News:

Kunstdynastie Gurlitt: Jäger, Sammler, Kollaborateure, Profiteure - Gurlitt Art Dynasty: Hunters, Collectors, Collaborators, Profiteers

1998
1970
1945
Profil 6 May 2014
Von Marianne Enigl, Angelika Hager , Edith Meinhart und Nina Schedlmayer

Der in München beschlagnahmte Kunstfund rückt die deutsch-österreichische Familie Gurlitt ins Zwielicht. Sie profitierte massiv von den Raubzügen des NS- Regimes und begründete im Nachkriegs-Österreich das Linzer Lentos Museum. Jetzt ist der umstrittene Kunstsammler Cornelius Gurlitt im Alter von 81 Jahren gestorben.

Ein Porträt der Kunstdynastie Gurlitt, erstmals erschienen in profil 46/2013 vom 11.11.2013

Alberich ist in der germanischen Mythologie der König des Elfen- und Zwergengeschlechts. Im Nibelungenlied hütet er deren Schatz und kann sich mit einer Tarnkappe unsichtbar machen. Für den Wiener Rechtsanwalt Alfred Noll, Spezialist für Kunstrestitutionsfälle, ist der 80-jährige Cornelius Gurlitt ein Alberich, der sich jetzt die Tarnkappe aufsetzt, wobei noch immer offen ist, wer in diesem Justizthriller den Part des Siegfried übernimmt und ihn aus seinem Versteck holt.

Der abgetauchte Hüter eines erst jetzt bekannten "Nazi-Schatzes" und Sohn des so legendären wie anrüchigen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (siehe Foto) hätte nämlich aus juristischer Sicht, soweit bekannt, kaum Grund, sich vor den Behörden zu verstecken. Anwalt Noll: "Es existiert bislang überhaupt kein einziges Indiz dafür, dass Cornelius Gurlitt nicht der rechtmäßige Eigentümer dieser Bilder ist. Er hat sie von seinem Vater geerbt, punktum."

Der Medienhype um die 1406 Bilder, deren Beschlagnahme bereits 2012 erfolgte, die aber erst in der vergangenen Woche bekannt wurde, stellt die legendäre deutschösterreichische Kunsthändlerdynastie Gurlitt ins Scheinwerferlicht: Sie hatte sich mit dem NS-Regime trotz ihrer partiellen jüdischen Abstammung arrangieren und aus der Verfemung der Moderne satte Profite ziehen können.

"Nazi-Schatz" in 80 Quadratmeter großen Wohnung

Die Chronik der Ereignisse, die die Medien der vergangenen Woche bestimmte: Am Montag der Vorwoche hatte das deutsche Magazin "Focus" über den "Nazi-Schatz" in einer 80 Quadratmeter großen Wohnung in München-Schwabing berichtet. Seitdem tauchen täglich neue Details über den abgetauchten Wohnungsbesitzer, den 80-jährigen Cornelius Gurlitt, und die ebenso mysteriöse wie völlig offene Geschichte seiner Kunstwerke auf. So sollen die deutschen Behörden laut der "Bild"-Zeitung schon in den 1960er-Jahren bei den Gurlitts nachgeforscht haben: Sie suchten exakt nach jenem Spitzweg-Gemälde, das die Nazis einem Juden in Leipzig geraubt hatten - und das jetzt mit Meisterwerken von Picasso, Matisse, Chagall unter den 121 gerahmten und 1285 nicht gerahmten Werken gefunden worden ist.

Die vor zwei Jahren verstorbene Mutter von Cornelius Gurlitt habe, berichtete "Bild", die Behörden damals schriftlich angelogen. Sie hatte ihnen nämlich mitgeteilt, "alle Geschäftsunterlagen und Bestände unserer Firma sind am 13. Februar 1945 -bei einem Großangriff auf Dresden -verbrannt". Rechtsexperten folgern aus dieser Irreführung nun, dass die Gurlitts um die anrüchige Herkunft ihrer Bilder genau Bescheid wussten und damit ihren Anspruch auf gutgläubige Ersitzung des jetzt entdeckten Kunstdepots verloren haben könnten.

