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„Überweisungen aus Staatsbesitz“ - Das schwere Nazi-Erbe - 'Transfers from state ownership' - The heavy Nazi legacy

1998
1970
1945
FOCUS Online 1 July 2014
 

Hohe Klippen, eine karge Landschaft - und das Meer. Das Bild „Gebirgslandschaft an der spanischen Küste“ von Fritz Bamberger aus dem Jahr 1859 zeigt eine etwas düstere Version der eigentlich strahlenden spanischen Küste.

Doch das ist nicht der Grund, warum Kunsthistoriker sich auch heute noch intensiv mit dem Bild befassen. Einst hing es nämlich wohl im Wohnzimmer von Eva Braun, der Geliebten von Adolf Hitler, in ihrer damaligen Wohnung in der Wasserburger Straße 12 in München, wie hinten auf dem Bild vermerkt ist.

Heute befindet sich das Gemälde in den Depots der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die zu klären versuchen, ob das Bild Eva Braun damals wirklich gehörte oder ob es - wie so viele Kunstwerke in der Zeit - zuvor jüdischen Vorbesitzern gewaltsam abgepresst wurde. Dazu wurde es auch in die Online-Plattform Lost Art eingestellt, die spätestens seit dem Fall Cornelius Gurlitt eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. 192 Bilder haben die Staatsgemäldesammlungen dort inzwischen eingestellt, wie Florian Wimmer, Provenienzforscher in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, bei einem Kolloquium zum Thema Raubkunst im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München sagt.

Denn die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die Münchner Pinakotheken, nehmen in der Erforschung möglicher Nazi-Raubkunst eine Schlüsselrolle ein. Dort lagert auch heute noch wertvoller Besitz aus Nazi-Händen - Kunstwerke, die sich Funktionäre wie Julius Streicher, Hitlers Vertrauter Martin Bormann oder sein Haus- und Hoffotograf Heinrich Hoffmann einst an die Wand hängten. Hoffmann war ein großer Carl-Spitzweg-Fan, wie Wimmer sagt.

Im Depot der Pinakotheken findet sich zum Beispiel eine Brillantuhr, die Hitler seiner Geliebten Eva Braun 1939 zum 27. Geburtstag schenkte - versehen mit einer persönlichen Widmung. Außerdem gibt es dort Krawattenringe aus Platin, Manschettenknöpfe aus Gold, einen Ring mit Brillanten sowie einen goldenen Champagnerbecher von Hermann Göring. Allein 4400 Gemälde und 770 Skulpturen, die nach dem Machtantritt der Nazis 1933 in die Bestände aufgenommen wurden, müssen die Staatsgemäldesammlungen auf ihre Herkunft untersuchen.

Erst kürzlich meldeten die Pinakotheken Kunstwerke aus dem Besitz des Hitler-Vertrauten Max Amann (1891-1957) wegen des Verdachts auf Raubkunst ebenfalls bei Lost Art. Es handelt sich um zehn Gemälde und vier Skulpturen, die nach 1945 als sogenannte „Überweisungen aus Staatsbesitz“ in den Museumsbestand gelangten, wie die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mitteilten. Diese zahlreichen „Überweisungen“, das schwere Erbe des Nationalsozialismus, dürfte den Kunstexperten noch über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zu schaffen machen. Chef-Provenienzforscherin Andrea Bambi schätzt, dass es bei jedem einzelnen Werk zwischen sechs Monaten und einem Jahr dauert, bis seine Herkunft geklärt ist.

In diesem Fall ordneten die Provenienzforscher der Sammlungen die 14 Werke dem hohen NSDAP-Funktionär Amann zu, der seit 1922 den nationalsozialistischen Franz-Eher-Verlag mit dem „Völkischen Beobachter“ leitete und später als Präsident der Reichspressekammer maßgeblich für die Gleichschaltung der Medien verantwortlich war. Hitler diktierte seinem engen Vertrauten Amann einst auch den zweiten Teil seiner Hetzschrift „Mein Kampf“, deren Titel auf einen Vorschlag von Amann zurückgehen soll.

Alle 14 Werke befanden sich einst in Amanns Villa in St. Quirin am Tegernsee, die vor kurzem als Beispiel für NS-Herrschaftsarchitektur unter Denkmalschutz gestellt wurde. Als Amann nach Kriegsende im Zuge der Entnazifizierung als Hauptschuldner eingestuft, inhaftiert und enteignet wurde, fiel sein Besitz an den Staat und wurde den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen übergeben.

Wie Amann und allen voran Hermann Göring, dessen umfangreiche Sammlung die Historikerin Ilse von zur Mühlen aufgearbeitet und die Ergebnisse in dem Buch „Die Kunstsammlung Hermann Görings: Ein Provenienzbericht“ zusammengefasst hat, waren viele Nazi-Größen begeisterte Kunstsammler. Während Amann Kunst vor allem zu Deko-Zwecken kaufte, sah sich Julius Streicher, der Gründer und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“, selbst als Künstler. „Bei seiner Verhaftung durch die Alliierten war er gerade dabei, Aquarelle zu malen“, sagt Kunsthistoriker Wimmer.

 

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