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Gurlitt nicht der Einzige - Wo sind die geraubten Bilder? - Gurlitt is not the only one - Where are the looted paintings?

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1945
NWZ Online 21 April 2014
Von Dorothea Hülsmeier

Der spektakuläre Fall des Cornelius Gurlitt hat die Debatte über NS-Raubkunst in Deutschland wieder angeheizt. Zwei Bücher, die jetzt in überarbeiteten Neuauflagen erschienen sind, erinnern an jüdische Kunstsammler und schildern die bis heute dauernde Suche nach ihren Werken..


Suche nach sogenannter „Raubkunst“: Kunsthistorikerin Claudia Andratschke schaut in Hannover im Niedersächsischen Landesmuseum die Rückseite eines Bildes mit Hilfe einer Lampe an. Rund 70 Jahre nach Ende der NS-Herrschaft hängen auch in deutschen Museen noch Bilder, die verfolgten Juden gestohlen wurden

Düsseldorf - Der spektakuläre Bilderfund bei Cornelius Gurlitt hat bald 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine nach Ansicht von Experten längst notwendige Debatte über Nazi-Raubkunst ausgelöst. Die in München und Salzburg gefundenen Werke haben eine brisante Geschichte: Cornelius Gurlitt ist der Sohn von Hildebrand Gurlitt, der einer der vier Kunsthändler Adolf Hitlers war. Hunderte Werke stehen im Verdacht, Raubkunst zu sein, die jüdische Eigentümer einst unter Druck verkaufen oder zurücklassen mussten.

Zwei Bücher, die angesichts des Gurlitt-Falls jetzt in überarbeiteten Neuauflagen erschienen sind, erinnern an jüdische Kunstsammler und schildern die bis heute dauernde Suche nach ihren Werken. Die Bücher analysieren aber auch die Rolle des Kunsthandels im NS-System und zeigen, wie nach Hitlers Ende der Kunsthandel ohne Bruch weitermachen konnte. Noch heute tauchen in Auktionen Bilder mit Raubkunstverdacht auf - auch aus der Gurlitt-Sammlung kamen Werke auf den Markt.

„In Deutschland gibt es nach wie vor Tausende Besitzer von NS-Raubkunst. Cornelius Gurlitt ist keineswegs allein“, das ist die These des Kölner Publizisten Stefan Koldehoff in seinem Buch „Die Bilder sind unter uns“. Koldehoff sieht deutsche Galeristen und den Kunsthandel an der systematischen Ausplünderung der Juden maßgeblich beteiligt. Denn sie hätten die NS-Elite mit Kunstgegenständen versorgt und nach 1939 auch einen „schwunghaften Handel“ mit privaten Sammlern betrieben. Die wenigen Überlebenden des Holocaust und ihre Nachkommen hätten später nur einen Bruchteil zurückerhalten. „Verschollen oder vernichtet waren die Kunstwerke aber nicht“, schreibt Koldehoff. „Bis heute wird mit Tausenden dieser Kulturgüter viel Geld verdient.“

Ähnlich ist auch die Schlussfolgerung von Monika Müller und Monika Tatzkow in ihrem Buch „Verlorene Bilder, verlorene Leben“: Auffallend regelmäßig hätten vom NS-Regime verfolgte Kunstsammler zu hören bekommen, ihr einstiger Besitz sei verbrannt, verschollen oder verloren. „Der Kunsthandel im Dritten Reich war ein Wirtschaftszweig wie jeder andere ... mit viel Raum für Schattengeschäfte.“ Nach dem Krieg sei das Auktionsgeschäft im Wirtschaftswunder „zu neuer Blüte gekommen - „in typischer Schlusstrichmentalität“ habe kaum jemand nach Provenienzen der Kunst gefragt.

Auch Hildebrand Gurlitt (1895-1956), der selber einen jüdischen Hintergrund hatte, kam mit Sammlern ins Geschäft, die sich unter dem Druck der Verfolgung von ihrer Kunst trennen mussten. Im Auftrag Hitlers war er regelmäßig ins besetzte Frankreich gereist und hatte dort Kunst eingekauft. Auch nach dem Krieg war Gurlitt bestens in Regierungsstellen und Kunstbranche vernetzt, erhielt von den US-Militärs offiziell seine beschlagnahmte Sammlung zurück - und sammelte die Werke ein, die er in den letzten Kriegstagen zum Beispiel in den Mauern einer fränkischen Wassermühle versteckt hatte.

„Am Fall Gurlitt überrascht nur seine Dimension“, schreiben Müller und Tatzkow. „Sonst ist er beispielhaft für das Unrecht, auf das der Kunsthandel sich einließ, erst Seite an Seite mit dem NS-Regime und schließlich ... auch in der aufblühenden Bundesrepublik.“ Bei Raubkunst-Verdacht würden die Biografien hinter den Bildern oft „bewusst ausgeblendet“. Branchenkenner habe der Fund der Gurlitt-Sammlung jedenfalls nicht überrascht.

Wem sagen die Namen der jüdischen Sammler Emma Budge, Max Emden, Lilly Cassirer oder Paul Westheim heute noch etwas? Die Autoren zeichnen die Schicksale einiger Sammler nach. Westheim (1886-1963) zum Beispiel suchte fast 20 Jahre bis zu seinem Tod vergeblich nach seinen Bildern. Seine Freundin Charlotte Weidler hatte die ihr anvertraute Kunst nach dem Krieg verkauft.

Die Erben des Düsseldorfer Galeristen Max Stern (1904-1987) forschen seit Jahren systematisch nach rund 400 Bildern. Erste Museen haben Werke zurückgegeben. Auch die Erben des legendären jüdischen Sammlers Alfred Flechtheim haben in einem jahrelangen Kampf mit Museen erste Rückgabe-Erfolge erzielt. Die in Südamerika lebenden Nachkommen des jüdischen Kaufmanns Max Emden streiten mit der Bundesregierung um die Rückgabe von zwei Kunstwerken.

 

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