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Gurlitt bewegt nun zaghaft auch das Bundeshaus - Gurlitt case prompts timid movement by the Swiss Parliament

1998
1970
1945
Der Bund 6 March 2015
von Marcello Odermatt

SP-Parlamentarier fordern von Bundesrat Berset mehr Provenienzforschung. Der Druck scheint zu fruchten.



Es geht um internationalen Kunsthandel, Raubgut, Fluchtgut und «entartete Kunst». Ob das Kunstmuseum Bern das Erbe von Kunstsammler Cornelius Gurlitt je erhalten wird, um dereinst wie geplant die Herkunft der umstrittenen rund 1500 Werke dokumentieren zu können, darüber wird zwar noch vor Gericht gestritten. So oder so aber hat Gurlitt die Schweiz an ein dunkles Kapitel ihrer Vergangenheit erinnert.

Immerhin ist das Kunstmuseum Bern ja keineswegs das einzige Museum in der Schweiz, das umstrittene, nachrichtenlose Werke in seinen Kellern besitzt. Die Schweiz war einer der grössten Umschlagplätze für Raubgut und Fluchtgut aus NS-Deutschland, wie 2001 ein Teilbericht der Historikerkommission Bergier festgestellt hatte. Eine systematische Untersuchung der Museumsbestände im Rahmen der Provenienzforschung fand hingegen bis heute kaum statt.

Bockiger Berset

So fiel gerade die grosse Abwesenheit des Bundes in der aktuellen Debatte um Gurlitt auf. Zwar waren das Auswärtige Departement sowie das Bundesamt für Kultur (BUK) als Supporter an den Gurlitt-Verhandlungen mit Deutschland involviert. Aber nur im Rahmen der «Guten Dienste». Letztlich stellten sich die Verantwortlichen im Bundesamt für Kultur, ein Amt im Innendepartement von SP-Bundesrat Alain Berset, nicht nur auf den Standpunkt, vom Fall Gurlitt nicht betroffen zu sein. Das BAK vertrat insbesondere auch die Meinung, die Provenienzforschung genügend zu unterstützen.
 
Dies machte auch der Bundesrat in seinen Antworten auf mehrere Vorstösse in den letzten Wochen und Monaten klar. Sämtlichen Forderungen, mehr für die Provenienzforschung zu tun, erteilte Berset Absagen. In der neusten Kulturbotschaft des Bundes für die Jahre 2016 bis 2019, die aktuell in den Komissionen beraten wird, räumt das BAK zwar ein: Bei Museen und Sammlungen von Kantonen, Gemeinden und Privaten bestünden weiterhin Lücken. Ein eigenes stärkeres Engagement wird aber nicht angekündigt. Der Bund «wünscht», wie er wiederum in der aktuellsten Antwort auf einen Vorstoss des Neuenburger Ständerats Raphaël Comt (FDP) festhält, dass die Museen die Forschung intensivieren und die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung stellen.

Tschäppät: «Moralische Pflicht»

Wenn auch nicht Gurlitt als Spezialfall, so doch die Provenienzforschung als Ganzes – das sei Sache des Bundes, hiess es hingegen bald mal nach Bekanntwerden des Gurlitt-Testaments. «Angesichts der gesamtschweizerischen Bedeutung der Provenienzklärung», schrieb etwa die rot-grüne Regierung des Kantons Bern in ihrer Stellungnahme zur neuen Kulturpolitik an den Bundesrat im letzten Herbst, müsse der «Bund eine aktive Rolle» spielen und «entsprechende Ressourcen» zur Verfügung stellen. Und auch aus Wissenschaftskreisen kamen Forderungen: Kunsthistoriker Norberto Gramaccini, Professor am Institut für Kunstgeschichte an der Universität Bern, etwa sagte: Die Schweiz täte gut daran, das gesamte Ausmass des Kunsthandels in der Nazizeit auf bilateraler Ebene mit Deutschland aufzuarbeiten. «Es geht klar um einen politischen und nicht nur kunsthistorischen Auftrag.»

