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Symposium - Kunst mit Kainsmal - Art with the mark of Cain

1998
1970
1945
Sueddeutsche Zeitung 18 October 2019
Von Sabine Reithmeier

Bei einer Tagung in München wird deutlich, wie schwierig der Umgang mit NS-Raubkunst ohne ein Restitutionsgesetz ist

Eine "faire und gerechte" Einigung zwischen dem vormaligen Eigentümer und den Erben hat das Auktionshaus Karl & Faber für Lovis Corinths Aquarell "Walchensee" (1923) erreicht. Das Bild stammt aus der Sammlung von Curt Glaser und wurde im Mai 1933 bei Max Perl versteigert.

Fair und gerecht?". Das Fragezeichen im Tagungstitel deutete die Zweifel der Kunsthändler schon an. Sie nutzten das Symposium Restitution und Provenienz im Kunstmarkt, zu dem die im Januar gegründete Interessengemeinschaft Deutscher Kunsthandel ins Münchner Auktionshaus Karl & Faber eingeladen hatte, um ihren Zorn über das 2016 in Kraft getretene Kulturgutschutzgesetz loszuwerden. Neue Sorgfaltspflichten und Haftungsregeln sorgen seither für einen enormen bürokratischen Aufwand.

Der private Handel sei extrem in die Pflicht genommen worden, Museen dagegen würden verschont, konstatierte der Frankfurter Wirtschaftsrechtler Hans-Jürgen Hellwig. Was die sieben Juristen, die auf der Tagung referierten, aber ebenfalls intensiv beschäftigte, ist die Diskrepanz zwischen geltendem Recht und moralischer Verpflichtung in Sachen NS-Raubkunst. Denn die auf der Konferenz in Washington 1998 beschlossenen Prinzipien, um deren Umsetzung sich die Bundesrepublik müht, sind nur eine Erklärung des guten Willens, eine politische Selbstverpflichtung des Staates. "Subjektive Moralvorstellungen allein vermögen geltendes Recht nicht zu ersetzen", sagte Hans-Jürgen Papier. "So ein Spannungsfeld sollte es in einem Rechtsstaat nicht geben."

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts leitet die "Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter", früher kurz "Limbach-Kommission" genannt. Ein Mediationsgremium, dessen Empfehlungen nicht rechtsverbindlich sind. Das "Soft-Law-Regelwerk" erweise sich zwar als gangbarer Weg, wenn es sich um staatliche Museen, Bibliotheken und Archive handelt, schließlich sei die Bundesrepublik Rechtsnachfolger des NS-Unrechtsstaates. "Aber wenn es um Privatpersonen geht, erscheint mir der Weg des moralischen Appells auf Dauer nicht erfolgversprechend." Freiheit und Eigentum eines Bürgers könnten nur aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, sagte Papier und forderte ein Restitutionsgesetz. Es werde zunehmend schwierig, Opfern oder deren Erben einleuchtend zu vermitteln, warum NS-Raubkunst in öffentlichem Eigentum nach Maßgabe der Washingtoner Erklärung restituiert werden solle, Werke in privater Hand aber nicht.

Scharfe Kritik gab es für die Lost-Art-Datenbank. Das zentrale Verlustregister, angesiedelt im Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) in Magdeburg, wurde wechselweise als "Schandpfahl" und "digitaler Pranger" kritisiert. Die Hamburger Rechtsanwältin Christina Berking attestierte der Datenbank einen massiven Geburtsfehler: Objekte würden dort nur aufgrund von Plausibilität eingetragen. Es reiche, wenn ein NS-bedingter Entzug im Zeitraum zwischen 1933 und 1945 nicht ausgeschlossen werden könne, weiter würden Provenienzen nicht erforscht. "Wenn jemand einen Eintrag dort will, kriegt er ihn, auch wenn er keine einzige Unterlage vorweist", klagte auch Rechtsanwalt Peter Raue, der bereits mehrere Restitutionsverfahren begleitet hat. Ist ein Werk dort erst einmal eingetragen, sei es nicht mehr handelbar. Oft nutzten Anwälte die Datenbank auch als Instrument zur Erpressung und drohten mit einer Eintragung, berichtete Kunsthändler Carl-Christof Gebhardt. Schwieriger als die Eintragung scheint die Löschung zu sein. "Eine Pflicht dazu gibt es nicht", sagte Hans-Jürgen Hellwig. In vielen Fällen bleiben daher trotz klarer Beweise gegen Raubkunst unberechtigte Ansprüche registriert.

Uwe Hartmann, der Leiter des Fachbereichs Provenienzforschung im DZK, reagierte gelassen auf die Vorwürfe und philosophierte über den Unterschied im Denken von Juristen und Historikern. Er machte aber keinen Hehl aus dem Forschungsdefizit, der Aspekt sei von Anfang an vernachlässigt worden. "Die Kollegen sind nicht in der Lage über die Plausibilitätsprüfung hinaus Forschung zu betreiben", sagte er. Außerdem: "Auf welcher historischen Grundlage sollen wir die Anforderungen an die Melder erhöhen?"

Der Staus quo sei desolat, räumte auch Christian Fuhrmeister ein, Kunsthistoriker am Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Die Forschungsbedingungen seien maximal steigerbar, es mangle an vielem, vor allem an Geld, jedes Forschungsergebnis könne man nur mit Stichdatum versehen. "Das ist doch alles komplett fluide." Vielleicht könne man Fonds gründen, nicht erforschte Objekte vom Markt nehmen, Entschädigungen zahlen. Auch der Kunsthändler Johannes Nathan plädierte für einen Fonds, gespeist aus einer Art Pflichtversicherung für alle Kunstwerke. Aus dem Topf könne man Entschädigungen und Expertenkommissionen finanzieren.

Die Kunsthändler selbst scheinen mit ihrer Prüfpflicht zurechtzukommen. Silke Thomas, Geschäftsführerin der Galerie Thomas, erklärte, bisher sei ihr Haus in kein Ermittlungsverfahren verwickelt gewesen. "Manches fassen wir einfach nicht an." Der Frankfurter Christoph Andreas, der mit antiker Kunst handelt, berichtete von sieben Restitutionsverfahren, die mit einer gütlichen Einigung geendet hatten. Die Öffentlichkeit erfahre meist nichts davon, da Stillschweigen vereinbart werde. Rupert Keim, Geschäftsführer von Karl & Faber, berichtete von sechs Fällen mit gütlicher Einigung. "Nie fanden wir das exakte Entzugsereignis, die Spur hat sich immer verloren." Nie habe es eine hundertprozentige Entschädigung gegeben, meist blieb sie unter 50 Prozent, weil die Beweislage nicht klar war.

Recht führe nicht immer zu Gerechtigkeit, hatte der Historiker Michael Wolffsohn eingangs festgestellt. In einem Rechtsstaat seien Ideal und Wirklichkeit nie deckungsgleich, anzustreben sei aber Versöhnung. Er regte an, geraubte Kunst dauerhaft mit einem Kainsmal zu versehen. Denn die härteste aller Strafen sei die Wahrheit über die Tat.

https://www.sueddeutsche.de/kultur/symposium-kunst-mit-kainsmal-1.4646198
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