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Wie der Faschismus eine glanzvolle Karriere zerstörte - How Fascism destroyed a Splendid Career

1998
1970
1945
Die Welt 30 December 2016
Von Hans-Joachim Müller - English translation below


Das Intaglio (Steinschnitt) aus dem frühen 17. Jahrhundert gehörte einst Bachstitz und wurde nun bei Sotheby's für 325.000 Pfund versteigert.

Der jüdische Kunsthändler Kurt Walter Bachstitz verkaufte an Hitlers Führermuseum. Aus der Not? Sein Enkel ist davon überzeugt. Jetzt erlebte dieser eine überraschende Wiedergutmachung.

Ein bisschen müde – wie nach langer Reise, langem Leben. Man gibt sich die Hand, schweigt, wartet auf die Geschichte. Seine Geschichte. 73 Jahre hat Anthony Immerglück werden müssen, um sie erzählen zu können. Die Geschichte einer jüdischen Familie im 20. Jahrhundert. Die Geschichte einer glanzvollen Kunsthändlerkarriere, die im faschistischen Deutschland zusammenbrach. Die Geschichte vom jahrzehntelangen Kampf um Rückgabe erpresster Kunstwerke.

Zusammen mit seinem Anwalt Henning Kahmann ist der Enkel des Kunsthändlers Kurt Walter Bachstitz nach Berlin gekommen, weil er noch immer hofft. Hofft auf ein knappes Dutzend Bilder und kunstgewerbliche Objekte, die Bachstitz an die Nazis verkaufen musste und nach dem Zweiten Weltkrieg an die Niederlande zurückgegeben wurden und bis heute Gegenstand erschöpfender Restitutionsauseinandersetzungen sind.

Vor wenigen Jahren hat das Berliner Kunstgewerbemuseum eine Schreibtafel und einen Bronzemörser aus der Renaissance, die 1943 bei Bachstitz erworben worden waren, restituiert. „Auf Grundlage der Washingtoner Prinzipien von 1998“, wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz erklärte. Insgesamt wurde Anthony Immerglück aber nur ein kleiner Ausschnitt der Sammlung zurückgegeben, meist, wenn man beweisen konnte, dass das Stück aus seinem Privatbesitz stammte.

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Werk aus Bachstitz-Besitz taucht bei Auktion auf

Und vor Kurzem dann die Überraschung: ein antikes Intaglio, das Bachstitz 1941 an die Sammlung Hitler (Sonderauftrag Linz) verkaufte. Der als Medaillon gefasste Steinschnitt wurde von Sotheby’s auf 8.000 bis 12.000 Pfund geschätzt. Der Betrag wäre eine kleine Wiedergutmachung gewesen. Zugeschlagen aber wurde es am 6. Dezember in London für 325.000 Pfund, mit Provision sogar rund 400.000 Pfund.

Anthony Immerglück ist seinem Großvater nie begegnet. Kurt Walter Bachstitz war Jahrgang 1882. Die Generation von Braque, Picasso, Kirchner. Der junge Mann hat Architektur studiert und bis 1914 in Wien, dann in Berlin als Architekt gearbeitet. Erst nach dem Krieg begann er in München als Kunsthändler. Ohne besondere Vorkenntnisse – und doch gleich in großem Stil.


Kurt Walter Bachstitz, 1924

In Thomas Manns Tagebüchern findet sich eine süffisante Notiz von einem Treffen: „Der Mensch, blond-jüdisch und elegant, Mitte dreißig, mit Monokel und fetten, weißen, manikürten Händen, in gesteppter Hausjacke und Lackhausschuhen, wunderbar als Typus des international-kultur-kapitalistischen Schiebertums.“

Mit guter Intuition muss das kunsthändlerische Start-up den modernen resistenten Zeitgeschmack bedient haben. Auf Experimente ließ sich Bachstitz erst gar nicht ein. Von Beginn an hatte er beste Sammler- und Museumsstücke im Programm, all die gesuchten Dekorationsgegenstände für den großbürgerlichen Salon, Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts, antiken Schmuck, Kunstgewerbe – willkommene Devisen und Kapitalanlagen für eine restaurativ gestimmte Kundschaft, deren Welt drauf und dran war, sich ökonomisch, kulturell und gesellschaftlich zu ruinieren. Sie fanden an all dem Gefallen, was das künstlerische Jakobinertum der Zehnerjahre ein für alle Mal von den Wänden holen wollte.

Bachstitz hatte Galerien in Europa und Amerika

1920 gelang dem Kunsthändler ein so großer Coup, als er die nachgelassene Sammlung des Frankfurter Industriellen Friedrich Ludwig Gans ankaufte, dass er seinen Handelssitz nach Den Haag verlegte und bald darauf Dependancen in Berlin und New York eröffnete.

