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Von der „wilden Arisierung“ zur VUGESTA - From 'Wild Aryanisation' to the Vugesta

1998
1970
1945
ORF 4 November 2015

Während der NS-Herrschaft in Österreich sind Tausende Alltagsgegenstände jüdischer Bürger „arisiert“ worden. Zahlreiche Objekte landeten auf direktem oder indirektem Weg in den Beständen des Technischen Museums Wien (TMW). Nach jahrelanger Provenienzforschung in den eigenen Depots präsentiert das Museum nun ausgewählte Exponate im Rahmen der Dauerausstellung „Inventarnummer 1938“.

Seit der Verabschiedung des Österreichischen Kunstrückgabegesetzes im Jahr 1998 seien insgesamt mehr als 80.000 Objekte, Bücher und Archivalien aus den Beständen des Technischen Museums überprüft worden, sagte TMW-Direktorin Gabriele Zuna-Kratky am Dienstag auf einer Pressekonferenz anlässlich der Ausstellungseröffnung.

Bisher habe es 16 Restitutionsfälle gegeben, so Christian Klösch, der für die Provenienzforschung am TMW zuständig ist. Acht dieser Fälle hätten mit einer Einigung geendet, in acht weiteren laufe die Suche nach den rechtmäßigen Erben.

Der Schauraum als überdimensionale Holzkiste

Die Dauerausstellung umfasst ein Sammelsurium von Objekten des täglichen Lebens. Der Bogen spannt sich dabei von sanitären Einrichtungen, medizinischen Geräten über Radios bis hin zu Büchern, Musikinstrumenten und Fahrzeugen. Der Schauraum vermittelt dem Besucher das Gefühl, sich in einer Holzkiste zu befinden, ähnlich den Exponaten, die viele Jahre lang in den Speichern des TMW lagerten.

Mit der Ausstellung zieht das TMW eine „Zwischenbilanz“, so Zuna-Kratky. Das Durchforsten der Bestände ist laut Provenienzforscher Klösch noch nicht abgeschlossen. Untersucht werden alle Objekte, die ab dem 12. März 1938 in die Bestände aufgenommen wurden. Am Ende des Prozesses werde man die Herkunft von 100.000 bis 150.000 Gegenständen bestimmt haben.

Kunstgegenstände dominieren die Diskussion

„Die öffentliche Diskussion um Provenienzforschung wird von der Frage der Rückgabe von wertvollen Kunstgegenständen beherrscht“, sagte Zuna-Kratky bei der Pressekonferenz. „Dabei wird meist übersehen, dass die Nationalsozialisten hauptsächlich Objekte des alltäglichen Lebens, wie Radio- und Fotoapparate, Möbel, Fahrräder, Musikinstrumente, Wäsche, Autos oder Motorräder, von ‚rassisch‘ und politisch Verfolgten gestohlen haben.“

Laut Museumsleitung ist die Intention der Ausstellung „Inventarnummer 1938“, sich mit der Zeit selbst abzuschaffen - wenn die Objekte in Zukunft an die Familien der rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben sind.

„Arisierung“ ab 1938

Die Beschlagnahmung von Alltagsgegenständen jüdischer Bürger begann bereits kurz nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938. Anfangs kam es zu „wilden Arisierungen“, bei denen Kraftfahrzeuge, Schmuck und Wertgegenstände ihren jüdischen Besitzern entzogen wurden.

Ab 30. Juli 1938 ermächtigte der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, die Geheime Staatspolizei (Gestapo) dazu, beschlagnahmtes mobiles Vermögen von Juden öffentlich versteigern zu lassen. Durchgeführt wurden die Versteigerungen im Dorotheum und seinen Zweigstellen in den Bundesländern.

