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Recht und Moral - Law and Morality

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Das Parlament 26 May 2014
Von Alexander Weinlein

Experten fordern Prüfung der Sammlungen öffentlicher Museen und gegebenenfalls Rückgabe

Ich musste als Jurist auch erst lernen, dass sich nicht alle Probleme juristisch lösen lassen." Mit dieser Bemerkung hatte Haimo Schack die Lacher auf seiner Seite. Der Ernsthaftigkeit des Themas, zu dem der Kulturausschuss den Jura-Professor von der Universität Kiel und andere Sachverständige geladen hatte, tat die launige Bemerkung jedoch keinen Abbruch. Der Fall des kürzlich verstorbenen Schwabinger Kunstsammlers Cornelius Gurlitt beflügelt seit einem halben Jahr die öffentliche Diskussion über NS-Raubkunst und die Forderung nach Rückgabe dieser Kunstgüter an ihre ursprünglichen - zumeist jüdischen - Besitzer beziehungsweise deren Erben. Der Kulturausschuss hatte deshalb Sachverständige geladen, um sie zu den politischen und rechtlichen Konsequenzen aus dem Schwabinger Kunstfund für öffentliche und private Kunstsammlungen zu befragen.

Rechtlich betrachtet gibt es rund 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für die ursprünglichen Besitzer oder deren Erben kaum eine Möglichkeit, einen Rechtsanspruch auf die Rückgabe der während der nationalsozialistischen Diktatur geraubten Kunstwerke geltend zu machen. Grund sind die abgelaufenen Verjährungsfristen.

Washingtoner Erklärung

Genau an diesem Umstand entzündete sich die Kritik des Historikers Julius Schoeps, Direktor des Moses Mendelsohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. "Als besonders unerträglich finden Erben Auskünfte wie die, dass Fristen abgelaufen seien, das Bundesrückerstattungsgesetz und das Bundesentschädigungsgesetz nicht mehr in Anspruch genommen werden könnten oder, dass doch Globalzahlungen an die Jewish Claims Conference geleistet worden seien", monierte Schoeps. Die deutsche Rechtsauffassung, dass mit den Verjährungsfristen der Rechtsfrieden hergestellt werde, sei im Ausland nicht vermittelbar.

Diesen Standpunkt wollte Haimo Schack so nicht uneingeschränkt gelten lassen. Überall in Kontinentaleuropa sei das Prinzip von Verjährungsfristen zur Herstellung des Rechtfriedens anerkannt. Schack sprach sich dann auch gegen eine Verlängerung der 30-jährigen Verjährungsfristen aus.

Die Problematik um die NS-Raubkunst und ihre mögliche Rückgabe (Restitution) an ihre Vorbesitzer setzt jedoch meist viel früher ein. In vielen Museen, Sammlungen und auch in Privatbesitz befinden sich Kunstwerke, von denen nicht bekannt ist, dass es sich um Raubkunst handelt. Gefragt ist an dieser Stelle die Provenienenzforschung, die die Herkunft von Kunstwerken prüfen soll. Erst im Jahr 1998 hatten sich Deutschland und 43 weitere Unterzeichnerstaaten in der Washingtoner Erklärung - wenn auch rechtlich nicht bindend - verpflichtet, "nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu suchen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte zu unternehmen, eine gerechte und faire Lösung zu finden." Erst seit der Washingtoner Erklärung fahnden staatliche Museen verstärkt nach Raubkunst.

Befristete Arbeitsverträge

Die freischaffende Kunsthistorikerin und Provenienzforscherin Sibylle Ehringhaus bezweifelte vor dem Ausschuss jedoch unverhohlen, dass die Provenienzforschung in allen Museen mit der nötigen Offenheit betrieben wird. Mehr als 90 Prozent der in Deutschland tätigen Forscher würden in zeitlich befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt. Zum einen berge dies die Gefahr, dass erworbenes Fachwissen in den Museen nach Auslaufen des Arbeitsverhältnisses wieder verloren geht. Zum anderen verhindere dies eine unabhängige Forschung, die Wissenschaftler würden angesichts einer drohenden Nichtverlängerung ihres Vertrages eher die Interessen ihres Arbeitgebers berücksichtigen als zweifelsfreier Ergebnisse.

Diesem Vorwurf trat Dorothea Kathmann, Justiziarin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), zumindest für ihr Haus entschieden entgegen. Auch Schoeps attestierte der SPK, bei der Provenienzforschung "vorbildliche Arbeit" zu leisten. Dies gelte aber nicht für alle Museen, viele würden "mauern", kritisierte der Historiker.

Übereinstimmend plädierten Schoeps und Schack für ein Kunstrückgaberecht nach dem Vorbild Österreichs und Großbritanniens. Dies ermächtige staatliche Museen, Sammlungen und Behörden eigenständig über die Rückgabe von Kunstwerken zu entscheiden, die als Raubkunst identifiziert worden sind und Restitutionsforderungen vorliegen. Dies sei nötig, um die Entscheidungsträger vor dem Vorwurf zu schützen, sie hätten öffentliches Eigentum unberechtigt übereignet. Schack betonte, dass die Rückgabe nur auf freiwilliger Grundlage geschehen könne. Eine rechtliche Verpflichtung neben der moralischen könne aus einem solchen Gesetz nicht abgeleitet werden.

Der geladene Vertreter der Bundesregierung signalisierte seine prinzipielle Sympathie für ein solches Rückgaberecht. Zugleich warnte er aber auch vor überzogenen Erwartungen. Ein Bundesgesetz habe im föderalistischen System Deutschlands nur Gültigkeit für staatliche Museen und Kunstsammlungen, für die der Bund zuständig sei. Bei der übergroßen Mehrheit der rund 6.000 Museen in Deutschland seien aber die Länder und die Kommunen verantwortlich.

Kunsthandel

Bei Privatbesitz gestaltet sich die Situation noch schwieriger. Sammler, die Kunstwerke "gutgläubig" erworben, also nicht gewusst haben, dass es sich um Raubkunst handelt, könnten nicht zur Rückgabe verpflichtet werden, sagte Schack. Dies führe "zu neuem Unrecht". Zumindest für den Handel mit Raubkunst auf dem freien Markt gaben die Experten eine gewisse Entwarnung. Sowohl Schack als auch Ehringhaus führten an, dass Raubkunst bei öffentlichen Auktionen faktisch unverkäuflich sei. Kein Sammler würde es wagen, Raubkunst zu erwerben. Die großen Auktionshäuser würden deshalb Experten mit der Provenienzforschung beauftragen.

Bei allen unterschiedlichen Auffassungen in Einzelfragen waren sich die Sachverständigen jedoch einig, dass prinzipiell eine moralische Verpflichtung zur Rückgabe von NS-Raubkunst besteht. Auch wenn dies aus juristischen Gründen nicht erzwungen werden kann.

 

http://www.das-parlament.de/2014/22-23/KulturMedien/51041948.html
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