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Kubins geflüchtete Förderer: Die Sammlung Morgenstern - Kubin's escaped supporters: The Morgenstern Collection

1998
1970
1945
Der Standard 4 August 2019
Olga Kronsteiner

Max Morgenstern war ein großer Unterstützer Alfred Kubins. 1938 musste die Familie einige Werke verkaufen. Sie wurden jüngst restituiert. Die Geschichte einer Sammlung

Wann genau Max Morgenstern (1883-1946) der fantastischen Welt Alfred Kubins (1877- 1959) verfiel, ist nicht zweifelsfrei überliefert. Gesichert ist, dass der Tuchfabrikant einst an die 100 Werke besessen haben muss. Wenn sich am 28. August der Todestag des österreichischen Künstlers zum 60. Mal jährt, dann sollte man auch Morgensterns gedenken, gehörte er doch zu den frühesten und größten Förderern Kubins. Dem Gedenkjahr adäquat bescherten einige seiner ehemaligen Schützlinge dem Kunstmarkt jüngst eine Zäsur, die in eine preisliche Neubewertung für Arbeiten Kubins münden wird, vor allem für sein symbolistisches Frühwerk.

Am 19. und 20. Juni gelangten bei Sotheby's in London 16 Zeichnungen dieser Provenienz zur Versteigerung, die statt der Mindesterwartung von rund 465.000 stolze 3,36 Millionen Pfund einspielten. Der bisherige Auktionsrekord aus dem Jahr 2002 (Seegespenst, rd. 197.000 Pfund) sollte gleich mit mehreren Zuschlägen übertroffen werden. Den Titel hält nun Epidemie (1900/01), eine für das Frühwerk charakteristisch surreale Tuschezeichnung (Taxe, 150.000-200.000 Pfund), die für 963.000 Pfund (inkl. Aufgeld) oder umgerechnet 1,08 Millionen Euro den Besitzer wechselte.

Zurück zu Max Morgenstern, dem Kubin auch freundschaftlich verbunden war, wie bis heute in Familienbesitz erhaltene Arbeiten mit privaten Motiven belegen. Sie thematisieren etwa Morgensterns Brautwerbung um die aus Berlin gebürtige Hertha, die er Anfang der 1920er-Jahre heiratete. 1922 und 1924 kamen zwei Söhne in Wien zur Welt. Nun galt es eine Familie zu finanzieren, und Max Morgenstern schränkte seine einstigen Leidenschaften deutlich ein.

Vieles seit 1938 verschollen

Von 1908 bis 1922 war er auch ein exzessiver Käufer von sogenannten Pressendrucken, exklusiven Kleinauflagen spezialisierter Verlage, gewesen. Für manche Bücher ließ er von der Wiener Werkstätte (WW) eigens Einbände anfertigen, darunter zahlreiche nach Entwürfen von Josef Hoffmann. Bis zum "Anschluss" im März 1938 blieb die Kollektion von Max Morgenstern erhalten: Einen Teil verwahrte er in seiner Wohnung unweit seiner Textilfabrik im polnischen Bielitz (Bielsko), von wo er jedes Wochenende nach Wien reiste.

Der andere Teil befand sich in der herrschaftlichen Wohnung in Hietzing. Informationen zum Umfang seiner Sammlung haben sich nur für Wien erhalten, etwa über Herthas Ausfuhransuchen vom Juli 1938. Für 18 Ölbilder, 24 Zeichnungen und drei Grafiken war die Bewilligung erteilt worden, nicht jedoch für 24 Arbeiten auf Papier, darunter zwei Werke von August von Pettenkofen, die man der Zentralstelle für Denkmalschutz überlassen musste, wie die Provenienzforscherin Sophie Lillie 2003 öffentlich machte.

Dem jüdischen Ehepaar gelang noch 1938 die Flucht nach England, wohin man die beiden Söhne schon Mitte der 1930er-Jahre zur Ausbildung geschickt hatte. Die Wohnung und die Fabrik in Bielitz wurden 1939 von den Deutschen beschlagnahmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis weit in die 1970er-Jahre hinein bemühte sich die Familie vergeblich um die Auffindung der in Wien verbliebenen Kunstwerke und jener Gegenstände, die 1940 aus einem Übersiedlungslift über die Vugesta verkauft wurden.