1931 ging der jüdische Finanzier Stefan Auspitz bankrott und wieder übernahm Bachstitz die bedeutende Sammlung mit Werken von Cranach, Rembrandt oder Rubens und einem Tresor voller kunstgewerblicher Raritäten. Dass der Notverkauf wohl nicht unter Höchstpreisbedingungen geschah, davon wird man getrost ausgehen dürfen.


Der Mörser aus dem 16. Jh. wurde vom Berliner Kunstgewerbemuseum an die Erben des Kunsthändlers Kurt Walter Bachstitz restituiert.

Die steile Kunsthändlerkarriere von Bachstitz aber war mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten noch nicht zu Ende. Bis 1937 konnte er ungehindert reisen. Erst dann schloss er seine Dependancen, gab seine österreichische Staatsbürgerschaft auf und emigrierte mit seiner Frau Lily Emma Hofer nach Den Haag. Warum Bachstitz die Flucht nach Amerika nicht erwog, wo er eineinhalb Jahrzehnte residierte, bleibt ein Rätsel.

Familiäre Nähe zum Kunsträuber Göring

Vielleicht war ja sein Schwager schuld, Walter Andreas Hofer, der von 1922 bis 1926 die Bachstitz-Galerie in Den Haag leitete und später einer der umtriebigsten Kundschafter bei Hermann Görings Kunstraubzügen wurde. Das Familienunternehmen passte sich an, der Weg zu den Führungscliquen war ja auch verführerisch kurz.

Man wird das heute nicht mehr politisch, moralisch, juristisch sauber entscheiden können, wie „freiwillig“ die Zusammenarbeit geschah. Dass der Kaufmann Bachstitz keine Bedenken hatte, mit denen zu handeln, die ihm nach dem Vermögen und dem Leben trachteten, dafür mag es schon Indizien geben.

Aber unstrittig ist, dass er ohne Agenten wie Hans Posse, den Hauptbeschaffer des projektierten Führermuseums in Linz, ohne seinen Nachfolger Hermann Voss oder den Karlsruher Kunsthallendirektor Kurt Martin, den „Staatlichen Bevollmächtigten für die Sicherstellung von Kunstbesitz aus volks- und reichsfeindlichen Vermögen“ nicht hätte überleben können. Ein freier Kunsthandel auf Nazi-Distanz war ihm nicht möglich.

Nach dem Krieg unverdächtig

Ob er selber Bilder aus beschlagnahmtem jüdischen Kunstbesitz im Angebot hatte, ist möglich, aber nicht nachgewiesen. Zumindest rangiert Bachstitz unter den sogenannten „Red Flag Names“, und wurde von den USA bei Kriegsende mit dem Vermerk versehen: „Believed not to have engaged in important art looting activity.“

Gut belegt ist indes, wie Posse die prekäre Lage seines jüdischen Geschäftspartners nach Kräften auszunutzen wusste. Als sein Auge auf das „Schlafende Mädchen mit Raucher“ des Barockmalers Jan Steen fiel, ignorierte er die geforderten 40.000 Gulden und zahlte 30.000 maximal. Die Genreszene passte prächtig in Hitlers Musterkollektion. Posse wollte das Bild haben. Bachstitz musste verkaufen. Und bedankte sich artig beim „sehr geehrten Herrn Professor“:

„Soeben empfing ich Ihre geschätzten Zeilen, für die ich Ihnen ergebenst danke. Wie ich Ihnen bereits versichert habe, liegt mir ausserordentlich viel daran, Ihre Wünsche, soweit es in meiner Macht liegt, zu erfüllen, und dieserhalb akzeptiere ich die von Ihnen mir gemachte Offerte.“ Hatte Bachstitz eine andere Wahl? Und was hätte er tun sollen, als die Kreise um ihn immer enger wurden?

Werke sind in alle Welt zerstreut

Es war Hofer, der erreichte, dass eine Verhaftung schnell aufgehoben wurde. Sein Schwager Hofer beschaffte ihm 1944 ein Ausreisevisum in die Schweiz. Die Galerie hatte Bachstitz bereits 1941 an seine nicht-jüdische Frau übertragen, von der er sich, auf Betreiben Hofers hat scheiden lassen. Bachstitz musste für alle Lebensrettungsmaßnahmen mit Kunst bezahlen.

Nach 1945 fielen die Kunst, die Bachstitz für das Linzer „Führermuseum“ verkauft hatte, an die Niederlande. Gemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts, antiker Schmuck aus Griechenland. Heute zusammen ein Marktwert von rund 1,5 Millionen Euro. Seit Jahren bemüht sich der Interessensvertreter der Erben, der Berliner Anwalt Henning Kahmann, um die Rückgabe einzelner Stücke, für die er beweisen kann, dass sie aus dem Privatbesitz in der Not verkauft wurden.