Der Sammler der jetzt aufgetauchten Werke war der prominente Kunsthändler Hildebrand Gurlitt. Bereits er hatte die Geschichte in die Welt gesetzt, seine Sammlung sei im Feuersturm in Dresden verbrannt. Dem steht freilich entgegen, dass die Alliierten nach dem Krieg seinen umfangreichen Bestand überprüften - und mit zwei Ausnahmen - im Dezember 1950 an den Sammler zurückstellten.

Hildebrand Gurlitt, Vater des schlagzeilenträchtigen Münchners Cornelius Gurlitt und Cousin des "österreichischen" Wolfgang Gurlitt, ist das Paradebeispiel einer ab- und umwegigen Karriere vor, während und nach dem Nationalsozialismus. Zwar verlor der "rassisch nicht einwandfreie" Hildebrand 1930 seine Stelle als Museumsleiter in Zwickau, daraufhin gelang aber auch ihm ein bemerkenswerter ideologischer Spagat: Der frühe Förderer des deutschen Expressionismus avancierte zu einem von vier Chefverkäufern der "entarteten Kunst" im Ausland, um für das NS-Regime dringend benötigte Devisen zu lukrieren. Zugleich war Hildebrand Gurlitt einer der erfolgreichsten Kunsthändler für den "Sonderauftrag Linz": Laut dem Linzer Historiker Walter Schuster lieferte er dort noch im März 1944 Ölgemälde um mehr als 1,2 Millionen Reichsmark ab. Im Juni 1944 kaufte er allein in Paris Kunst um drei Millionen Reichsmark für das "Führermuseum".

Wegen seiner jüdischen Herkunft verlief auch der Entnazifizierungsprozess nach Kriegsende reibungslos: 1947 begann der Vater von Cornelius Gurlitt wieder seinen Geschäften nachzugehen -hilfreich dabei waren seine Kenntnisse über den Verbleib nicht mehr "entarteter" Kunst; 1956 starb er bei einem Verkehrsunfall.

Dass er tausende Werke seinem Sohn Cornelius anvertraut hatte, soll die Familie gewusst haben. Das britische Boulevardblatt "Daily Mail" machte in Barcelona einen Ekkehart Gurlitt ausfindig, demzufolge Cornelius Gurlitt den Verwandten sogar das eine oder andere Kunstwerk geschenkt habe. Man sei darauf nicht stolz gewesen, sagte der Spanier: "An den Gemälden klebt Dreck."

Der untergetauchte Cornelius Gurlitt habe, so zitiert "Daily Mail" den spanischen Verwandten, in der Familie als "verwirrter Sonderling" gegolten. Als sei die ganze Story um den "Nazi-Schatz" an Kunstwerken noch nicht abgründig genug, soll der "Verwirrte" noch eine Sensation im Köcher haben. Seinem Verwandten in Barcelona hat er laut dessen Aussage anvertraut, er wisse, wo sich das sagenumwobene "Bernsteinzimmer" befindet. Die Kenntnis um das Geschenk des preußischen Königs an den russischen Zaren aus dem Jahr 1716 wolle er aber erst vor seinem Tod lüften. Das Bernsteinzimmer ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs spurlos verschwunden.

Die Familiengeschichte der deutsch-österreichischen Kunsthändlerdynastie Gurlitt - deren prominenteste Mitglieder trotz der NS-rassistischen Klassifizierung als "Mischling zweiten Grads" ob ihres strategischen Geschicks zu Handlangern und Profiteuren des NS-Kunstraubs wurden- sei exemplarisch dafür, dass "uns das Thema der Raubkunst ewig begleiten wird", so der amerikanische "Monuments Men"-Historiker Robert Edsel.

Wolfgang Gurlitt, ein entfernter Onkel des jetzt ins Kreuzfeuer geratenen Cornelius Gurlitt, hinterließ als exzentrischer Patriarch einer Patchwork-Familie mit drei Frauen, als umtriebiger Kunsthändler und Sammlerpersönlichkeit in der ostmärkischen, aber auch österreichischen Kunstszene der Nachkriegszeit beträchtliche Spuren. Allein die Stadt Linz hat von Wolfgang Gurlitt Mitte der 1950er-Jahre Werke von Klimt über Schiele bis Kokoschka im Wert von 1,85 Millionen Schilling angekauft. Gurlitt legte mit dieser aus heutiger Sicht zu einem Spottpreis veräußerten Sammlung den Kunst-Grundstock für das heutige Lentos Museum in Linz.

