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Landesmuseum forscht nach Besitzern von Raubkunst-Werken - The Darmstadt Landesmuseum investigates the Ownership of Looted Artworks

1998
1970
1945
Echo 15 January 2014

Die „Leihgaben BRD“ unterstehen der Verwaltung des Bundesvermögensamtes in Berlin

Nazi-Raubkunst, die als Leihgabe des Bundes im Darmstädter Landesmuseum hängen darf. Das „Bildnis der Ekaterina de Ribeaupierre“ von Johann Baptist Lampi (um 1809) ist eines der Werke des Hauses von der „Linzer Liste“.  Foto: Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Der Fall Gurlitt belegt die Aktualität von Fragen zur Nazi-Raubkunst. Gefragt wird nach den Händlern, aber auch nach dem Umgang von Museen mit Werken, die als Raubkunst ins Haus kamen. In Darmstadt bewahrt das Landesmuseum Bilder der „Linzer Liste“: Werke, die Hitler ankaufen ließ, deren Besitzer bis dato aber unbekannt sind.

DARMSTADT: Im Wiesbadener Landesmuseum wird geforscht: Welche Werke aus dem Besitz des Hauses kamen als Nazi-Raubkunst ins Museum? Dabei ist man bei Ankäufen auch auf den Namen des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt gestoßen, wie wir berichtet haben – der Name, der die oft kriminelle Praxis der Nazis und ihrer Galeristen für die Öffentlichkeit vor Kurzem wieder aktuell werden ließ. Das weckt Fragen: Gibt es auch in Darmstadt Nazi-Raubkunst im Museum, wurde auch hier von Gurlitt gekauft, wird auch hier geforscht?

Eine eigene Forschungsstelle gibt es nicht im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, wie Direktor Theo Jülich auf Anfrage erklärt. Nach Nazi-Beutekunst geforscht wird dennoch. Denn das Haus erfasst seit Jahren in neuen Katalogen seine Bestände, und dafür wird auch die Herkunft der Werke verfolgt. Der Name Hildebrand Gurlitt erscheint in diesen Büchern nicht: Er hat dem Darmstädter Museum nichts verkauft, sondern nur von dessen Sammlungen profitiert. Nachdem 1937 rund 160 Gemälde und Zeichnungen der Moderne als „entartete Kunst“ von den Nazis beschlagnahmt und in den Besitz des Reiches überführt wurden, verkauften die Nazi-Behörden 22 der Zeichnungen an Gurlitt weiter, die nie zurückkamen. Heute könnte nur der Bund Anspruch auf die Werke bei Gurlitts Sohn erheben. „Aber ich glaube nicht, dass dies aufgrund der zivilrechtlichen Vorgaben Erfolg haben könnte“, sagt Jülich dazu.

Von den Nazis beschlagnahmte Bilder gibt es trotzdem im Hessischen Landesmuseum. Sie sind mit dem unverfänglichen Begriff „Leihgaben BRD“ verbunden, der ursprünglich 39 Kunstwerke umfasste: Gemälde, Zeichnungen und Grafiken vor allem des 19. Jahrhunderts. Seit den Sechzigern werden sie im Darmstädter Haus aufbewahrt und teilweise auch gezeigt.

Diese „Leihgaben BRD“ unterstehen der Verwaltung des Bundesvermögensamtes in Berlin. Denn sie gehören zum „Restbestand CCP“, der auch als „Linzer Liste“ bekannt wurde. Genau wie bei über 2200 weiteren Kunstwerken in anderen deutschen Landesmuseen wird seit 2000 in der „Lost Art“-Datenbank nach ihren rechtmäßigen Besitzern gesucht. Wobei im Falle aller Werke der „Linzer Liste“ nicht nur der Weg in den Nazi-Besitz ein Fall für Kunst-Detektive ist. Auch ihre Nachkriegsgeschichte scheint abenteuerlich.