Nun scheint aber tatsächlich etwas Bewegung in die Sache zu kommen. Der Druck von politischer Seite auf Bundesrat und BAK hat stark zugenommen. Stutzig über das bisherige Desinteresse des Sozialdemokraten Berset wurden dabei gerade einige seiner Parteikollegen in der SP-Fraktion. Der Bundesrat mache nicht nur zu wenig für das brisante Thema, sondern er verpasse eine grosse Chance, in einem international beobachteten Gebiet Führung und Leitung zu übernehmen, lautet der Tenor. Berns Stadtpräsident, Nationalrat Ale­xander Tschäppät, sagt: «Einmal mehr tut sich die Schweiz schwer damit, ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten.» Die Schweiz habe eine «klare moralische Verpflichtung». Am Schluss, so befürchtet Tschäppät, «müssen wir wieder unter Druck nachziehen». Kollege Matthias Aebischer sieht es ebenso.

Der SP-Nationalrat und Präsident der Kommission Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) hat gestern einen weiteren Vorstoss eingereicht: «Die Schweiz ist bezüglich Provenienzforschung noch nicht so weit wie andere Länder.» Laut Aebischer muss die Schweiz eine Koordinationsfunktion übernehmen, allenfalls gar das Gesetz anpassen, um Druck auf die Museen machen zu können. Berns Ständerat Hans Stöckli (SP) plädiert zwar dafür, das «sehr komplexe» Thema «ruhig und gelassen» anzugehen. Aber auch er sagt: Der Bund und die öffentlichen Museen sollten bei der Provenienz noch mehr und besser koordinieren. «Die Schweiz ist gut beraten, wenn sie das Thema sehr ernst nimmt und die involvierten Kreise die Ziele gemeinsam formulieren.»

Chassot lädt zur Diskussion

Allerdings: Gerade die Museen in der Schweiz zeigten bisher nur wenig Interesse, sich für eine breite Untersuchung zu öffnen, wohl auch, um heikle Diskussionen zu vermeiden. Und der Bund scheute sich, zu intervenieren. Es wäre daher «wünschenswert», sagt Christoph Schäublin, Stiftungsratspräsident des Kunstmuseums Bern, wenn die «Schweizer Museen eine gemeinsame Haltung» einnehmen würden und der Bund dabei die Gespräche koordinieren könnte.

Tatsächlich scheint es nun in diese Richtung zu gehen. Berset und das BAK haben ihre Haltung offenbar angepasst. Wie das BAK bestätigt, lädt BAK-Chefin Isabelle Chassot die von Raubkunst betroffenen Museen ein – «nur zur Diskussion», wie es vorerst heisst. Ein Brief ist abgeschickt worden und dieser Tage bei zwölf Museen eingetroffen. Er richtet sich an all jene Museen, die sich 1998 für die Provenienzforschung verpflichtet haben. Was Chassot will, ist zwar noch unklar. Ob alle Museen daran Freude haben, ebenso. Klar ist aber: Ohne Gurlitt wäre es so weit kaum gekommen.

Provenienzforschung des Bundes

Im Zuge der Debatte um die nachrichtenlosen Vermögen richtete der Bund 1998 die Anlaufstelle Raubkunst beim Bundesamt für Kultur (BAK) ein. Der Bund hat die Provenienzen der Kulturgüter in seinen Museen und Sammlungen aufgearbeitet und publiziert. Es wurden zwei Studien zum Thema in Auftrag gegeben und publiziert, darunter der Teilbericht der Historikerkommission Bergier. Die Schweiz ist Teil des Washingtoner Abkommens, das den Umgang mit Raubkunst und Fluchtgut regelt. Zum Stand der Provenienzforschung in den Museen und Sammlungen Dritter publizierte der Bundesrat 2011 mit den Kantonen einen Bericht. Erst seit 2013 existiert ein spezifisches Internetportal dafür. Der Bund sieht weiterhin Lücken, findet aber, dass vorab die Museen gefordert sind.

http://www.derbund.ch/bern/stadt/Gurlitt-bewegt-nun-zaghaft-auch-das-Bundeshaus/story/18854602
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