Der massenhafte Raub von jüdischem Eigentum wurde in der Folge zunehmend institutionalisiert. Mit dem Kriegsbeginn 1939 mussten Juden Schreibmaschinen und Radios abgeben, der Besitz eines Telefons wurde ihnen ebenfalls verboten. Im Jahr 1940 schließlich gründete die Wiener Gestapo die Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Geheimen Staatspolizei (VUGESTA). Die Behörde organisierte fortan den Verkauf der Besitztümer von jüdischen Emigranten und von Wiener Juden, die in Vernichtungslager deportiert worden waren.

Schwierige Suche nach rechtmäßigen Erben

Die Suche nach den rechtmäßigen Erben der geraubten Alltagsgegenstände ist schwierig und zieht sich oftmals über Jahre hin. Ein gutes Beispiel hierfür ist das größte Objekt der Ausstellung, ein schwarzer Fiat 522 C, der einst der Wiener Kauffrau Rosa Glückselig gehörte.

Das Fahrzeug wurde im März 1938 von der SA beschlagnahmt. Die SA verkaufte das Auto zunächst an die Bundesgärten Schönbrunn, die es im November 1952 schließlich dem Technischen Museum Wien schenkten. Familie Glückselig war im Jahr 1939 die Flucht nach Südamerika gelungen. Restituiert wurde der Wagen schließlich 2008. Im selben Jahr kaufte das TMW den Erben das Gefährt ab.

Die Recherchen zur Herkunft des Fahrzeugs führten zu einem internationalen Forschungsprojekt, das unter dem Titel „Autos mit Vergangenheit - Entzug und Restitution von Kraftfahrzeugen. Aspekte zur Verkehrsgeschichte Österreichs (1930 - 1955)“ mit der Israelitischen Kultusgemeinde und dem Deutschen Museum München realisiert wurde. Die Ergebnisse sind seit Kurzem in einer Datenbank abrufbar.

„Kostenlose“ Übernahmen

Nicht alle in der Ausstellung gezeigten Exponate waren vom NS-Regime geraubt worden. Manche Juden versuchten, ihr Eigentum vor dem Zugriff der Nazis zu retten, indem sie es an Museen verschenkten. Ein Beispiel ist die Literatursammlung von Richard Gerstl. Gerstl war als landwirtschaftlicher Sachverständiger tätig, wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er von den Nazis verfolgt.

Kurz vor seinem Tod im Jahr 1938 überließ er dem TMW seinen Nachlass. „Da ich als Jude möglicherweise gezwungen sein werde, meine Heimat, trotzdem ich 76 Jahre lang hier wohne, zu verlassen, und oben genannte Bücher usw. nicht mitnehmen kann, so erlaube ich mir die Anfrage, ob Sie geneigt sind, diese zu übernehmen, kostenlos“, schrieb Gerstl an das Museum. Die Geschichte der Objekte konnte im Rahmen der Provenienzforschung geklärt werden, Erben wurden allerdings keine gefunden.

Auf verschlungenen Wegen ins TMW

Einige der Objekte kamen über Umwege ins Haus. Ein Beispiel hierfür ist die Orgel von Willibald Duschnitz, die im Festsaal des Technischen Museums steht. Nach seiner Emigration war die Orgel in Duschnitz’ Villa geblieben, die während des Krieges besetzt wurde. 1950 wurde der Besitz zurückgegeben, 1955 verkaufte er die Orgel an die Pfarre Leopoldsdorf.

1994 schließlich erwarb das TMW das Stück. Die Forschung zur Herkunft des Instruments erwies sich für Duschnitz’ Enkel Harold Chipman als Glücksfall. Bis 2014 habe die Familie nicht gewusst, was mit der Orgel geschehen war, erzählte Chipman bei der Pressekonferenz in Wien. Seitens des Museums will man auch bei Neuankäufen weiterhin die Herkunft der Objekte ermitteln.

Links:

Buch zur Ausstellung

Christian Klösch: Inventarnummer 1938. Provenienzforschung am Technischen Museum Wien. Edition TMW, Band 4, 144 Seiten, 22,80 Euro

http://orf.at/stories/2307514/2307516/
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