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Karl-May-Museum gegen Ureinwohner: Der Streit um die Skalpe von Radebeul - Karl-May-Museum versus Native Americans: The dispute about the scalps of Radebeul

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Spiegel Online 18 August 2014
By Marc Pitzke

Im Karl-May-Museum im sächsischen Radebeul befinden sich auch 17 Original-Skalpe. Nun bestehen US-Ureinwohner auf eine Rückführung der Trophäen. Das Museum weigert sich - es droht ein transatlantischer Kulturkonflikt.


Das Karl-May-Museum in Radebeul: Mit seinen 840 Exponaten müht es sich zwar, die sentimentalen Wild-West-Fantasien des Winnetou-Schöpfers mit der realen, harten Geschichte der amerikanischen Ureinwohner zu vereinen.

Das Karl-May-Museum in Radebeul bei Dresden ist ein Monument überkommener Weltbilder. Mit seinen 840 Exponaten müht es sich zwar, die sentimentalen Wild-West-Fantasien des Winnetou-Schöpfers mit der realen, harten Geschichte der US-Ureinwohner zu vereinen. Doch Karl Mays ethnische Klischees lassen bis heute nicht nur Besucher aus den USA schmunzeln.

Einigen aber ist das Schmunzeln vergangen. Sie stoßen sich am makabersten Teil der Sammlung: 17 Original-Skalpe, von denen bis vor kurzem vier öffentlich ausgestellt waren. Die meisten stammen von US-Ureinwohnern. Mindestens ein Stamm fordert nun den ihm zugeschriebenen Skalp zurück, um ihm daheim ein würdiges Begräbnis geben zu können. Doch das Museum weigert sich - und riskiert damit einen transatlantischen Kultur-Konflikt.

"Teile eines Menschen als Geisel"

"Für uns ist dies so eine ernste und emotionale Glaubensfrage", sagte Cecil Pavlat, der für die Rückführung von Kulturgütern zuständige Beaufragte des Anishinabe-Volks aus dem US-Bundesstaat Michigan, der "New York Times". "Wir verstehen uns als Fürsprecher aller unserer Vorfahren." Kein Museum dürfe "Teile eines Menschen als Geisel nehmen".

Pavlat hat das Karl-May-Museum in einem empörten Schreiben aufgefordert, den Skalp abzutreten: Die Ausstellung sei "despektierlich, beleidigend und unzumutbar".


Doch Karl Mays ethnische Klischees lassen bis heute nicht nur Besucher aus den USA schmunzeln. Einigen aber ist das Schmunzeln vergangen. Sie stoßen sich am makabersten Teil der Sammlung: 17 Original-Skalpe, von denen bis vor kurzem vier öffentlich ausgestellt waren. Die meisten stammen von amerikanischen Ureinwohnern.

Museumskurator Hans Grunert bleibt aber hart: "Bisher galten Skalpe immer als Kriegstrophäen", sagte er jetzt ebenfalls der "New York Times". Auch wolle man nicht nur einen Skalp "an einen Stamm zurückgeben, und dann kommt ein anderer und besteht darauf, dass das seiner war". Deshalb müsse die Herkunft zunächst eindeutig festgestellt werden - erst dann könne ein Skalp ausgehändigt werden.

Eile hat das Museum damit aber nicht. Der Skalp-Streit köchelt hinter den Kulissen schon seit Jahren. Erst die "New York Times" hat ihn jetzt an die dafür äußerst sensible US-Öffentlichkeit gebracht. In einem groß aufgemachten Artikel amüsiert sich Amerikas wichtigste Zeitung nicht nur über den seltsamen Karl-May-Kult der Deutschen und ihre "Faszination mit dem alten Westen" - sondern erhebt das Skalp-"Gerangel" zugleich zum Symbol für ein breiteres "Aufeinanderprallen der Kulturen".

Museumsdirektorin Claudia Kaulfuss wies die Forderung kategorisch zurück: Sie sei "schockiert und auch überrascht" über die "Anschuldigungen", antwortete sie dem Anishinabe-Vertreter. Das Museum habe nie die Absicht gehabt, die Ehre der US-Ureinwohner zu missachten. Vielmehr stellten die Skalpe "einen Teil der indianischen Kulturgeschichte" dar. Der von den Anishinabe beanspruchte Skalp sei seit 20 Jahren nicht ausgestellt worden und ruhe "sicher in unserem Fundus".


Jährlich sollen etwa 60.000 Menschen das Museum besuchen.

Seit einem Treffen mit Pavlat, der im Juni persönlich nach Radebeul reiste, stellt das Museum keine Skalpe mehr aus und bewahrt sie nur noch im Lager auf. Doch eine Rückgabe scheint weiter außer Frage zu stehen: Man wolle nicht auf Konfrontation gehen, sagte Grunert. "Auf der anderern Seite, ein Museum hat den Auftrag, Objekte kulturgeschichtlicher Art zu bewahren und zu beschützen. Also wir können nicht einfach irgendwelche kulturgeschichtlichen Gegenstände vernichten."

Die Rechtslage ist umstritten. In seinen "Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten" unterstützt der Deutsche Museumsbund die Rückführung solcher - weist Skalpen aber eine Ausnahmestellung zu, die nur im Einzelfall geklärt werden könne: "Den Gegner zu töten und seine körperlichen Überreste zu bearbeiten, gehörte hier zum gesellschaftlichen Konsens."

Wie Patty Frank den Skalp "erbeutete"

Die Herkunftsgeschichte der Radebeuler Skalpe ist so abenteuerlich wie die Geschichten Karl Mays. Den fraglichen Anishinabe-Skalp und die meisten anderen habe Museums-Mitbegründer Ernst Tobis alias Patty Frank selbst "erbeuten" können, heißt es auf der Website der federführenden Karl-May-Stiftung.
Frank sei 1904 als Artist beim Zirkus Barnum & Bailey in ein Reservat gekommen und habe den Nachkommen des Dakota-Häuptlings Swift Hawk den auf einen Rahmen gespannten Anishinabe-Skalp abgehandelt - für zwei Flaschen Whisky, eine Flasche Apricot Brandy und 1100 Dollar. Inzwischen sei die Skalpsammlung "in ihrem Wert unschätzbar".
Das 1928 eröffnete Museum besteht aus Karl Mays einstiger "Villa Shatterhand" und der Wild-West-Blockhütte "Villa Bärenfett". Die Sammlung mit Objekten des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts - darunter Kostüme, Mokassins, Tomahawks, Totempfähle, Zeremonialpfeifen - wird als eine der wertvollsten in Europa bezeichnet.

In den USA ist die museale Ausstellung von Skalpen seit 1990 verboten. Dem kam auch das National Museum of the American Indian der Smithsonian Institution in Washington nach, das zentrale Ureinwohner-Museum der USA: Es übergab alle Skalpe wieder an die Stämme.

 

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/karl-may-museum-in-radbeul-us-ureinwohner-fordern-skalpe-zurueck-a-986608.html
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