Seine Geschäftspraktiken und jene seines Cousins Hildebrand Gurlitt machen deutlich, wie viele Grautöne zwischen den Antipoden Täter und Opfer nach 1933 und auch nach 1945 möglich waren. Wie friktionsfrei die Übergänge nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reichs" für viele Handlanger, Erfüllungsgehilfen und Profiteure des NS-Regimes waren. Wie sehr Ausblendung und Verdrängung die oftmals sehr laschen Entnazifizierungsprozesse nach dem Kriegsende prägten. Der aufsehenerregende Fund der Bilder zeigt aber auch, dass die Restitutionsproblematik und Provenienzforschung alles andere als abgeschlossen sind, denn noch immer sind abertausende Bilder und Kunstgegenstände aus den Enteignungsraubzügen des NS-Regimes verschollen oder kursieren unter der Hand.

Cornelius Gurlitt soll im Kölner Auktionshaus Lempertz das Max-Beckmann-Bild "Löwenbändiger" versteigert haben, berichtete "Focus". Auch mit dem renommierten Berner Auktionshaus Kornfeld soll er Geschäfte gemacht haben. Beide Adressen gelten in der Kunstwelt als wasserdicht verlässlich, was ihre Provenienzhygiene betrifft.

Im Gegensatz zum untergetauchten Cornelius Gurlitt, der trotz intensiver Nachforschungen deutscher und internationaler Medien eine äußerst blasse Erscheinung bleibt - er hatte keine Familie, lebte bis vor zwei Jahren, also mit 78, noch bei seiner Mutter, und ging laut "Süddeutscher Zeitung" auch keinem Beruf nach -, ist über seine Verwandtschaft und seine Vorfahren eine Menge spannender Fakten bekannt.

Die ursprünglich aus Wien stammenden Gurlitts stellten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts einen prominenten Clan von Kunsthistorikern, Archäologen, Denkmalpflegern und Künstlern. Wolfgang Gurlitts Vater Fritz machte sich als Galerist nach Berlin auf, wo er sehr früh die französischen Impressionisten von Monet bis Degas zeigte und somit zu einem Vorkämpfer der Moderne wurde. Schon 1912 suchte die Galerie in Wien Kontakt mit dem finanziell notleidenden Egon Schiele, zu den von Schiele erhofften Ankäufen kam es jedoch nicht. Fritz Gurlitts Sohn Wolfgang übernahm das gutgehende Galerien-und Kunsthandelsunternehmen, er interessierte sich früh für die Österreicher Gustav Klimt, Oskar Kokoschka und Alfred Kubin. Kubin etwa drängte er immer wieder um Widmungszeichnungen für Bücher, bis es dem Künstler zu bunt wurde: Er zeichnete sich selbst auf einer Toilette sitzend und schrieb: "Lasst's mir mei Ruh."

Wolfgang Gurlitt war schon lange vor dem Machtantritt der Nazis 1933 in Deutschland ein "Star unter den Kunsthändlern", so der Kunsthistoriker Michael John. In seinen Galerien in Berlin und München lud er bereits 1926 zu einer Schiele-Ausstellung, er vertrat prominente Künstler von Waldmüller über Kokoschka bis Picasso. Sein Leben und Treiben ist -im Unterschied zu seinem entfernten Verwandten Cornelius Gurlitt -heute nachvollziehbar.

Sowohl in der Wiener Leopold Stiftung als auch in Linz haben sich Provenienzforscher auf seine Fersen geheftet. Denn auch Wolfgang Gurlitts Bestände von Klimt über Schiele bis Kokoschka sind meist ungeklärter und oft zweifelhafter Herkunft. Sie sind Ergebnis des typischen Kunsthändlerschicksals der Grautöne, wie es im Nationalsozialismus viele gegeben hat. Der frühe Förderer der Moderne und Freund Oskar Kokoschkas war Profiteur des großen Kunstraubs, verhalf Juden durch Kunstankäufe zu Geld, das sie zur überlebenswichtigen Flucht brauchten, und hat wohl auch aus diesen Notverkäufen Profit gezogen. Stella Rollig, heutige Direktorin des Linzer Lentos Museums, dazu:

"Niemand, der in dieser Zeit Geschäfte mit Verfolgten gemacht hat, konnte unschuldig bleiben."

