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Gerichtsverfahren: Ist das Recycling von Raubkunst? Court case: The Recycling of Looted Art?

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Frankfurter Allgemeine 16 December 2013

Von Andreas Rossmann

Der New Yorker Kunsthändler Richard Feigen klagt gegen das Auktionshaus Lempertz in Köln: Die Entscheidung könnte für den Handel mit restitutionsbehafteten Bildern grundsätzliche Folgen haben.

 
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© Katalog

„Der Heilige Hieronymus mit dem Löwen und zwei Engeln“ von Lodovico Carracci

Der Fall Gurlitt stellt auch - und umfassender als das bisher erörtert wird - Fragen an den Kunsthandel und an die Auktionshäuser: Wie verfahren sie mit Werken, die sich, womöglich erst nach dem Verkauf, als Restitutionsfälle herausstellen? Inwieweit sind sie verpflichtet und - es geht dabei um juristische, aber auch um moralische Entscheidungen - bereit, ihrer Verantwortung gerecht zu werden? Ein Fall, der gerade vor dem Oberlandesgericht Köln verhandelt wurde, ist dazu aufschlussreich: Er könnte wegweisende Bedeutung haben.

Am 20. Mai 2000 ersteigert der prominente New Yorker Kunsthändler Richard L. Feigen bei Lempertz in Köln das Gemälde „Der Heilige Hieronymus mit dem Löwen und zwei Engeln“ von Lodovico Carracci (1555 bis 1619). Zur Provenienz heißt es im Katalog, den das Kunsthaus im Frühjahr an Feigen gesandt hatte: „Privatsammlung, Berlin (1933); Galerie Stern, Düsseldorf; 392. Lempertz-Auktion Köln, 13. 11. 1937, Lot 185 (Die Bestände der Galerie Stern, Düsseldorf); Rheinische Privatsammlung; Privatsammlung, Zürich.“

Die Provenienz des Gemäldes ist clean

Zuvor hatte am 18. Mai ein Mitarbeiter von Lempertz an Feigen ein Fax geschickt, folgenden Inhalts: „Die Provenienz des Gemäldes ist ,clean’. Wir verkauften es 1937 (Die Bestände der Galerie Stern, Düsseldorf) an einen Sammler im Rheinland.“ Am Tag darauf bittet Feigen bei Lempertz um eine Bestätigung, dass das „Art Loss Register“ konsultiert worden ist und dass es kein Problem hinsichtlich Diebstahl, Konfiszierung oder Zwangsverkauf gebe. Daraufhin erhält er ein Fax, dem zufolge das Art Loss Register den Katalog kontrolliere. Feigen erwirbt das Bild für 100 000 Mark nebst 16 000 Mark Aufgeld, und er lässt es am 31. Mai 2000 nach New York bringen.

Am 22. April 2009 veröffentlicht die „New York Times“ einen Artikel über die Restitution des Gemäldes „Porträt eines Sackpfeifenspielers“ (1632) eines unbekannten niederländischen Meisters, das sich bis 1937 im Besitz der Galerie Stern in Düsseldorf befand und in derselben Auktion bei Lempertz in Köln versteigert wurde. Richard Feigen stellt Nachforschungen an, kontaktiert das Art Loss Register - und sieht, dass das Bild von Carracci dort seit 2004 als vom nationalsozialistischen Regime gestohlen vermerkt ist. Er wird an das „Max Stern Restitution Project“ an der Concordia Universität Montreal verwiesen, das 2002 gegründet wurde und sich seit 2006 um die Wiederbeschaffung der zwangsverkauften Bilder aus dem Eigentum des Kunsthändlers (1904 bis 1987) bemüht, der 1937 über England nach Kanada emigriert ist.

Lempertz lehnt Entschädigungszahlung ab

Der Leiter des Projekts, Clarence Epstein, bestätigt, dass der Carracci 1937 bei Lempertz versteigert wurde und informiert das Heimatschutzministerium der Vereinigten Staaten. Daraufhin wendet sich der zustände Bundesstaatsanwalt an Richard Feigen, macht einen Beschlagnahmeanspruch geltend und veranlasst die Herausgabe des Gemäldes. Am 27. April 2009 unterzeichnet Feigen eine „Stipulation“, mit der er der Beschlagnahme zustimmt, und am 6. Mai findet im Leo-Baeck-Institut in New York die Rückgabe-Zeremonie statt.

Noch im selben Jahr wendet sich Feigen an das Kunsthaus Lempertz, das Entschädigungszahlungen aber ablehnt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 15. März 2012 greift er den Sachverhalt wieder auf und bietet Gespräche an, die Lempertz, ebenso wie Zahlungen, zurückweist. Richard Feigen sagt, der Lempertz-Chef Henrik Hanstein persönlich habe ihm in einem Telefonat am 17. Mai 2000 versichert, dass es mit Blick auf die Auktion von 1937 kein Problem gebe und dass es sich bei der Galerie Stern nicht um eine jüdische Galerie gehandelt habe. Lempertz bestreitet dies. Am 2. Juni 2012 reicht Feigen Klage ein und beantragt Schadensersatz in Höhe von 350 000 Dollar, dem aktuellen Wert des Bilds.