Der Raubkunst-Händler
In Darmstadt wird nicht nur Nazi-Raubkunst bewahrt. Hier agierte in der NS-Zeit auch Karl W. Bümming, ein Kunsthändler, der in der „Lost Art“-Datenbank als „Schlüsselfigur bei der Verschiebung von Kunstwerken“ bezeichnet wird. In einem weiteren Bericht werden wir in den kommenden Tagen über sein Wirken berichten.

Die Bundesrepublik gehörte hier zu den Kriegsgewinnlern. 2242 Kunstwerke waren übrig, als 1962 die Treuhandverwaltung für Kulturgut, eine Bundesbehörde mit Sitz in München, ihre Arbeit für beendet erklärte. Diese hatte 1952 die Aufgabe übernommen, weiter nach den Umständen des Ankaufs und nach den eigentlichen Besitzern jener Restbestände von ursprünglich fast 10 000 Kunstwerken zu suchen, die unmittelbar nach Kriegsende von den Amerikanern in Altaussee (Österreich) sichergestellt und in einem Münchner Sammellager, dem „Central Collecting Point“ (CCP, wonach die Liste offiziell heißt) zusammengeführt wurden.

Es waren Werke, die fast alle aus Hitlers Privatbesitz stammten und für das geplante „Führermuseum“ in Linz aus ganz Europa zusammengebracht worden waren: teilweise angekauft, nach 1938 aber auch bei kirchlichen und jüdischen Besitzern enteignet. Zunächst suchten die Amerikaner selbst nach den rechtmäßigen Besitzern, übergaben die Recherche dann aber an die Bundesrepublik, die schließlich die besten 1000 der 2242 „übrig gebliebenen“ Stücke 1965 über das Land verteilte: Bei einer nicht öffentlichen Ausstellung in München konnten sich die Direktoren aller Landesmuseen Wunsch-Werke als Dauerleihgaben aussuchen. Was sich heute dadurch als „Leihgaben BRD“ in Darmstadt befindet, kam nach dem Willen des damaligen Landesmuseums-Direktors Gerhard Bott hierher – und ist heute in der „Lost Art“-Datenbank erfasst, was auch zu Rückgaben führte. So wurde im Januar 2006 Hans Thomas Bild „Kinder und Puttenreigen“ an die Erben eines in der NS-Zeit verfolgten jüdischen Industriellen zurückgegeben, der das Gemälde 1938 unter Zwang verkaufen musste. Ein zweites Bild der „Linzer Liste“ von Franz von Lenbach, auf das die Eigentümer Anspruch erhoben hatten, ist dagegen heute Eigentum des Landesmuseums: Es wurde vom Landesmuseum wieder angekauft.

Im Gespräch mit Museumsdirektor Theo Jülich wird deutlich, um wie viel komplizierter die Frage einer eventuellen Rückgabe noch sein kann. Das um 1800 entstandene „Bildnis der Ekaterina de Ribeaupierre“, das Johann Baptist Lampi um 1809 in St. Petersburg gemalt hat, wird nach der Wiedereröffnung im Darmstädter Landesmuseum zu sehen sein, obwohl Erben einstiger Besitzer Ansprüche erhoben hatten. Denn hier ließ sich der Weg des Bildes von Russland nach Wien, wo es 1938 in einem Auktionshaus für Hitlers Museum angekauft wurde, lückenlos nachvollziehen – und mit dem Kaufgeschäft erlosch der Anspruch, da Sittenwidrigkeit nicht nachzuweisen war.

Wobei dem „Lost Art“-Anliegen trotzdem im Landesmuseum auf jeden Fall weiter Genüge getan werden soll: „Selbstverständlich würden wir auf dem Weg über den Bund als Besitzer weitere Werke aus dem Bestand der ,Linzer Liste‘ zurückgeben“, sagt Theo Jülich. Wenn denn der Anspruch nachzuweisen ist.

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