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Sammlung im Sturm der Geschichte - A Collection in the Storm of History

1998
1970
1945
Frankfurter Allgemeine 12 February 2017
von Bettina Wohlfarth

Von der ganzen Welt bewundert, geraubt von den Nationalsozialisten: Ein letztes Konvolut aus dem Nachlass der einst berühmten Sammlung von Alphonse Kann wird in Paris bei Artcurial versteigert.


Marie Laurencin, „Prinzessin oder Frau mit Äffchen“, 1915, Öl auf Karton, Taxe 30 000/40 000 Euro

D
er Wert eines Kunstwerks wird auch durch seine Vorbesitzer mitbestimmt. Es ist die kaum in rationale Kategorien fassbare, von daher auch nur schwer einschätzbare Aura eines Sammlers, die sich auf die Werke übertragen kann. Alphonse Kann (1870 bis 1948) gehörte zu den legendären Kunstliebhabern der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Seine Sammlung war wertvoll genug, um bei der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 an oberster Stelle auf der Beschlagnahmungsliste der nationalsozialistischen Besatzer zu stehen: neben den atemberaubenden Privatsammlungen französischer Bürger wie der Rothschild-Familie, Paul Rosenbergs, David David-Weills, von Adolphe Schloss oder den Brüdern Bernheim-Jeune.

In den verschiedenen Phasen seiner Sammelleidenschaft trug Alphonse Kann ungewöhnliche Gemälde und Skulpturen von den italienischen Primitiven bis zu namhaften Künstlern seiner Gegenwart zusammen, und brachte sie in seinen Wohnräumen mit ägyptischer, römischer oder islamischer Kunst zusammen, bis hin zu Asiatika und afrikanischer Stammeskunst. Besonders eindrucksvoll sind deshalb auch die Fotos, die der Auktionskatalog von seinen Interieurs zeigt. Sie geben einen Eindruck von den weitreichenden Interessen dieses von der Kunst wahrhaft besessenen Mannes, dessen Wände, Konsolen, Tische und Vitrinen nie genug Platz hergaben, um all die Werke aufzunehmen, die er nach seinem Geschmack zusammenstellte.

Ein Schulfreund von Marcel Proust

Alphonse Kann emigrierte früh genug, im Jahr 1938, nach London und ließ sein Stadtpalais im Pariser Vorort Saint-Germain-en-Laye mitsamt seiner Sammlung zurück. Er sollte nie wieder nach Paris zurückkehren. Im Oktober 1940, nachdem von der deutschen Besatzungsmacht völlig willkürliche Enteignungserlasse für französische Bürger jüdischen Glaubens ergangen waren, brauchten die auf den Kunstraub spezialisierten Einheiten vom „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR) nur mit Lastwagen vorzufahren, um das gesamte Haus zu plündern.

Die Wirren der Zeitläufte und Verkäuffe durch die Erben haben die ehemalige Kann-Sammlung in alle Winde verstreut. Doch wenn das Auktionshaus Artcurial in Paris am 22.Februar ein letztes Konvolut zur Versteigerung bringt, wird diese Kollektion noch einmal lebendige Erinnerung. Etwa achtzig der 175 Lose stammen aus Alphonse Kanns ursprünglichem Besitz. Dabei spiegelt gerade ihre Vielfalt seine stets neugierige Weltoffenheit: ägyptische, römische und afrikanische Statuetten und Bronzen, Asiatika und Gemälde vom 18. Jahrhundert bis zur Vorkriegs-Moderne. Die andere Hälfte der Offerte ist der Sammlung von Hélène Kann-Bokanowski (1910 bis 2000) gewidmet. Zu den geerbten Werken – von denen sie allerdings, wie auch ihre Cousins, die wichtigsten nach und nach verkaufte – gesellte sie ein eklektisches Konvolut an Asiatika und Stammeskunst, einigen Gemälden aus dem 18. und 19. Jahrhundert, vor allem aber mit Werken von Künstlern der Nachkriegs-Moderne bis in die achtziger Jahre.

Alphonse Kann wurde 1870 in Wien in eine jüdische Bankiersfamilie geboren. Mit zehn Jahren zog er mit seinen Eltern nach Paris und wurde ein Schulfreund von Marcel Proust. Später trägt dessen Romanfigur Charles Swann Züge des eleganten, hochgebildeten Kunstkenners Kann, der im mondänen Paris der Belle Époque den absoluten „Chic“ verkörperte. Mit Anfang dreißig beschloss Kann, die Kunst in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen. Besonders interessierten ihn die Alten Meister, von der italienischen und holländischen Malerei bis ins französische 18. Jahrhundert, außerdem Courbet und Ingres. Aber schon früh richtete er seinen Blick auf die noch umstrittenen Zeitgenossen, zunächst Manet und Cézanne, Degas und Bonnard, dann Van Gogh, Matisse, Picasso, Braque, Juan Gris oder Fernand Léger. Er kaufte Paul Klee, Suzanne Valadon und Marie Laurencin. Und damals undenkbar für einen Liebhaber klassischer Kunst: Alphonse Kann trennte sich in zwei Auktionen von Teilen seiner Antiken- und Altmeister-Sammlung, um sich den Modernen widmen zu können.