Der Wiener Roman Herzig, einer der weltweit wichtigsten Kunsthändler für Alte Meister, stellt das nunmehrige Auftauchen der Gurlitt'schen Sammlung in einen größeren Zusammenhang: "Jetzt apern eben die letzten Kunstfunde wie nach der Schneeschmelze heraus. Von der Qualität der Bilder wirft mich das, was ich bis jetzt gesehen habe, nicht wirklich um. Diese Bilder werden bei Weitem nicht die letzten sein, die plötzlich auftauchen. Jene Kunsthändler, die als entartet geltende Bilder zur Seite schafften, hatten wahrscheinlich die Strategie, ein paar Jahrzehnte verstreichen zu lassen, ehe man sie auf den Markt lassen konnte. Man darf nicht vergessen, dass bei uns erst in der Ära Vranitzky überhaupt ein Bewusstsein für die Restitutionsproblematik und Provenienzforschung entstanden ist. Damit hat damals natürlich niemand gerechnet. Zuvor hat doch häufig niemand auch nur gefragt, aus welchem ursprünglichen Besitz ein Bild stammt."

Dass Werke, die durch die Hände von Hildebrand oder Wolfgang Gurlitt gegangen sind, in der hochkarätigen Sammler-und Händlerwelt einen besonders zweifelhaften Beigeschmack tragen, verneint er: "Das ist stark übertrieben. Die Gurlitts haben genauso wie andere Kunsthändler insofern Dreck am Stecken, als sie mit den Nazis gearbeitet und gehandelt haben. Aber auch unsere Galerie stand während des NS-Regimes offen und man orderte dort Geschenke für den Führer und dergleichen. Der Geschäftspartner meines Vaters, Fritz Mont (Anm. ursprünglich Mondschein), ist Gott sei Dank früh emigriert. Als sein Chauffeur ihn am Tag nach dem "Anschluss" anbrüllte, dass sein Wagen ab jetzt im Besitz des Führer sei, wusste er sehr schnell, wie ernst die Lage war. Mein Vater (Anm.: Robert Herzig) fälschte die Bücher, damit man jenem Mann, der später zum emotional wichtigsten Menschen meines Lebens werden sollte, Bilder und Geld zukommen lassen konnte. Er blieb unserer Familie eng bis zu seinem Tod verbunden und wurde 100 Jahre alt."

Dass jemand klandestin mit einer in eine Wolldecke gewickelten Kunstkostbarkeit Herzigs seit 1919 bestehende und von ihm in dritter Generation geführte Galerie St. Lucas im Wiener Palais Pallavicini, betritt, passiere heute nahezu nie: "Und wenn es so wäre, weiß man, dass man davon besser die Finger lässt und das Bild sofort zur Wand dreht. Man muss einfach wirklich sehr, sehr vorsichtig sein. In dieser Branche kann es sich ein Händler wie ich, dessen Kunden hauptsächlich aus dem amerikanisch-jüdischen Großbürgertum stammen, unter keinen Umständen erlauben, mit einem Bild, über dem auch nur der geringste Zweifel schwebt, zu handeln. Glauben Sie, dass der Fürst von Liechtenstein auch nur in die Nähe eines solchen Kunstwerks kommen würde? Die penible Provenienzforschung ist natürlich auch längst bei den großen Auktionshäusern selbstverständlich. Mit dem zentralen Art-Loss-Register sind Dinge inzwischen auch wesentlich leichter nachweisbar."

Bilder, die im Art-Loss-Register angeführt sind, werden für den seriösen Kunsthandel und die renommierten Auktionshäuser unberührbar, für Museen sowieso.

Rechtlich gilt Österreich in Sachen NS-Raubkunst heute international als moralisches Vorbild. Nach der aufsehenerregenden Beschlagnahme von Schieles "Wally" 1997 in New York beschloss Österreich das Kunstrückgabegesetz für öffentliche Bestände und ist damit weltweit einzigartig mit derartigen Bestimmungen. Die Wiener Expertin Eva Blimlinger weist auf ein weiteres Asset, auch gegenüber der Situation in Deutschland, hin: "Österreich ist auch das einzige Land, in dem in den Sammlungen des Bundes und in Museen und Sammlungen einzelner Länder und Gemeinden systematische Provenienzforschung stattfindet."