Auf eine negative Entscheidung der niederländischen Restitutionskommission 2009 hin hat er vier Jahre weitere Recherchen vorgelegt – an deren Ende nun das kleine Intaglio zurückgegeben wurde. Sein Hauptargument ist diesmal die inzwischen gut dokumentierte Preisdrückerei des Nazi-Dealers Posse. Das Absenken der Preise sei ein klares Indiz für Unfreiwilligkeit.

Die Auktion in London ist nun ein kleines Happy End für Anthony Immerglück. Aber er hofft immer noch auf eine Rechtsprechung, die vielleicht doch mehr ist als nur bestandenes Abenteuer im Dschungelcamp der Paragrafen und Präjudizien. Man gibt sich die Hand, schweigt.


English translation:

The Jewish art dealer Kurt Walter Bachstitz sold to Hitler's Führermuseum. Under duress? His grandson is convinced of it. But he is now experiencing some surprises.

Anthony Immerglück has come to Berlin to tell his story because he still hopes for the restitution of about a dozen art works which Bachstitz had to sell to the Nazis and which were transferred to The Netherlands after the war. A few years ago the Berlin Kunstgewerbemuseum restituted, on the basis of the Washington Principles, a Renaissance slate and bronze mortar which it had acquired in 1943. However, only a small part of the collection was returned. But then there was a surprise: An antique intaglio, which Bachstitz had sold to Adolf Hitler's museum (Sonderauftrag Linz) from his private collection turned up. Sotheby's estimated the value of the gem at up to £12,000. This amount would have been a consolation price. But it was sold at auction for £325,000. [It was acquired by the J. Paul Getty Museum, http://news.getty.edu/article_display.cfm?article_id=6126, which also holds an antique statuette which Bachstitz sold to Adolf Hitler's collection in 1940 http://www.getty.edu/art/collection/objects/29495/unknown-maker-statuette-of-a-draped-female-figure-perhaps-nyx-roman/].

Bachstitz had started his career as an art dealer after WWI in Munich, not with a lot of knowledge, but on a grand scale. In 1920 he managed to acquire the collection of the deceased industrialist Friedrich Ludwig Gans. In 1931 he bought the collection of the Jewish financier Stefan Auspitz, who had gone bankrupt in the financial crisis of 1931, which included works by Cranach, Rembrandt and Rubens. One may doubt that Bachstitz paid particularly high prices under these circumstances. Bachstitz sold works of museum quality - paintings from the 17th and 18th century and antiquities - to a very conservative clientele all over Europe and in the United States. In his diary Thomas Mann wrote that he was an "international cultural-capitalist spiv".

His career was not over when the Nazis took power. Bachstitz was able to travel freely until 1937. Only then he closed his galleries outside The Hague, gave up his Austrian citizenship and settled in The Hague. He apparently did not consider emigration to the United States. Perhaps because of his relation to Walter Andreas Hofer, who had run the gallery in The Hague from 1922-1926 and later became Hermann Göring's art buyer. At any rate Bachstitz could not have survived without agents like Hans Posse and his successor Hermann Voss, or Kurt Martin, the head of the Kunsthalle Karlsruhe. A free art trade at a distance from the Nazis was not possible.

Possibly Bachstitz himself sold works which had been sold by Jews under duress, but this is not proven. While having listed his as a "Red Flag Name", the Allies believed him„not to have engaged in important art looting activity. However it is well documented that Posse - Hitler's art buyer - exploited the precarious situation of his Jewish counterpart. When he wanted to buy a painting by Jan Steen, 'Sleeping Girl with Smoker', he ignored Bachstitz's offer to sell the work for 40,000 Guilders and paid only 30,000. Bachstitz courteously thanked Posse for his offer and accepted it saying that he was "extraordinarily keen to fulfill your wishes".

After WWII the works sold to Hitler's collection went to The Netherlands. Today they are worth about 1.5 million Euros. After a negative decision by the Dutch Restitution Committee in 2009, Anthony Immerglück's lawyer Henning Kahmann provided the Committee with the results of four years of historical research. At the end of this endeavour the intaglio was restituted. Kahmann's main argument is the now well documented price cutting of the Nazi art dealer Posse. He argues that the lowering of the prices was a clear indication of involuntary sale. 

The London auction is now a little happy ending for Anthony Immerglück. But he still hopes for the restitution of the other works his grandfather sold to Posse.

https://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article160717283/Wie-der-Faschismus-eine-glanzvolle-Karriere-zerstoerte.html
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