Gutachten soll Klärung bringen

Das Landgericht Köln lehnt die Klage aufgrund mündlicher Verhandlung am 27. Februar 2013 ab (Az.: 23 O 266/12). In seiner Entscheidung heißt es, dass

der Käufer das Bild in jedem Fall gutgläubig, da im Rahmen einer öffentlichen Versteigerung, erworben habe und ein Rechtsmangel weder nach deutschem Recht noch aufgrund der vermeintlichen Beschlagnahme in den Vereinigten Staaten vorliege. Der Kläger habe „nicht dargelegt, ob für diesen angeblichen Beschlagnahmeanspruch eine Entsprechung im deutschen Recht besteht“.

In der Berufung vor dem Oberlandesgericht Köln (Az.: 1 U 36/13) trägt Christian Bauschke, der Berliner Anwalt Feigens, zum Vorliegen des Rechtsmangels ergänzend vor, ein deutsches Gericht müsse den New Yorker Herausgabeanspruch der Stern-Erben berücksichtigen, denn er widerspreche keiner grundsätzlichen Wertung deutschen Rechts. Der Anspruch folge aus dem Recht des Staats New York, da dieses Zwangsverkauf mit Diebstahl gleichsetzt. Für den Vorsitzenden Richter Ulf-Thomas Bender ergibt sich daraus eine Frage, die nun ein Gutachten klären soll: Hatten die Stern-Erben einen Herausgabeanspruch nach New Yorker Recht? Und wie verhielte sich dieser zum deutschen Recht, da hierzulande ein Rechtsübergang bei einer Versteigerung endgültig ist und der Gegenstand dem Ersteigerer nicht mehr abgenommen werden kann?

Amerikanische Kunden werden benachteiligt

Dass beide Parteien vor einem Urteil, das erst im Lauf des nächsten Jahrs zu erwarten ist, zu einem Vergleich finden, erscheint derzeit wenig wahrscheinlich. Denn während Karl-Sax Feddersen, der Justitiar von Lempertz, gegenüber dieser Zeitung sagte, daran sei, solange die Gegenseite auf einem Schadenersatz in Höhe des aktuellen Werts bestehe, nicht zu denken, erklärte Richard Feigens Anwalt Christian Bauschke, er habe Vergleichsgespräche dazu mehrmals angeboten.

Sollte das Gutachten zu dem Ergebnis kommen, dass die Stern-Erben nach New Yorker Recht die Herausgabe des Bilds verlangen konnten, dürfte das für die Rechtsprechung weitreichende Folgen haben. Denn das Oberlandesgericht Köln muss dann entscheiden, wie sich dieser Anspruch zu dem wirksamen Eigentumserwerb nach deutschem Recht verhält. Auch die Privilegierung privater Auktionshäuser und damit von Geschäftsinteressen bei gutgläubigem Erwerb (§ 935, Abs. 2, BGB) könnte zur Disposition stehen.

Denn es lässt sich argumentieren, dass das Kunsthaus Lempertz mit der Geltendmachung eines Restitutionsanspruchs im Ausland schon zum Zeitpunkt der Auktion im Jahr 2000 hätte rechnen können, da es den Zwangsverkauf 1937 selbst durchgeführt hat und mithin eine Belastung des Gemäldes nicht auszuschließen war. Inzwischen sind Bilder aus den einstigen Beständen von Max Stern kaum noch handelbar: Eine Versteigerung im Kölner Auktionshaus Van Ham, wo ein restitutionsbefangenes Werk an den Stern-Nachlass übergeben und zwei weitere Werke an die anonym gebliebenen Einlieferer zurückgegangen sind, hat das gerade erst gezeigt und die unterschiedliche Rechtspraxis schlaglichtartig beleuchtet. Während die deutsche Justiz private Besitzer von Zwangsverkäufen unbehelligt lässt, werden betroffene Werke in New York konfisziert. Kann es sein, dass amerikanische Kunden, die in Deutschland an einer Auktion teilnehmen, ein anderes Risiko eingehen als solche aus Europa?

Feigen von Lempertz enttäuscht

Schon eine internationale Debatte über diese Differenz könnte dem Ansehen des deutschen Kunsthandels schaden. Denn es geht nicht nur um das, was rechtlich nicht zu beanstanden und erlaubt ist, sondern auch um Verantwortung und Moral. Richard Feigen, der als Kunsthändler auf Alte Meister spezialisiert ist, bezeichnet den wiederholten Verkauf des Werks bei Lempertz als „Recycling von Raubkunst“.

In einer Stellungnahme, die dieser Zeitung vorliegt, sagt Feigen: „Was das Verhalten von Lempertz angeht, bin ich überrascht, dass sie dort von Juden erbeutete Kunst noch einmal verkaufen, zumal sie die Umstände des Zwangsversteigerung von 1937 besonders gut kennen. Von der heutigen Generation hätte ich, zumal es sich bei Lempertz um ein wichtiges Unternehmen mit Filialen in mehreren Ländern, auch in den Vereinigten Staaten, handelt, erwartet, dass sie meinem Unternehmen, wo wir doch gute Kunden von ihnen sind und gutgläubig erworben haben, den Kaufpreis erstatten. Zumal ich vor der Auktion die richtigen Fragen gestellt habe.“

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunstmarkt/gerichtsverfahren-ist-das-recycling-von-raubkunst-12709908.html
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