Insgesamt sind seit 1998 mehrere zehntausend Werke und Objekte an die Erben ihrer jüdischen Vorbesitzer zurückgegeben worden. Die bekanntesten Restitutionen betrafen fünf Klimts aus dem Belvedere an die in den USA lebende Maria Altmann. Die "Goldene Adele" aus diesem Bestand ging als damals weltweit teuerstes Gemälde für 135 Millionen Dollar an Ronald Lauder.

Die Auktion der 250 rückgestellten Objekte aus der Sammlung Rothschild - unter ihnen 22 Gemälde aus dem Kunsthistorischen Museum Wien -brachte bei der Auktion in London mit damals 1,2 Milliarden Schilling den höchsten je in Europa erzielten Erlös für eine Sammlung.

Gerade an der Geschichte von Wolfgang Gurlitt, dem Gründer der Moderne-Sammlung der Stadt Linz im heutigen Lentos Museum, lässt sich der Modus Operandi des NS-Kunsthandels nachzeichnen. Sein Bruder Manfred, Dirigent an der Berliner Staatsoper, hatte wegen seiner jüdischen Wurzeln bereits 1933 seinen Arbeitsplatz verloren und musste später emigrieren. Wolfgang selbst wurde aufgrund seiner jüdischen Großmutter von den Nazis beargwöhnt und galt als Mischling zweiten Grades. Wegen angeblich "dubioser Geschäfte" setzte man die Gestapo auf ihn an. Als eine Art "Marika Rökk des Kunsthandels" (Alfred Noll) gelang es ihm dennoch, die Fäden in der Hand zu behalten: Auch Wolfgang Gurlitt stieg zu einem Einkäufer für Hitlers geplantes "Führermuseum" in Linz auf.

Wie umtriebig er während der NS-Zeit agierte, zeigen auch seine Ankäufe im Wiener Dorotheum. 1942 ersteigerte er Egon Schieles "Städtchen am Fluss" aus der Sammlung von Daisy Hellmann -dieses Gemälde ist von der Stadt Linz inzwischen restituiert worden.

Schon 1940 hatte Wolfgang Gurlitt für seine ungewöhnliche Patchwork-Familie ein beachtliches Anwesen in Bad Aussee erworben, das heute nicht mehr in Familienbesitz ist. Von "großbürgerlichem Ambiente auf dem Lenauhügel" schwärmte ein Besucher, "bestückt mit feinem Mobiliar ". Treffpunkt der Berliner Gesellschaft sei die Villa gewesen, dass gleich drei Frauen im Haus waren, habe die Besucher verwirrt: "Es lebte dort Gurlitts Ex-Frau, seine Frau und er hatte auch noch eine Geliebte, seine jüdische Lebensgefährtin Judith Agoston." Für Agoston arrangierte Wolfgang Gurlitt später die Scheinheirat mit einem Dänen: Unter dänischem Namen kaufte sie dann unauffällig für seine private Galerie "entartete Kunst", die eigentlich nur im Ausland hätte abgesetzt werden dürfen.

Um sich abzusichern, holte Wolfgang Gurlitt - der im übrigen nie mit "Heil Hitler" unterzeichnete - zwischen Berlin und Wien Garantien für seine Geschäfte ein. Auffallend : Er wandte sich 1943 auch an das Wiener Belvedere. Dessen Direktor Bruno Grimschitz kam dem Ersuchen nach: "Die unterzeichnete Direktion bestätigt hiemit, daß sie durch die Galerie Gurlitt eine Reihe wertvoller Kunstwerke erworben hat und daß die Galerie Gurlitt aus diesem Grunde für die Vermittlung wertvollen Kunstgutes an öffentliche Museen von Wichtigkeit ist."

Wie die Provenienzforscherin des Belvedere, Monika Mayer, mitteilt, scheinen vier Werke aus dem Erwerb Gurlitts auf - allerdings von heute überschaubarem monetären Wert. Es handelt sich dabei um Bilder der Künstler Rudolf Schick, Waldemar Roesler und Johann W. Schirmer. Eine "Landschaft" von Walter Leistikow wurde zur Restitution empfohlen. In weiser Voraussicht lagerte Gurlitt schon 1943 wertvolle Bestände nach Aussee aus - und bot sich dann 1944 sogar an, "ehrenamtlich" bei der Sicherung der Kunstschätze in Aussee zu helfen.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs machte der findige Netzwerker ungebrochen weiter, sein erster großspuriger Plan war eine Ausstellung der für das "Führermuseum" aufgestapelten Kunst in Bad Aussee. Er wurde nie realisiert.

