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Vom Casus zur Lex Gurlitt? - From Casus to Lex Gurlitt?

1998
1970
1945
Die Welt 5 December 2013
von Peter Dittmar

Von der Restitution profitieren vor allem Juristen, die Provenienzforscher und Kunstfahnder beschäftigen

Nun haben die Juristen das Wort. Genauer: Sie haben viele Wörter, Auslegungen und Interpretationen parat, die mit Paragraphen argumentieren und gewöhnlich nur Meinungen dekorieren. Man redet von moralischen Verpflichtungen, vom Streben nach "fairen und gerechten" Lösungen. Aber der Verdacht, dass es dabei vor allem um Geld geht, lässt sich nicht so leicht beiseiteschieben. Das hat der Fall Gurlitt bewusstgemacht, auch wenn inzwischen sein Sensationsappeal verbraucht sein mag. Stattdessen rücken Gesetzesauslegungen in den Vordergrund. Während anfangs die Meinung vorherrschte, in der Münchner Wohnung sei unrecht Gut gehortet worden, neigen jetzt viele Kommentare dazu, die Berechtigung der Beschlagnahme zu bezweifeln, weil keine Verdachtsmomente bestanden, die eine Beziehung zu den Bildern haben. Als Händler – und damit potentieller Steuerhinterzieher – hätte Gurlitt nur gegolten, wenn er mehr als fünf Verkäufe pro Jahr getätigt hätte. Ein einzelner Verkauf gilt als privat und ist nicht steuerpflichtig.

Aber es mangelt auch nicht an Wortmeldungen, die unter Berufung auf die Washingtoner Empfehlungen (die Staaten nicht rechtlich binden, sondern lediglich Absichtserklärungen sind) eine Rückgabe an die noch zu ermittelnden Vorbesitzer verlangen. Dazu wird wiederholt eine gesetzliche Regelung, praktisch eine "Lex Gurlitt" gefordert, die rückwirkend auch Privatbesitzer trotz "gutgläubigen Erwerbs" zur Herausgabe von Kunstschätzen verpflichtet, wenn sie "verfolgungsbedingt entzogen" wurden. Was dann aus dem Sonderfall einer uneingeschränkten Eigentumsübertragung bei einer Auktion durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Versteigerer werden soll, wird dabei vorsichtshalber nicht angesprochen. Statt dessen werden die eigenartigsten Hilfskonstruktionen ersonnen, um möglich zu machen, was juristisch höchst fragwürdig ist. Für viele scheint es eben nur ein Ja oder Nein zu geben.

Doch was mancher für einfach hält, weil er das Prinzip Moral vor Recht für angemessen erachtet, erweist sich in der Realität als höchst kompliziert. Denn die Umstände, durch die Juden – zuerst in Deutschland, dann im besetzten Ausland – um ihren Besitz gebracht wurden, waren viel zu unterschiedlich, als das sie mit dem Ja/Nein-Schema gelöst werden könnten. Ein Beispiel ist Emil Noldes "Buchsbaumgarten" im Besitz des Wilhelm Lehmbruck Museums in Duisburg. Das Gemälde gehörte zur Sammlung des Breslauer Rechtsanwaltes Ismar Littmann, der 1934, weil er nach Erlass des "Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft" im April 1933 seinen Beruf nicht mehr ausüben und seine Familie nicht mehr ernähren konnte, Selbstmord beging. Seine Witwe musste 1935 für ihren Lebensunterhalt große Teile der Kunstsammlung versteigern lassen.

Dabei erwarb den Nolde der jüdische Bankier Heinrich Arnhold für 350 RM. Der Familie gelang die Auswanderung. Das Gemälde, das sie mitnehmen durfte, ließ sie 1956 bei Ketterer in Stuttgart versteigern. Und so ging es für 3.600 DM an das Museum. Eine Restitution lehnt Duisburg ab, weil das hieße, die eine Familie gegenüber der anderen ins Unrecht zu setzen. Statt dessen bot sie den Littmann-Erben eine Ausgleichzahlung von 300.000 Euro an, die diese ablehnten, weil sie von einem Wert von mindestens 500.000 Euro ausgingen. So verhaken sich hier wie in anderen Fällen Recht und moralisches Gebot.

