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Warum die Suche nach NS-Raubkunst in Deutschland so schwierig ist - Why the search for Nazi-looted art in Germany is so difficult

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Handelsblatt 23 November 2018
Dr Christiane Fricker

Zu wenig Geld, zu wenig Personal – eine systematische Suche nach NS-Raubkunst ist in Deutschland kaum möglich. Fachleute wollen das nun ändern.

Berlin. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendeine deutsche Institution stolz die Restitution eines einst von den Nazis geraubten Kunstwerks verkündet. Man sonnt sich im Glanz aufwendig gelöster Einzelfälle. Dahinter verbirgt sich aber mitnichten eine systematische, international vernetzte Forschung, sondern eine zeitraubende, mangels Infrastruktur immer wieder neu ansetzende Recherche.

Sie ruht auf den Schultern Weniger und krankt daran, sich nicht effizient vernetzen zu können. Das offenbarte das Jahrestreffen des „Arbeitskreises Provenienzforscher“ Mitte November in Berlin.

Immense Anstrengungen sind nötig, um an Informationen überhaupt heranzukommen, die entscheiden, ob restituiert werden muss oder nicht. Kein Wunder, dass die Nervosität steigt, 20 Jahre nach der Unterzeichnung der zwar unverbindlichen, aber die Museen selbst verpflichtenden „Washingtoner Erklärung“, Nazi-Raubkunst zu identifizieren und so rasch wie möglich zu restituieren.

In geschätzt 75 Prozent der hiesigen Museen fehlen Inventare, oder sie sind nicht digitalisiert. Diese Erfahrung macht nicht nur Provenienzforscher sprachlos, sondern auch die Nachfahren der jüdischen Opfer, wenn sie sich selbst auf die Suche nach dem Raubgut machen.

Was ihm denn einfalle, eine so allgemeine Anfrage zu stellen, herrschte man den Erben der jüdischen Sammlerfamilie Lederer an. Er hatte auf der Suche nach den 1.400 Zeichnungen, die einst die Gestapo raubte, lediglich die in einem Museum verwahrten Bestände von Künstlern checken wollen, die sich auch in der Sammlung seines Vorfahren befanden.



Vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg am 7. November 2018 an den in Kanada lebenden Enkel restituiert. Vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg kürzlich restituiert: Kidduschbecher des Sammlers Max Hahn, 1757, Silber vergoldet, 9,3 cm

Fünf Jahre dauert die Suche des Lederer-Erben nun schon an. Sein Fazit ist vernichtend: „Museen haben nicht einmal richtig angefangen, ihre Bestände aufzuarbeiten“, beschreibt er seine Erfahrungen. Unbequeme Anfragen würden schnell an das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste (DZK) in Magdeburg verwiesen, dem wiederum nichts anderes übrig bleibt, als auf die verantwortlichen Institutionen zurückzuverweisen. Magdeburg kann in die Häuser nicht hineinregieren und will auch nicht selbst forschen. „Man wird im Kreis herumgeschickt.“

Schlecht sieht es auch mit der Zugänglichkeit einschlägiger Unterlagen in Archiven aus. Noch immer hat der Suchende eigens im Bundesarchiv vorstellig zu werden, wenn er Unterlagen zum Fall Gurlitt oder die Akten zum Kunstraub der Nazis prüfen will, die von der amerikanischen Besatzungsbehörde nach dem Krieg zusammengestellt wurden („B 323“-Bestand).

Für die Gurlitt-Akten, die in Koblenz digital vorliegen, gibt es nur eine sehr oberflächliche, summarische Verzeichnung der einzelnen Aktennummern ohne besondere Inhaltsvermerke. Für den „B 323“-Bestand, dessen Digitalisierung gerade erst in Angriff genommen wurde, gibt es nur ein sehr grobes Verzeichnis. „Entscheidend ist, dass die Archivalien zwar verfügbar sind. Da sie aber nicht aufbereitet wurden, kann man nicht effizient damit arbeiten“, fasst die Provenienzforscherin Sibylle Ehringhaus die Problematik zusammen.

