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Das ist der Anfang vom Ende des Gurlitt-Skandals - The Beginning of the End of the Gurlitt Scandal

1998
1970
1945
Die Welt 27 March 2014
Von Peter Dittmar

Dass noch mehr Gemälde bei Cornelius Gurlitt gefunden wurden, fügt dem Fall keine neue Dimension hinzu. Aber es ist jetzt klar, welche der Parteien mit welchen Interessen und Strategien operieren.

 Das Namensschild an Cornelius Gurlitts Salzburger Haus Das Namensschild an Cornelius Gurlitts Salzburger Haus

Der "Fall Gurlitt" ist noch immer schlagzeilenträchtig. Das Rechercheteam, zu dem sich die "Süddeutsche Zeitung" mit dem NDR und dem WDR zusammengetan hat, präsentiert jetzt als eigene Erkenntnis, dass in den nächsten Tagen die "Sitzende Frau" von Henri Matisse an die Erben des Pariser Kunsthändlers Paul Rosenberg zurückgegeben werden soll.

Anne Sinclair, Frau des gescheiterten französischen Präsidentschaftskandidaten Dominique Strauss-Kahn, hatte nach der Veröffentlichung der ersten Bilder des "Schwabinger Kunstfundes" (wie die Augsburger Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme des Münchner Kunstbesitzes von Cornelius Gurlitt beschönigend umschreibt) sofort darauf hingewiesen, dieses Gemälde habe ihrem Großvater gehört. Nachdem Paul Rosenberg nach dem Einmarsch der Deutschen die Flucht aus Frankreich gelungen war, wurden rund 400 Werke, darunter 162, die er auf einem Schloss bei Bordeaux verborgen hatte, von einem Kollaborateur verraten und von den Nationalsozialisten beschlagnahmt.

Nach den Aufzeichnungen des Bargatzky-Berichtes betrug ihr Wert damals 7.170.000 Francs. In den Streit zwischen dem Oberkommando des Heeres, das sich auf die Kunstschutzverordnung vom Juli 1940 berief, dem unabhängig davon Kunstwerke requirierenden Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) und der zwiespältig agierenden deutschen Botschaft in Paris unter Abetz, mischte sich Hermann Göring ein.


In diesem unauffälligen Haus in Salzburg lagerte Cornelius Gurlitt mehr als 200 wertvolle Kunstwerke

Um die Kunstbeute stritten die Obernazis

Er legte die Hand auf Gemälde, teils für seine Sammlung (sie sei "durch Kauf und Tausch vielleicht die bedeutendste Privatsammlung, zumindest in Deutschland, wenn nicht Europa" schrieb er an den "Lieben Parteigenossen Rosenberg"), teils als Tauschobjekte. So kam er auch in Besitz des Matisse aus der Galerie Rosenberg, den er als Tauschobjekt an Gurlitt weitergab. Nun also soll dieses Bild an die Erben restituiert werden.

Nach Angaben von Christoph Edel, dem Anwalt und Betreuer von Cornelius Gurlitt, gibt es zurzeit sechs weitere Fälle, in denen wegen einer Rückgabe mit den Erben der Besitzer gesprochen wird. Denn "sollten Werke unter begründetem Raubkunstverdacht stehen, dann gebt diese bitte an die jüdischen Eigentümer zurück", laute Gurlitts Auftrag an seinen Betreuer. Allerdings, so betont Edel, stünden "nur wenige Prozent der Sammlung Cornelius Gurlitt unserer Rechtsauffassung nach unter Raubkunstverdacht". Gegenüber der Zahl von 590 Werken, die verschiedentlich genannt wurde, sieht Edel lediglich bei vierzig bis fünfzig diesen Verdacht als gegeben an. Und er hebt hervor: "Herr Gurlitt hat uns freie Hand gegeben, Bilder, die aus jüdischem Besitz entzogen wurden, den Besitzern beziehungsweise deren Nachfahren zurückzugeben".