Im Schatten der großen jüdischen Sammlungen, die gut dokumentiert sind und deshalb die Forderung nach einer Restitution sachlich begründen können, steht jedoch der Kunstbesitz zahlreicher Familien, die das, was sie verloren haben, zwar beschreiben, aber nicht belegen können. Wer hat schon seine Wohnung so fotografiert, dass die Bilder an der Wand eindeutig zu identifizieren sind? Und wie soll man beweisen, was man an Zeichnungen und Graphiken erworben und ordentlich, aber unsichtbar in Mappen bewahrt hatte? Wer den Blätter nicht seinem Sammlerstempel aufdrückte – und das galt eigentlich als barbarisch – mag seinen früheren Besitz, einen von vielen Dürer-Holzschnitten oder Rembrandt-Kupferstichen, an einem Wasserfleck, einem Riss erkennen, Beweiskraft hat das normalerweise nicht. Noch schwieriger ist das bei Porzellanen, Gläsern und anderem kunsthandwerklichen Dingen, die Teil des Haushaltes waren, täglich oder sonntäglich benutzt wurden. Oder von Büchern, wie sie nach der Verhaftung eines Ehepaares aus der umfangreichen Bibliothek als "verbotenes Schrifttum" aussortiert und beschlagnahmt wurden. Was nutzt es da, die Titel zu kennen, wo doch ein Buch wie das andere aussieht – selbst wenn es eine inzwischen hochbezahlte Erstausgabe ist. Deshalb spielen alle diese Gegenstände, da der Beweisnotstand eklatant ist, bei den Forderungen nach Restitution keine Rolle.

Dazu kommt der Faktor Zeit. Von den ursprünglichen Besitzern dieser Werte lebt kaum noch jemand. Die Restitutionsansprüche stellen die Erben. Das können die Kinder sein, ebenfalls inzwischen in hohen Jahren, oft auch Enkel oder entferntere Verwandte, die die Großeltern, Großonkel, Großtanten nie kennen gelernt hatten, nie in deren Wohnungen waren. Und von denen viele deshalb nicht wussten oder wissen, was die Familie einst besaß.

An diesem Punkt bieten sich die unterschiedlichsten Helfer an. Juristen meist, die Provenienzforscher und "Kunstfahnder" beschäftigen, um herauszufinden, wo sich lohnende Fälle ergeben könnten. So meldete sich bei den Enkeln von Verfolgten, wenige Tage bevor die Anmeldefrist bei der Jewish Claims Conference am 31. März 2004 ablief, das Berliner Anwaltsbüro von Trott zu Solz Lammek mit dem Angebot, die Besitztümer der Großeltern ausfindig zu machen und ihre Restitution einzuklagen – über das hinaus, was bereits als Wiedergutmachung gezahlt worden war. Kosten sollten nur im Falle eines Erfolges fällig werden.

Nun sind nach deutschem Recht und der von den Juristen hochgehaltenen Standesehre bis auf einige wenige Ausnahmen Erfolgshonorare unzulässig. Das wurde den Erben in Amerika in einem Brief auch mitgeteilt. Aber zugleich wurde ein Ausweg eröffnet. Als Vertragspartner offerierten sich nämlich nicht der Anwalt oder seine Kanzlei, sondern die in Zürich beheimatete Sonex Inc. (jetzt Restitution AG). Zweck dieser Gesellschaft sei, heißt es in der Selbstbeschreibung, "hauptsächlich die Organisation und Vorfinanzierung von juristischen, historischen und erbrechtlichen Recherchen und die Vorfinanzierung der Durchsetzung der daraus resultierenden Forderungs-Ansprüche." Dementsprechend verpflichtete sich Sonex, alle Anwalts- und Recherchekosten zu übernehmen. Dafür erwartete die Agentur im Falle eines Erfolges bei Grundstücken im Alleinbesitz 15 Prozent, bei Geschäfts- und Grundstücksanteilen 20 Prozent und bei Kunst- und anderen Vermögensgegenständen 25 Prozent des gegenwärtigen Verkehrswertes als Entgeld für ihre Vermittlungen.

Über solche Vereinbarungen wie über Geld-Interessen wird normalerweise nicht gesprochen. Deshalb mochte sich beispielsweise der Marburger Anwalt Markus Stötzel, der neben einem amerikanischen Anwalt die Erben von Alfred Flechtheim vertritt (wie auch die Erben der Kunsthändler, die den Welfenschatz verkauften), bei der Pressekonferenz in Düsseldorf nicht dazu äußern, wie ein solch anspruchsvolles Mandat innerhalb der engen Grenzen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes zu erfüllen sei.