Welche Schätze Wolfgang Gurlitt während des NS-Regimes gesammelt haben dürfte, geht aus einem Detail hervor: Nach Ausbombung seiner Berliner Niederlassung gingen 1944 auch seine Würzburger Bestände durch Bombardement verloren: Allein dabei sollen 2000 Gemälde und 20.000 Zeichnungen vernichtet worden sein.

Wahrscheinlich aufgrund von Befürchtungen, in Deutschland würden Rückstellungsforderungen an ihn gestellt, wollte der in Bad Aussee lebende Gurlitt in Österreich bleiben. Und: Im Gegensatz zu seinem in Deutschland lebenden Cousin Hildebrand war er ab 1945 bestrebt, einen Teil seiner Schätze öffentlich auszustellen. Dafür bot sich Linz an, hatte doch die US-Besatzungsmacht vorgeschlagen, die einstige "Führerstadt" solle eine Galerie der modernen Kunst errichten.

Oberösterreichs Politiker von Landeshauptmann Heinrich Gleißner abwärts taten laut Historiker Walter Schuster alles, um Gurlitt und seine Sammlung einzubürgern. Gleißner in einem Brief an die Regierung in Wien: "Herr Wolfgang Gurlitt hat einen Privatkunstbesitz, der für Österreich einen bedeutenden kulturellen Faktor darstellt." 1946 wurde Gurlitt Staatsbürger. Bilder stellte er der Stadt Linz vorerst als Leihgaben zur Verfügung, mit ihnen wurde die "Neue Galerie" eingerichtet, als deren Leiter Gurlitt fungierte. Der Ankauf der Leihstücke durch Linz kam dem oft in Geldnöten verfangenen Gurlitt höchst gelegen.

Der Verdacht, dass er hier NS-Raubkunst ausstellte und solche auch privat etwa in seiner Münchner Galerie handelte, wurde bald erhoben. Legendär ist der Eintrag des Linzer Magistratsdirektors, der bei einem Gemälde Vorbehalt anmeldete: "Klimt jüdischer Besitz!" Die Stadt erwarb das Klimt-Bildnis von Ria Munk dennoch - es wurde im Jahr 2009 an die Erben restituiert.

Die "Neue Galerie" wurde später in Lentos Kunstmuseum Linz umbenannt. Und so hat das Lentos in seinen großzügig-modernen Hallen heute auch fünf prominente Gemälde , die in deutschen Museen 1937 als "entartet" beschlagnahmt worden und von Gurlitt dann an Linz verkauft worden sind. Eines davon ist Oskar Kokoschkas expressives Gruppenporträt "Die Freunde", ein anderes Kokoschkas "Vater Hirsch" sowie dessen "Bildnis Marcel von Nemes". Das Lentos freilich lässt sich bei der Präsentation einst beschlagnahmter Kunst nichts zuschulden kommen: Schließlich gilt der Entzug sogenannter "entarteter Kunst" aus den Museen Deutschlands bis heute nicht als rechtswidrig. An jüdische Vorbesitzer hat das Lentos aus der ehemaligen Gurlitt-Sammlung bisher zehn Werke restituiert.

Gurlitt selbst hatte erste Rückforderungen jüdischer Vorbesitzer abgeschmettert. Unter anderem mit der Begründung, er habe sich "wegen Freundschaft mit Juden, Fortschaffen jüdischen Eigentums ins Ausland und Beihilfe bei der Flucht" sogar vor der Gestapo Linz verantworten müssen. Nur die Vernichtung seiner Unterlagen habe ihn vor dem KZ bewahrt. Als Rechtsbeistand beschäftigte der geborene Netzwerker übrigens einen Prominenten: Christian Broda, den späteren SPÖ-Justizminister.