Das gilt für die gesamte Sammlung. Und die beschränkt sich nicht nur auf die 1280 in der Schwabinger Wohnung gefundenen Werke. Inzwischen kamen weitere 238 Kunstgegenstände aus dem Salzburger Haus von Gurlitt dazu. Unter den 39 Ölgemälden sind sieben des Landschafters Louis Gurlitt, des Großvaters, sowie Renoirs "Mann mit Pfeife" und eine von Monets "Waterloobridge". Außerdem auch Arbeiten von Corot, Manet, Courbet, Pissaro, Gauguin, Toulouse-Lautrec, Munch, Liebermann, Cézanne, Picasso und Nolde.

In Salzburg wurden noch 238 Kunstwerke gefunden

Meist handelt es sich um Aquarelle, Zeichnungen und Holzschnitte, aber auch um Silber, Keramiken sowie Skulpturen aus Bronze, Eisen und Marmor. "Für den weiteren Umgang mit dem Salzburger Teil der Sammlung Gurlitt ist konkret beabsichtigt, renommierte internationale Experten für eine Provenienzforschung zu gewinnen, um die Herkunft der Bilder zweifelsfrei klären zu können", erklärte dazu Stephan Holzinger, der Sprecher in Sachen Gurlitt.

Denn inzwischen kümmert sich ein ganzes Team im Auftrag Gurlitts um die straf- wie zivilrechtlichen Belange. Die Hauptperson ist dabei der Münchner Spezialist für Steuer- und Betreuungsrecht, Christoph Edel. Ihn hat das Amtsgericht München Ende Februar als Betreuer eingesetzt. Gemäß Paragraf 1896 des BGB ist die Betreuung, die nicht "gegen den freien Willen des Volljährigen" bestellt werden darf, keine Entmündigung. Unter einem Einwilligungsvorbehalt bleibt der Betreute geschäftsfähig, auch "wahlberechtigt, ehe- und testierfähig". Cornelius Gurlitt muss also in alle Entscheidungen seiner Anwälte einbezogen werden.

Das sind außerdem noch Tido Park, der Dortmunder Spezialist für Wirtschaftsstrafrecht, und der Münchner Rechtsanwalt Derek Setz, die sich auf die strafrechtlichen Aspekte konzentrieren sollen. Der Münchner Hannes Hartung, der den zivilrechtlichen Part übernommen und die Gespräche mit möglichen Anspruchsberechtigten geführt hatte, wurde allerdings, wie Holzinger ohne Angabe von Gründen jetzt mitteilte, von diesem Mandat entbunden.

Gurlitt wird betreut, ist aber nicht entmündigt

Park und Setz haben am 14. Februar beim Amtsgericht Augsburg eine Beschwerde gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss eingereicht, weil "eine Beweisrelevanz der beschlagnahmten Bilder für den Vorwurf der Einfuhrumsatzsteuerhinterziehung nicht ersichtlich ist und die Beschlagnahme der gesamten Sammlung gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstößt". Das schließt auch die Veröffentlichung der Bilder im Internet ohne Gurlitts Zustimmung ein.

Und sie fügen hinzu: "Herr Gurlitt und ebenso seine Verteidigung sind sich der moralischen Dimension dieses Falls durchaus bewusst. Das Strafverfahren ist jedoch nicht der richtige Ort für moralische Kategorien … Wir haben vor dem Hintergrund des immensen öffentlichen Interesses und der politischen Debatten eine begründete Sorge um die Rechtsstaatlichkeit dieses Verfahrens."

Bayerns Justizminister Winfried Bausback erklärte demgegenüber, "die Strafprozessordnung enthält Befugnisse zu Ermittlungsmaßnahmen wie der Provenienzrecherche einschließlich der Veröffentlichung der Bilder völlig unabhängig von der Frage, ob diese beschlagnahmt sind oder nicht". Vor allem aber betont er, die "übergeordneten Fragen": Sie "betreffen nichts Geringeres als die Verantwortung Deutschlands und Bayerns für die Aufarbeitung von Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes." Und die würden von der Beschwerde nicht tangiert.

