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Georg Kreis verschwieg Basler Raubkunst-Akte - Georg Kreis concealed Basel art seizure file

1998
1970
1945
Basler Zeitung 18 January 2018
von Joël Hoffmann

Der Historiker hat in der Bergier-Kommission die Belege für Kauf der Glaser-Sammlung unter den Teppich gekehrt.


In ehrbarer Mission. Bundespräsident Arnold Koller (rechts) begrüsst Georg Kreis, Mitglied der unabhängigen Historikerkommission zur Schweiz im Zweiten Weltkrieg. In der Mitte Kommissionspräsident Jean-François Bergier.

Nach alt Regierungsrat Christoph Eymann nun der Basler Historiker Georg Kreis. Recherchen der BaZ zeigen, dass mit Kreis ein weiterer Prominenter dieser Stadt Dokumente zur Raubkunst-Akte Curt Glaser vor der Öffentlichkeit verbarg. Kreis war Mitglied der bekannten Bergier-Kommission, welche die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg untersuchte. Der Historiker war verantwortlich für die Studie zum Thema Raubkunst. In dieser Funktion kam er in Kontakt mit den historischen Unterlagen zum heiklen Kauf der Glaser-Sammlung 1933, welche das Basler Kunstmuseum belastet hätten. Doch der renommierte Professor hat einen der wohl grössten Fälle von Raubkunst – sogenanntem verfolgungsbedingtem Verlust – der Schweiz verschwiegen und damit das Basler Kunstmuseum vor unangenehmen Schlagzeilen und vermutlich auch früheren Rückgabeforderungen durch die Glaser-Erben bewahrt. Georg Kreis nahm zu den Vorwürfen keine Stellung.

Der emeritierte Professor gehört zu jenen Akademikern, die sich in die öffentliche Diskussion einbringen. Als eines von neun Mitgliedern der sogenannten Bergier-Kommission, die 2002 ihren Schlussbericht veröffentlichte, hat sein Wort Gewicht – insbesondere wenn es um sein damaliges Schwerpunkt-Thema Raubkunst geht. Seit über zehn Jahren äussert sich Kreis zu Fällen, die auch mit der Akte Glaser vergleichbar sind.

Curt Glaser, ein renommierter Kunsthistoriker in Berlin, musste 1933 wegen der Judenverfolgung der Nazis flüchten und seine Sammlung verkaufen. Wie die BaZ berichtete, nutzte das Basler Kunstmuseum 1933 die Chance, «zu billigen Preisen» an die 120 Werke, darunter Chagalls und Munchs, zu kommen. 2008 lehnte der damalige Regierungsrat Christoph Eymann (LDP) die Rückgabe der Werke an die Erben ab. Die angeblich «sorgfältige Prüfung» des Kaufs durch seinen damaligen Kulturchef Michael Koechlin (heute Fraktionschef der LDP im Grossen Rat) und Anwalt Peter Mosimann fand jedoch nicht statt. Die damalige offizielle Mitteilung der Regierung, man habe die Werke im guten Glauben erworben, weil man nicht gewusst habe, dass es sich um die Glaser-Sammlung handle, war eine Fehlinformation.

Professor widerspricht sich

Während Eymann bis heute über die Falschinformation schweigt, äusserte sich Georg Kreis in diversen Medien dazu. Er nahm die Behörden in Schutz, bezeichnete den Kauf der Glaser-Sammlung, die mehrere Millionen Franken wert ist, als «korrekt»: «Die Präsidialabteilung wird sich auf die geltende Rechtslage berufen müssen und wird korrekt erworbene Werke nicht aus dem Verwaltungsvermögen herauslösen und restituieren können», schrieb er in der TagesWoche. Und wenn, dann könnte man den Erben den damaligen Kaufpreis, der heute 25'000 Franken wäre, als «Geste» zum «Herstellen des Friedens» bezahlen. Mal abgesehen davon, dass 1933 jener Kaufpreis als «besonders billig» bezeichnet wurde, zeigte sich derselbe Georg Kreis in anderen Fällen – welche nicht Basel betreffen – weitaus verständnisvoller für die Anliegen der Erben. 2013 findet er im Interview mit dem Tages-Anzeiger deutliche Worte für Käufer, die Bilder von verfolgten Juden zu «billigen Preisen» erwarben: «Ja, das ist der klassische Tatbestand der Ausnützung einer Notlage. Aber der ist nur dann gegeben, wenn man lediglich einen Dumpingpreis bezahlt.»