Auch die Wiener Stiftung Leopold war in Zusammenhang mit Wolfgang Gurlitt mit Restitutionsforderungen konfrontiert. Rudolf Leopold wusste natürlich bereits früh von Gurlitts Linzer Bestand. Sohn Diethard schreibt in der Biografie seines Vaters, Gurlitt selbst habe Rudolf Leopold von zwei Schieles erzählt, welche der Linzer Kulturstadtrat nicht kaufen wolle. Rudolf Leopold: "Mein Glück war, dass der Stadtrat noch ein alter Nazi war. Der hat gerade diese zwei Schiele-Bilder als 'entartet' befunden. Dabei waren es von denen in Linz die allerbedeutendsten." Leopold erwarb die Bilder wahrscheinlich 1952. Es handelt sich dabei um Schieles "Selbstbildnis mit hochgezogener nackter Schulter" und das Werk "Blinde Mutter". Rechnungen über den Ankauf der Bilder durch Leopold gibt es nicht. Und trotz umfangreicher Recherchen des Provenienzforschers Michael Wladika konnte bisher auch nicht im Geringsten geklärt werden, wann und von wem Wolfgang Gurlitt die Schieles erhalten hat. Die Kommission für Provenienzforschung konnte daher auch keine Restitutionsempfehlung abgeben.

Bei drei Werken Anton Romakos, die aus der Sammlung des jüdischen Internisten Oskar Reichel stammten und von Wolfgang Gurlitt an Leopold verkauft worden sind, wurden die Erben in einem Vergleich finanziell entschädigt - die Bilder blieben im Leopold Museum.

Was mit Wolfgang Gurlitts Nachlass geschah, ist völlig unklar. Seine offenbar in Deutschland lebende betagte Tochter Maria Gurlitt verweigerte noch 2012 gegenüber Provenienzforscher Wladika jegliche Auskunft. Lentos-Direktorin Stella Rollig sagt gegenüber profil: "Dass im Besitz von Maria Gurlitt Objekte sogenannter 'entarteter Kunst' aus deutschen Museen oder aus Verfolgungsgründen veräußerte Kunstwerke sind, ist nicht undenkbar."

Die "Lost Art Internet Database" Magdeburg ist auf NS-Raub-und -Beutekunst spezialisiert. profil fand hier acht Werke, mit denen Wolfgang Gurlitt zu tun hatte -und die bisher erfolglos gesucht werden. Christian Huemer, Forscher am renommierten Getty Institute in L. A. erklärt: "Vieles, was heute als verschollen gilt, ist wahrscheinlich bloß irgendwo versteckt. Die Forschung verfolgt mit Erstaunen die Kontinuität, mit der die Profiteure des Kunsthandels der Nazi-Zeit ihre Geschäfte nach dem Krieg fortsetzen konnten."

In Berlin hat die deutsche Bundesregierung nach einer langen Schrecksekunde über die Enthüllung des geheim gehaltenen Kunstfundes in München-Schwabing inzwischen umgehende Klärung der vielen offenen Fragen in Aussicht gestellt. Dass die Werke nicht online bekannt und damit für die Suche nach NS-Raubkunst zugänglich gemacht werden, wird international heftig kritisiert.

Der Wiener Anwalt Noll ist der Ansicht, dass die zuständige Staatsanwaltschaft mit dem weiteren Prozedere überfordert ist: "Die wissen offensichtlich nicht, wie sie weiter vorgehen sollen. Und sie wären gut beraten, alle Bilder wieder in die Wohnung zu stellen und Herrn Gurlitt schnellstens davon zu informieren, wo er sich den Schlüssel abholen kann." Denn selbst der Vorwurf von Steuerhinterziehung treffe ins Leere: "Cornelius Gurlitt, der nachweislich kein kommerzieller Kunsthändler ist, kann aus seinem Privatbesitz verkaufen, was er will, ohne dafür Steuern bezahlen zu müssen." Noll weist vor allem auf eines hin: "Wenn wir Raubkunst bei einer Privatperson finden, haben wir keine gesetzliche Handhabe. Es gibt kein Gesetz auf dieser Welt, dass jenen, deren Vorfahren beraubt worden sind, ermöglicht, diese Dinge wieder herauszuholen."

Der Wiener Kunsthändler Roman Herzig, der auch die Sammlung des Fürsten Liechtenstein betreut, stellt zum weiteren Verlauf der Causa Gurlitt eine nüchterne Prognose: "Wenn die Sachlage abgeklärt ist, werden sich die Herren von Sotheby's und Christie's mit Messern und Gewehren bewaffnet an einen Tisch setzen und einen Krieg liefern."

 

http://www.profil.at/articles/1419/985/374909/cornelius-gurlitt-kunstdynastie-gurlitt-jaeger-sammler-kollaborateure-profiteure
© website copyright Central Registry 2024