Und all die Kubins, von denen allein 64 in der mit 300 Arbeiten bestückten Ausstellung in der Albertina 1937 als Leihgaben zu sehen waren? Auf der Herthas Vermögensanmeldung beigelegten Schätzliste findet sich nur der Vermerk "19 Zeichnungen von Kubin à RM 75". Die Anzahl der Kubin-Werke, die die Familie via Wien und Bielitz ins Exil begleiteten, muss jedoch eine höhere gewesen sein. 1972 ließ einer der Söhne 26 Zeichnungen bei Sotheby's versteigern.

Ein Dutzend weitere hatte derselbe Sohn 1970 an den Sammler Rudolf Leopold verkauft, wie aus dem Dossier der Provenienzforscherin Sonja Niederacher von Ende 2009 hervorgeht. Er verkaufte Leopold für 120 Pfund (1970: 7460 Schilling) auch Egon Schieles Stilisierte Blumen vor dekorativem Hintergrund (1908), das der Vater 1921 im Auktionshaus Kende als Japanische Zierpflanze ersteigert hatte.

"Proaktive Recherche"

Auf der Schätzliste vom Juli 1938 schien der Schiele nicht auf, muss jedoch nach England verbracht worden sein. Nicht so 20 Federzeichnungen von Kubin, die Hertha im Juni 1938 an den Hamburger Apotheker und Sammlerkonkurrenten Kurt Otte verkaufen musste – zur Hälfte des Schätzwertes für je 30 RM. Ein Deal, den Max wenige Wochen später in einem Schreiben an Otte beklagte, er habe sie nicht verkaufen und die Sammlung damit zerreißen wollen. Hertha hatte ihren Ehemann in Bielitz offenbar erst später informiert. Sie kämpfte mit den NS-Bürokraten in Wien, die für ihr Haushaltsgeld und rückwirkend seit 1929 Einkommenssteuer einforderten, wie aus einem Akt im Wiener Stadt- und Landesarchiv hervorgeht.

16 dieser 20 Kubin-Arbeiten verkaufte Otte zwischen 1971 und 1983 an das Lenbachhaus in München, das sie im Mai an die Erben restituierte. Es ist jenes Konvolut, das jüngst bei Sotheby's versteigert wurde. In einer Presseaussendung rühmt sich das Lenbachhaus seiner "proaktiven Recherche". Zu Recht? Man forsche seit 2008/09, heißt es auf Anfrage. Tatsächlich blieb man viele Jahre untätig und tappte im Hinblick auf die Nachfahren im Dunkeln. Via Google hätte man Sonja Niederachers Dossier mit detaillierten Infos schnell finden können.

Erst zwei Verkaufskataloge, die ein Wiener Antiquar auf einer Fachmesse in Deutschland präsentierte, halfen den Münchnern auf die Sprünge. 2015 hatten die Erben Norbert Donhofer Teile der einstigen Bibliothek von Max Morgenstern sowie 23 der prachtvollen WW-Einbände zum Verkauf überlassen. In einem der Kataloge war auch die von einem Enkel verfasste Familienbiografie erschienen. Daraus ging hervor, dass die Morgensterns ihren Namen nach dem Zweiten Weltkrieg in Morton geändert hatten. Das Lenbachhaus ersuchte Donhofer um Vermittlung eines Kontaktes zu den Erben. Auf die Idee, in österreichischen Archiven zu forschen, war man offenbar nie gekommen. Dabei ist die langjährige Suche nach den verschwundenen Kunstwerken seitens der Familie im Aktenbestand des Bundesdenkmalamtes gut dokumentiert – und unter beiden Familiennamen indexiert.

https://www.derstandard.at/story/2000106974480/kubins-gefluechtete-foerderer-die-sammlung-morgenstern
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