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Provenance research at the DSM: Ein alter Motor und seine Geschichte in der NS-Zeit - An old engine and its history in the Nazi era

1998
1970
1945
Deutsches Schifffahrts Museum 3 March 2020

1911 bestellt der Regensburger Walk- und Strickfabrikbesitzer Nathan Forchheimer einen Einzylinder-Viertaktmotor bei der Firma MAN. Zum Sammlungsbestand des Deutschen Schifffahrtsmuseums / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte gehört der Motor seit 1976. Seine Herkunft war lange unklar. Nun hat das Museum im Rahmen seiner Provenienzforschungen herausgefunden, dass der Motor den ehemaligen Firmenbesitzern während der NS-Zeit unrechtmäßig entzogen wurde. Die Erben wurden über einen aufwendigen Prozess ausfindig gemacht und ihr rechtmäßiges Eigentum wird nun restituiert. Sie werden einen Dauerleihvertrag mit dem DSM abschließen, so dass der Motor weiter ausgestellt werden kann.


Der bald restituierte Motor, der dem DSM als Dauerleihgabe zur Verfügung stehen wird

Wie geriet ein solcher Motor in das DSM? Laut einem Zeitungsartikel in der Nordsee-Zeitung aus dem Jahr 1976 gelangte dieser in den Besitz des Museums, nachdem er zuvor als Notstromaggregat auf einem Gutshof gedient hatte. Vor seinem Einsatz als Museumsobjekt wurde er noch einmal von MAN überholt, um ihn voll funktionsfähig als Beispiel für frühere Antriebsformen ausstellen zu können. Auch in der neuen Dauerausstellung, die das DSM zur Zeit konzipiert, soll der Motor einen festen Platz finden.

Ausgangspunkt für die Entdeckung des unrechtmäßigen Besitzes war die Frage, welche Rolle der Motor in der Schifffahrt gespielt hat und das Wissen, dass dieser aus Regensburg kam und dort im Besitz von jüdischen Menschen war. Dr. Kathrin Kleibl, Provenienzforscherin am DSM, machte sich daraufhin auf die Suche nach weiteren Einzelheiten und fand heraus, dass die Familie Forchheimer die Firma, gedrängt vom NS-Regime, zwangsweise weit unter Wert an die Firma Rathgeber verkaufen musste und anschließend in die USA emigriert war. Jedwede Ausstattung des Vorgängerbetriebs ging nach Kaufvertrag an das Unternehmen Rathgeber und verblieb im Betrieb, seien es Mitarbeitende, Maschinen oder Materialien. So auch der vom Museum untersuchte Motor. Kleibl machte sich auf die Suche nach den Nachkommen, was dadurch erschwert wurde, dass diese bei der Einreise in die USA ihre Namen änderten.


Die Fabrik der Familie Forchheimer in Regensburg, Foto entstand vor 1938

Die Nachkommen Forchheimers, die mittlerweile seit mehreren Generationen rund um Pennsylvania, Illinois und Florida verteilt in den Vereinigten Staaten leben, wünschen sich, dass der Motor dem Museum erhalten bleibt. Unter der Auflage, diesen mit einem Hinweis zu seiner Geschichte zu bestücken, haben sie einer Dauerleihgabe an das DSM zugestimmt. Eine Plakette mit einem Vermerk über die ursprünglichen Eigentümer des Motors und einer Aufarbeitung seiner Geschichte im Zuge der Verfolgung und Emigration der Familie wird künftig neben diesem angebracht sein.

Die Auswanderungsgeschichte der Forchheimers ist außergewöhnlich: Rosalie Forchheimer, Witwe des Firmengründers Nathan Forchheimer, verließ Deutschland erst kurz vor Kriegsbeginn 1939. Während die anderen Familienmitglieder bereits 1938 in die USA ausgewandert waren, unterhielt sie weiterhin das zu ihrem Grundstück gehörende Haus, das an das verkaufte Firmengelände grenzte. Sie nahm dort viele als Juden verfolgte Menschen zu geringer Miete auf, bis sie unter dem politischen Druck der Firma Rathgeber dazu gedrängt wurde, das Haus zu verkaufen. Zur Begründung hieß es, die „arischen“ Mitarbeiter des Betriebs hätten es nicht geduldet, die jüdischen Mieter während ihrer Pause zu sehen.

Kleibls Recherchen ergaben auch, dass das damalige Firmengebäude der Familie weiterhin existiert. Heute beherbergt es ein Internat. Der Schuldirektor ist durch die Forschung des DSM inspiriert worden, mit seinen Schülerinnen und Schülern ein Geschichtsprojekt zu initiieren, in dem sie die Biografie des Hauses aufarbeiten. 

Der Weg, mögliche Nachkommen eines zu restituierenden Objektes ausfindig zu machen, verläuft in jedem Fall individuell und ist oft mit detektivischer Arbeit verbunden. In diesem Fall gelang es u.a. über mehrere genealogische Datenbanken, durch welche ein Familienstammbaum rekonstruiert werden konnte. Todesanzeigen des verstorbenen Sohns von Karl Forchheimer vermittelten wiederum Namen von dessen Kindern. Letztendlich stieß Kleibl auf eine als Lehrerin tätige Erbin, die sogleich weitere Familienmitglieder kontaktierte. 
 
Die Recherchen fanden im Rahmen eines dreijähriges Provenienzforschungsprojekts am DSM statt, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg finanziert wird. In diesem Zusammenhang untersucht das DSM seine Bestände systematisch auf während der NS-Zeit unrechtmäßig entzogenes Kulturgut.

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