Und ebenso deutlich wurde der Basler Historiker, als es um das Kunstmuseum St. Gallen ging, das einer Erbin die Rückgabe eines Bildes verweigerte, welches der jüdische Besitzer 1935 unter Druck der Nazis verkaufen musste. «Allerdings, so hielt Professor Georg Kreis als ehemaliges Mitglied der Bergier-Kommission schon vor Jahren in einem Brief fest, ‹müsste öffentlicher Besitz besonders sauber sein›», schrieb die NZZ 2009.

Kreis, der heute den Glaser-Kauf als «korrekt» bezeichnet, definierte Raubkunst im Bergier-Bericht wie folgt: «Mit Raubgut sind Kulturgüter aus jüdischem Eigentum gemeint, die entweder im Reich beschlagnahmt wurden oder von den Eigentümern noch in Deutschland veräussert werden mussten, zum Beispiel an einer Auktion (...).» Dass diese Definition auf Glaser zutrifft, zeigt Kreis im Bericht gleich selber: Der «Fall Glaser» wird besonders hervorgehoben, ist also eine bedeutende, exemplarische Angelegenheit. Der Bericht behandelt jedoch nur, wie Glaser dem Kunstmuseum Zürich ein Ölbild (Edvard Munch, Musik auf der Strasse) verkaufte, um seine Flucht aus Europa zu finanzieren. Zitiert wird ein Brief Glasers und gefolgert: «Die Schwierigkeiten, in denen Glaser sich befand, zeigt das Schreiben aufs eindrücklichste», so der Bericht. Glaser bot das Bild für 15 000 Franken an, also weit unter dem Marktpreis, doch das reichte nicht. Das Zürcher Museum drückte den Kaufpreis auf 12'000 Franken.

In Zürich ging es um ein Bild, das Basler Kunstmuseum kaufte hingegen 120 Werke. Dennoch erwähnt Kreis besagte Auktion von 1933 in Berlin mit keinem Wort – weder im Schlussbericht der Bergier-Kommission noch in der ausführlichen Studie. Die diversen Protokolle und Korrespondenzen von 1933, welche heute Eymann der Fehlinformation überführten und nun eine neue Aufarbeitung der Akte Glaser einleiteten, kamen erst 2017 durch die Medien an die Öffentlichkeit. Könnte es also sein, dass Georg Kreis 2001, als die Studie herauskam, nichts von diesen Unterlagen wusste?

Die verhängnisvolle Fussnote

Diese Frage kann klar mit Nein beantwortet werden. In der Studie schreibt Kreis: «Auch der Basler Museumsdirektor Otto Fischer kaufte eigenhändig oder über Mittelsmänner zwischen 1933 und 1937 vor Ort Graphiken ein.» 1933 war Fischer in Berlin an der Glaser-Auktion. Wenn ein Historiker etwas schreibt, dann hat er dafür Quellen. Diese sind in der Fussnote 66 der Studie angegeben: «Kunstmuseum Basel, Korrespondenzen von Otto Fischer; Kupferstichkabinett, Inventarbuch des Kupferstichkabinetts.» Diese Quellen liegen der BaZ vor, das Kunstmuseum bestätigt auf Nachfrage, dass unsere Kopien der Dokumente komplett sind. Aus diesen geht bekanntlich hervor, dass Otto Fischer 1933 die Chance nutzte, die Glaser-Sammlung zu «billigen Preisen» zu erwerben.

Kreis hatte also Unterlagen in der Hand, die einen grossen Raubkunst-Fall – mit 120 Werken – belegen und die Einblick in das Geschäftsgebaren des Basler Kunstmuseums während der Nazizeit liefern. Doch im Bergier-Bericht, der genau solche Geschäfte aufdecken sollte, blieb der Fall unerwähnt.

Umfrage

Im Bergier-Bericht blieb der Fall im Zusammenhang mit dem Basler Kunstmuseum unerwähnt. Sollte die Akte Glaser jetzt umfassend aufgearbeitet werden?

Ja 71.5%

Nein 28.5%

888 Stimmen

(Basler Zeitung)

https://bazonline.ch/basel/stadt/georg-kreis-verschwieg-basler-raubkunstakte/story/15951806
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