Amerikanische Anwälte sind aus Sicht ihrer deutschen Kollegen besser dran. Sie dürfen entsprechend dem "no cure, no pay"-Prinzip Erfolgshonorare vereinbaren. Um welche Beträge es dabei gehen kann, verriet die Klage des niederländischen Anwalts Roelof van Holthe tot Echten im Honorarstreit mit Marei von Saher, der Erbin des einst einflussreichen und wohlhabenden Kunsthändlers Jacques Goudstikker. Van Holthe forderte, nachdem sich die Niederlande schließlich zur Restitution von 202 Gemälden bereitgefunden hatten, zwölf Millionen Euro Honorar. Schließlich sei ihm ein Anteil von 19,75 Prozent zugesagt worden. Von Saher wollte ihm dagegen nur 1,3 Millionen Dollar zugestehen. Mit Schonis hatte sie sich zuletzt auf vier Millionen geeinigt. Sie ging aber vor Gericht. Und das entschied, ihm stünden 7,5 Millionen Euro zu – ein Stundenlohn von 1300 Euro, wie der neue Anwalt von Saher süffisant verbreitete.

Bei solchen Summen – der Verkaufswert der restituierten Gaudstikker-Bilder wurde auf 80 bis 100 Millionen taxiert – ist es verständlich, dass die Frage des Geldes für alle Seiten im Vordergrund steht. Die Erben könnten, selbst wenn sie allenthalben kundtun, ihnen ginge es um die Wahrung des Andenkens ihrer Vorfahren und damit um das Bewahren der Kunst, diese Schätze nicht behalten, weil die Nebenkosten der Restitution gut und gerne die Hälfte des zu erzielenden Erlöses verschlingen. Und die Anwälte sind dementsprechend nur an Fällen interessiert, die auf ihren Konten gut sichtbare Spuren hinterlassen.

Bilder die zwei-, dreitausend Euro einbringen – wie offenbar so manches aus dem Gurlitt-Konvolut – lohnen unter diesem Blickwinkel nicht der Mühe. Offen bleibt dabei die Frage, was geschieht, wenn Restituiertes die finanziellen Erwartungen nicht erfüllt. Wenn Bilder wie Leopold von Kalckreuths "Drei Lebensalter" und Lovis Corinths "Rosen in Schale" auf 120.000 und 220.000 Euro geschätzt, oder Giovanni Segantinis "Kürbisernte" und Kasimir Malewitschs "Suprematistisches Gemälde, Rechteck und Kreis" mit Taxen von 1,8 bis 2,7 und 4,4 bis 6,2 Millionen Euro in Auktionen keinen Käufer fanden? Hängen sich das die Erben an die Wand und drehen ihren Anwälten eine Nase?

Aber auch die Ankündigungen, dass die Kunstwerke oder ihre Monetisierung durch Auktionen, einer Stiftung zufliesen solle, die dem Nachruhm des Erblassers verpflichtet wäre – wie unlängst in Sachen Flechtheim -, erweisen sich nur zu leicht als vage Versprechen. Etwas anderes ist es, wenn sich die Museen mit den Erben auf einen Rückkauf geeinigt haben und dann in der Sammlung zusätzlich zu den üblichen Beschriftungen auf das Schicksal des Bildes als Spiegel des Schicksals seines früheren Besitzers hinweisen.

C. D. Friedrichs "Watzmann" in Berlin, Otto Scholderers "Felsige Flusslandschaft" in Wuppertal, Ensors "Stillleben mit blauer Kanne" in Stuttgart oder Otto Muellers "Zwei weibliche Halbakte" in Köln sind Beispiele dafür. Aber sie sind natürlich nicht schlagzeilenträchtig wie die Millionenzuschläge für restituierte Bilder, wie die 61,4 Millionen Euro für Klimts "Adele Bloch-Bauer II" oder 26,7 Millionen Euro für Kirchners "Straßenszene" – wobei sich die Fachleute einig sind, dass der Kirchner aus dem Berliner Brücke-Museum ohne die Kontroversen um die Rückerstattung nur sieben bis neun Millionen Euro erzielt hätte.

Denn bei dem Für und Wider einer Restitution wird im Wechselbad der politisch-moralischen Argumente das Kunstwerk seiner Einzigartigkeit beraubt und zur Wandaktie degradiert. Die Gefühle, die Cornelius Gurlitt mit seinen Bildern verbinden, erscheint vielen deshalb nur kurios.

 

 

http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article122566309/Vom-Casus-zur-Lex-Gurlitt.html
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