohin andere Objekte der Sammlung der Berliner gelangt sind. "Es gab keine Kinder. Aber es gibt ja eine weitere Familie, der man mitteilen möchte, was ist wo? Was gibt es noch?"

Siegfried Berliner war Geigenspieler. In den Rückerstattungsakten schreibt er von einer Geige, auf der Albert Einstein gespielt haben soll, der zeitgleich mit ihm an der Universität in Tokio angestellt war. Aber in den Versteigerungsprotokollen taucht nur ein leerer Geigenkasten auf. Ein Zollbeamter kontrollierte, während die Kiste gepackt wurde, den genauen Inhalt. "Und bei dieser Gelegenheit wurden wertvolle Stücke auch gleich aussortiert", sagt Kleibl. Sie hofft, herauszufinden, wo die Geige sich heute befindet.

Viele Museen öffnen Depots und Archive

Viele Häuser werden für Kleibls Recherche ihre Depots und Archive öffnen. Kooperationspartner sind die Hamburger Kunsthalle, das Museum für Kunst und Gewerbe, das Altonaer Museum, das Museum am Rothenbaum, das Staatsarchiv und die Hamburger Staatsbibliothek. Nach Abschluss des Projekts sollen Museen und Privatpersonen nach Informationen zu dem Umzugsgut suchen können. So möchte Kathrin Kleibl mit ihrer Recherche den Auswanderern ein Stück Familiengeschichte wiederbringen und wenn möglich, Erben finden.

Grafik - eine rote Spirale in deren Mitte Folgendes: Museumsdetektive. Auf den Spuren geraubter Kunst im Norden. © NDR

Museumsdetektive - auf den Spuren geraubter Kunst

Raubkunst gehört auch im Norden zum Bestand vieler Museen. Woher kommen die Objekte? Wo ist der Besitz von Opfern?

https://www.ndr.de/kultur/kunst/provenienzforschung/Museumsdektektive-auf-den-Spuren-juedischer-Umzugsgueter,auktionen104.html
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