News:

NS-Raubkunst in Karlsruhe: Generallandesarchiv übergibt Porträt des badischen Finanzministers Moritz Ellstätter (1827–1905) der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe - Restitution of Portrait of Moritz Ellstätter to the Jewish Community of Karlsruhe

1998
1970
1945
Landesarchiv Baden-Württemberg 6 March 2014
 

Moritz Ellstätter (1827-1905)
Moritz Ellstätter (1827–1905)
Ellstätter war als badischer Finanzminister (1868–1893) bis 1918 der einzige jüdische Minister eines deutschen Staates

Raubkunst ist nicht nur eine Herausforderung für Museen und Galerien. Auch in Archiven kann noch Kulturgut gefunden werden, das seinen rechtmäßigen Eigentümern in der Zeit des Nationalsozialismus entwendet wurde.

Recherchen des Generallandesarchivs haben jetzt ergeben, dass das Porträt des badischen Finanzministers jüdischen Glaubens, Moritz Ellstätter (1827–1905), das sich seit 1953 im Besitz des Archivs befindet, ursprünglich eine Stiftung der Familie an die Jüdische Kultusgemeinde war.

Es war ein politisches Zeichen, als Moritz Ellstätter 1868 zum badischen Finanzminister ernannt wurde. Erst 1862, also wenige Jahre zuvor, war im Großherzogtum die "bürgerliche Gleichstellung der Juden" gesetzlich garantiert worden. Mit der Berufung Ellstätters machte die liberale Regierung deutlich, dass man es nicht bei gesetzlichen Rahmenbestimmungen belassen wollte, sondern diese auch sofort in die Realität umzusetzen beabsichtigte. Baden blieb Vorreiter: Bis 1918 sollte Ellstätter der einzige jüdische Minister eines deutschen Staates bleiben.

Das Porträt zeigt Ellstätter als jungen Mann. Der Karlsruher Maler Ludwig Kachel d.J. (1830–1858) hatte es nach neuen Recherchen 1854 geschaffen. Der jung verstorbene Künstler – fast gleich alt wie der spätere Finanzminister – galt damals als "aufgehender Stern" in der Residenz. Auch Großherzog Friedrich I. ließ sich von ihm porträtieren. Der Auftrag Ellstätters an Kachel war ein deutliches Signal: Die jüdische Familie verstand sich als Teil des badischen Bürgertums in Karlsruhe.

Nicht zuletzt deshalb wurde das Gemälde in den letzten Jahren auf zwei großen Ausstellungen in Karlsruhe als Symbol der Emanzipation der badischen Juden präsentiert: 2009 auf der vom Generallandesarchiv Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden erarbeiteten (Wander-) Ausstellung "Gleiche Recht für alle? 200 Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden" und 2012 auf der Großen Landesausstellung des Badischen Landesmuseums "Baden! 900 Jahre Geschichte eines Landes".

Das Porträt blieb nach dem Tod des Finanzministers in Familienbesitz. Frau Luise Gutmann-Ellstätter, die Tochter des Finanzministers, vermachte zu einem nicht bestimmbaren Zeitpunkt das Bild der Jüdischen Gemeinde. Luise Gutmann-Ellstätter, am 28. August 1869 in Karlsruhe geboren und mit dem Arzt Dr. Karl Gutmann verheiratet, wurde im August 1942 von Karlsruhe über Boxberg und Stuttgart nach Theresienstadt deportiert. Die Tochter des hoch geachteten badischen Finanzministers wurde dort am 2. September 1942 ermordet.

Das Schicksal des Gemäldes in der Zeit des Nationalsozialismus lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Es spricht viel dafür, dass Frau Gutmann-Ellstätter das Gemälde bereits der Jüdischen Gemeinde vermacht hatte, bevor sie deportiert wurde. Denn bereits in den 1930er Jahren hatte sie den schriftlichen Nachlass ihres Vaters Emigranten mitgegeben, die aus Karlsruhe nach London geflohen waren. Der Nachlass befindet sich seit 1983 als Geschenk im Generallandesarchiv.

Am 11. Mai 1953 wurde das Bild durch Regierungsoberinspektor Robert Scholz, der damals in Bissingen/Enz lebte, dem Generallandesarchiv überlassen, von dem das Porträt Ellstätters in seine Bestände übernommen wurde. Es lässt sich anhand der Quellen nicht klären, wie Scholz in den Besitz des Gemäldes gelangt war; seine Formulierung "Das Gemälde wurde mir zur Verfügung gestellt", bietet Raum für Spekulationen. Robert Scholz (geb. 5. Mai 1896) kam nach Ausweis der Akten erst nach seiner Vertreibung 1946 nach Südwestdeutschland. Da er sich während der Zeit des Nationalsozialismus nicht in Baden aufgehalten hatte, dürfte es sich bei ihm nicht um den Täter handeln, der das Gemälde der Jüdischen Gemeinde bzw. der Familie Gutmann-Ellstätter geraubt hatte.

Aufgrund der aktuellen Berichte über NS-Raubkunst und angestoßen durch eine Anfrage nach der Herkunft des Gemäldes durch den Historiker Dr. Uri Kaufmann, der als Kurator für das Generallandesarchiv Karlsruhe die Ausstellung "Gleiche Rechte für alle? 200 Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden" 2009 konzipiert hatte, hat das Generallandesarchiv die Provenienz des Ellstätter-Porträts umgehend recherchiert. Eine auf der Rückseite des Bildes verborgene handschriftliche Notiz ("Der isr. Gemeinde vermacht von seiner Tochter Frau Luise Gutmann-Ellstätter") brachte den Hinweis auf die Stiftung des Gemäldes an die Jüdische Gemeinde Karlsruhe und damit den entscheidenden Beleg dafür, dass es sich bei dem Bild um NS-Raubkunst handelt. Das Generallandesarchiv Karlsruhe nahm umgehend mit dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde Kontakt auf und stimmte das weitere Vorgehen mit ihm ab.

Unabhängig von der Klärung der offenen Fragen im Hinblick auf das Schicksal des Bildes in der Zeit des Nationalsozialismus belegen die vorliegenden Informationen eindeutig, dass die Jüdische Gemeinde Karlsruhe die rechtmäßige Eigentümerin des Bildes ist.

Das Landesarchiv Baden-Württemberg übergab deshalb das Gemälde am 26. Februar 2014 der Jüdischen Gemeinde Karlsruhe.

http://www.landesarchiv-bw.de/web/56250
© website copyright Central Registry 2024