Hitlers und Görings Auslese

Als der ERR im Oktober 1940 die Kann-Sammlung konfiszierte und in sein Durchgangslager im Jeu-de-Paume-Museum brachte, wurde eine sechzig Seiten lange Inventarliste der rund 1400 Kunstgegenstände angelegt. Insgesamt beschlagnahmte der ERR allein in Frankreich bis zum August 1944 rund 22 000 Kunstwerke aus zweihundert jüdischen Sammlungen. Sie alle bekamen im Jeu de Paume ein Kürzel mit einer Nummer, das Sigel für Alphonse Kanns Werke lautete „Ka“. Es ist sehr bewegend, im gut dokumentierten Katalog von Artcurial nun diesen Inventarnummern zu begegnen. Eines der außergewöhnlichen Lose ist ein streng gemeißelter, stilisierter Männerkopf („Tête d’homme“) des ausgehenden 11. Jahrhunderts aus Niederlothringen. Ein Foto im Katalog zeigt, dass die wahrscheinlich aus einem Hochrelief stammende Skulptur bei Alphonse Kann einen eminenten Platz über dem Kamin innehatte: Sie trägt die Nummer „Ka 639“. Es ist anzunehmen, dass ihre Taxe von 8000 bis 12 000 Euro weit überboten werden wird.

Das Schicksal der Kann-Sammlung steht stellvertretend für alle geraubten jüdischen Sammlungen. Die besten Objekte der vom Kanon der Nationalsozialisten zugelassenen Künstler wurden für Hitler und sein Linzer Museumsprojekt ausgewählt. Die zweite Auslese nahm Hermann Göring vor. Er pickte sich Alte Meister und klassische Werke für seine Privatsammlung heraus; Arbeiten der Moderne, die unerwünscht waren, aber außerhalb des „Dritten Reiches“ einen Marktwert hatten, behielt er zu Tauschzwecken zurück. Ein oder zwei Altmeistergemälde vom Kunstmarkt, die Göring haben wollte, konnten so gegen zehn oder mehr Bilder von Degas, Picasso, Braque oder Matisse eingetauscht werden. Wichtige Werke der Kann-Sammlung gerieten so an Kunsthändler, die sie an Sammler und Museen, oft in der Schweiz oder in den Vereinigten Staaten, verkauften.

Ein junges Mädchen in der Welt der Kunst

Die im Jeu de Paume verbliebenen Bestände wurden in Kunstdepots in Deutschland verfrachtet. Noch am 1. August 1944, als Frankreich kurz vor der Befreiung stand, versuchte der ERR einen letzten Zug mit Kunst über die Grenze zu schaffen. Er wurde jedoch rechtzeitig von der Résistance aufgehalten. Darunter waren auch mehrere Werke, die jetzt zur Versteigerung kommen werden: etwa eine melancholische „Prinzessin oder Frau mit Äffchen“ von Marie Laurencin (Taxe 30 000/40 000 Euro) oder ein doppelseitig bemaltes Aquarell auf Gipsplatte von Georges Braque mit einem hingegossenen „Liegenden Akt“ und einem „Stillleben mit Trauben“ (40 000/60 000).

Wenigstens die Kunstgegenstände aus den deutschen Depots konnten nach dem Krieg geborgen werden. Im Jahr 1947 wurden Alphonse Kann 725 Werke zurückerstattet. Er starb ein Jahr später. Weitere Objekte tauchten in den Jahrzehnten darauf in renommierten Museen auf, die unwissentlich (trotz der ERR-Stempel auf der Rückseite) während des Kriegs oder danach Raubkunst erworben hatten. „Madame Camus am Klavier“ von Edgar Degas befand sich in der Zürcher Bührle Stiftung, „Rauch über den Dächern“ von Fernand Léger im Minneapolis Institute of Arts und „Mann mit Gitarre“ von Georges Braque im Pariser Centre Pompidou. Erst nach jahrelangen Prozessen wurden die Erben anerkannt und ausbezahlt.

Seine Nichte Hélène hatte Alphonse Kann schon als junges Mädchen in die Welt der Kunst eingeführt, sie zu Besuchen bei Braque, Picasso oder Gertrude Stein mitgenommen. Sie wurde Kunsthistorikerin und sammelte auch selbst ihr Leben lang: Eine romantische Nachtszene, „Straße nach dem Regen im Mondschein“ von John Atkinson Grimshaw, trägt die höchste Schätzung der gesamten Auktion mit 100 000 bis 150 000 Euro. Hélène Kann-Bokanowski sammelte wichtige französische Künstler wie André Masson, Maurice Estève oder Olivier Debré neben Jan Voss oder Richard Artschwager; Artschwagers Acrylgemälde „HomesII– 1967“ wird auf 80 000 bis 120 000 Euro taxiert. Kann hatte seine Nichte dazu angeleitet, ihrer inneren Stimme zu folgen – nicht den Moden, sondern ihren Sinnen. Sie werden im Spiel gewesen sein, als Hélène Kann ein kleines bezauberndes und zugleich rätselhaftes Aquarell des französisch-chinesischen Malers Zao-Wou-Ki aus dem Jahr 1950 entdeckte, dessen vorsichtige Erwartung bei 20 000 bis 30 000 Euro liegt.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunstmarkt/sammlung-im-sturm-der-geschichte-14871350.html
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