Ein Amerikaner reklamiert Liebermanns "Reiter"

Das ist allerdings nicht der einzige Einwand, mit dem sich die Justiz beschäftigen muss. In Washington hat der 88-jährige David Torres eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland und den Freistaat Bayern zur Herausgabe des Max-Liebermann-Gemäldes "Zwei Reiter am Strand" eingereicht, das seinem Breslauer Großonkel David Friedmann gehört habe. Mit der Klage ist eine Beschwerde gegen die Informationspolitik der deutschen Behörden verbunden, weil sie die ehemaligen Besitzer der Raubkunstwerke nicht unmittelbar über den Fund unterrichtet hätten.

Der Fall Gurlitt, das geht bei dem Aufsehen, das er erregte und erregt, leicht unter, unterscheidet sich wesentlich von den übrigen Verfahren in Sachen Restitution von unrechtmäßig enteignetem Kunstbesitz. Gewöhnlich sind es Rechtsanwälte, die an die Nachfahren der Enteigneten herantreten und sie auf die Möglichkeit einer Rückforderung aufmerksam machen.

Dass dabei amerikanische Juristen im Vordergrund stehen, hängt mit der Rechtsordnung zusammen. Denn anders als in Deutschland, wo Rechtsanwälte Fälle nicht auf der Basis eines Erfolgshonorars übernehmen dürfen (was allerdings wiederholt durch Zwischenschaltung eines Züricher Büros, das als Finanzier auf Erfolgsbasis agiert, umspielt wird), sind derartige Vereinbarungen in den USA generell – und nicht nur in Restitutionsfragen – möglich und üblich. Deshalb konzentrieren sich die Forderungen nach Rückgabe auch vorwiegend auf Werke, die beim Verkauf oder der Versteigerung beträchtliche Summen einbringen. Sonst rentiert sich für die Rechtsanwälte der damit verbundene erhebliche Forschungs- und Gerichtsaufwand nicht.

Die Anwälte bauen moralischen Druck auf

Die Anwälte sind deshalb meist diejenigen, die die Öffentlichkeit zu mobilisieren trachten, indem sie moralische Argumente in den Vordergrund rücken, wenn die juristischen nicht verfangen. Der Streit um den Welfenschatz, bei dem die Vertreter der Erben der jüdischen Kunsthändler nicht die Entscheidung der Limbach-Kommission, die sie zuerst gefordert hatten, zu akzeptieren bereit sind, ist eines der Beispiele.

Doch im Falle Gurlitt ist es die beklagte Seite, die das Heft in der Hand hält. Das zeigt sich auf der Internetseite wwww.gurlitt.info, die geschickt das Für und Wider ausbalanciert. Das verrät das Einbeziehen des Rechercheteams von SZ, NDR und WDR. Und das ist aus den Pressemeldungen abzulesen, die nach den weiteren Kunstfunden in dem Salzburger Haus Gurlitts veröffentlicht wurden, indem sie die Bereitschaft zur Restitution der Raubkunst subkutan mit der Kritik an den Behörden verbinden, die ihren Mandanten kriminalisieren, statt seine Privatsphäre und seine Rechte zu schützen.

Dass dabei die Augsburger Staatsanwaltschaft, deren Vorgehen längst auf vielfache Kritik stößt, in den Hintergrund rückt, mag ein beabsichtigter Nebeneffekt dieser Konstruktion sein. Nach außen entsteht bei alledem jedoch der Eindruck, dass die Causa Gurlitt vom Skandal zu einer Sache geworden ist, die in absehbarer Zeit – wenn auch nicht heute und morgen – vernünftig gelöst werden kann.

 

http://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article126284805/Das-ist-der-Anfang-vom-Ende-des-Gurlitt-Skandals.html
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