Hinzu kommt, dass der „B 323“-Bestand noch nicht einmal vollständig ist, da er von der Oberfinanzdirektion München seinerzeit „gesäubert“ wurde. Die vollständigen Akten befinden sich mikroverfilmt in den „National Archives“ in Washington. Sie wurden von Deutschland bislang jedoch nicht angefordert.

Zentral gesteuertes Datenmanagement ist wichtig

Dreh- und Angelpunkt für eine effiziente Provenienzforschung ist ein zentral gesteuertes Datenmanagement. Wenn jetzt das DZK auf Initiative der Regierung beginnt, eine Forschungsdatenbank aufzubauen, ist das ein erster Schritt. Dorothee Haffner von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, die das Projekt leitet, muss jedoch die dort einfließenden, bisher ermittelten Daten erst einmal aufarbeiten.

Das gilt sowohl für die Arbeitsberichte zu den geförderten Projekten, da sie nicht nach einheitlichen Standards abgefasst wurden, als auch für die Daten aus dem Lost-Art-Register, das die Ansprüche einer wissenschaftlichen Datenbank nicht erfüllt.

Wünschenswert wäre, wenn sich am Ende alle Quellen über eine Meta-Datenbank ansteuern ließen, so wie sie das Jewish Digital Cultural Recovery Project plant.

Noch kann Deutschland nur mit „Insellösungen“ aufwarten, moniert Christian Fuhrmeister, Provenienzforscher am Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI), mit Blick auf den „Forschungsverbund Provenienzforschung in Bayern“. Doch was kann Bayern mit seinen gerade einmal 3,6 von deutschlandweit höchstens 25 festen Stellen ausrichten? Die meisten Provenienzforscher kommen für maximal drei vom DZK geförderte Jahre an die Museen und gehen wieder.

Ute Haug, die an der Kunsthalle Hamburg selbst eine feste Stelle bekleidet, zu 50 Prozent jedoch mit anderen Aufgaben betraut wird, bemängelt den fehlenden Rückhalt in den Häusern. Sie versteht nicht, warum die Ergebnisse ihrer Recherchen zum Werdegang ausgewählter Zeichnungen in der öffentlich zugänglichen Datenbank unsichtbar bleiben.

Eine einzige Frage von Fuhrmeister machte anschaulich, wie viel Arbeit auf die erst kürzlich eingerichteten Lehrstühle an den Bonner und Münchener Universitäten zukommt: „Was wissen wir über die 60 arisierten Kunsthandlungen allein in München?“

Noch sind auf Grundlagenforschung angewiesene Suchmaschinen zu den Biografien von Tätern und Opfern, Seilschaften und Transportwegen oder zu den Erwerbungen und Verkäufen der im Auftrag der Nazis tätigen Kunsthändler Zukunftsmusik.

Von Pontius zu Pilatus geschickt

1998 war Provenienzforschung noch ein Fremdwort. Heute zeigen die 148.000 Besucher allein in der Bonner Gurlitt-Ausstellung, dass das Thema in einer breiteren Öffentlichkeit angekommen ist. Umso wichtiger ist es, nicht nur die notwendigen Forschungsstrukturen zu schaffen, sondern auch nach außen so transparent zu machen, dass klar wird, was da geleistet wird, auch für die Erben der Opfer.

Kurz bevor sich nun die internationale Fachwelt in Berlin über die Folgen des vor 20 Jahren vereinbarten Washingtoner Abkommens austauscht, hat das DZK einen sogenannten „Help Desk“ angekündigt. An ihn können sich die Nachfahren der Beraubten wenden.

Sinnvoll wäre es, wenn es so etwas auch für den Handel geben würde. Wem gesetzlich die Beweislast aufgebürdet wird, der darf nicht von Pontius zu Pilatus geschickt werden und am Ende mit leeren Händen dastehen.

20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in ...“, 26.-28. November 2018, veranstaltet vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, Haus der Kulturen der Welt, John Foster Dulles-Allee 10, 10557 Berlin


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