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Gurlitt-Task-Force: "Wir arbeiten mit höchster Energie" - "We are operating with maximum efficiency"

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Der Spiegel 25 November 2013
Ein Interview von Ulrike Knöfel und Michael Sontheimer

Im Umgang mit dem Bilderfund in München sind Fehler gemacht worden. Das räumt die Gurlitt-Task-Force-Leiterin Ingeborg Berggreen-Merkel ein. Sie verteidigt aber die Beschlagnahmung der Sammlung.

Die Verwaltungsjuristin Ingeborg Berggreen-Merkel konnte bereits auf eine über 30-jährige Karriere im bayerischen Kultusministerium zurückblicken, als sie 2008 nach Berlin wechselte und hier Mitarbeiterin des Kulturstaatsministers wurde. Zuletzt arbeitete sie bis April 2013 als Amtschefin und Stellvertreterin von Bernd Neumann. Jetzt wurde Berggreen-Merkel mit der Leitung der Gurlitt-Task-Force beauftragt, die die Herkunft der in einer Schwabinger Wohnung gefundenen Kunstwerke aufklären soll.

SPIEGEL ONLINE: Frau Berggreen-Merkel, Sie haben erklärt, Sie würden gerne mit Cornelius Gurlitt sprechen. Was wollen Sie ihm sagen?

Berggreen-Merkel: Zunächst gebieten es die Höflichkeit und Fairness, mit dem Mann zu sprechen, um dessen Bilder sich die Task-Force jetzt kümmert. Außerdem möchte ich ihn kennenlernen und erfahren, was er über die Herkunft dieser Kunstwerke weiß.

SPIEGEL ONLINE: Würden Sie ihm zur Rückgabe von Raubkunst an die Erben raten?

Berggreen-Merkel: Ich würde ihm meinen Rat anbieten, ideal wäre es, wenn die bei der Washingtoner Konferenz 1998 beschlossenen Prinzipien zur Anwendung kämen.

SPIEGEL ONLINE: Dort heißt es: Museen sollen mögliche Raubkunst in ihren Beständen aufspüren und zurückgeben.

Berggreen-Merkel: Ja. Oder es müsste mit ihnen eine andere faire Lösung, zum Beispiel eine Kompensation, gefunden werden.

SPIEGEL ONLINE: Gurlitt ist als Privatperson zu nichts verpflichtet, außerdem hat er einer SPIEGEL-Redakteurin erklärt: "Ich gebe kein Bild freiwillig zurück."

Berggreen-Merkel: Dessen bin ich mir bewusst, mir geht es in diesem Stadium weniger darum, was rechtlich verpflichtend ist. Gespräche sind jetzt der beste Weg, um untereinander zu Lösungen zu kommen, die für alle Beteiligten tragbar sind.

SPIEGEL ONLINE: Sein Bilderbesitz wurde beschlagnahmt und seit 20 Monaten einbehalten. Finden Sie das in Ordnung?

Berggreen-Merkel: Dies ist sicherlich eine schwierige Situation. Als Task-Force versuchen wir, die Provenienzen der beschlagnahmten Kunstwerke möglichst zügig zu klären. Herrin des Ermittlungsverfahrens bleibt die Staatsanwaltschaft. Sie ist aufgerufen, in alle Richtungen zu ermitteln, also auch zugunsten des Beschuldigten.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Task-Force leistet wissenschaftliche Arbeit, das braucht Zeit. Gleichzeitig schaut die gesamte Welt darauf, was mit den Bildern passiert. Wie wollen Sie mit diesem Druck umgehen?

Berggreen-Merkel: Wir arbeiten jetzt mit höchster Energie, aber eben auch sorgfältig. Ich kann nicht sagen, wie lange das insgesamt dauern wird. Die Task-Force existiert ja erst seit gut einer Woche. Nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen sind 380 Bilder vorhanden, die einst als "Entartete Kunst" beschlagnahmt wurden. Neben den Bildern, die eindeutig Familienerbe sind, bleiben 593 Bilder, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen ist. Diese Bilder untersuchen wir vordringlich.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie uns ein Bild Gurlitts nennen, bei dem es sich zweifelsfrei um Raubkunst handelt?

Berggreen-Merkel: Ich bitte um Verständnis, aber wenn ein verfolgungsbedingter Entzug in Frage kommt, werden wir das zunächst der Staatsanwaltschaft mitteilen.

SPIEGEL ONLINE: Spätestens nach Ende der Ermittlungen muss Gurlitt seine Bilder zurückbekommen, auch wenn es sich um Raubkunst handelt. Deren Besitz ist in Deutschland legal.

Berggreen-Merkel: Wie es nach dem Abschluss unserer Forschungen weitergeht, liegt rechtlich in den Händen der Justiz und von Herrn Gurlitt. Die von Bund und Freistaat Bayern ins Leben gerufene Task-Force wird sich an möglichen Vermittlungslösungen beteiligen.

SPIEGEL ONLINE: Sie wussten seit Frühjahr 2012 von dem Kunstfund in München, haben der Augsburger Staatsanwaltschaft die Expertin Meike Hoffmann empfohlen. Warum haben Sie den Fund nicht öffentlich gemacht?

Berggreen-Merkel: Wir sind damals um die Vermittlung von Experten gebeten worden. Das ist auch umgehend geschehen. Von heute aus betrachtet, hätten danach alle beteiligten Stellen sicherlich besser kommunizieren sollen. Das muss man einräumen.

SPIEGEL ONLINE: Auf welcher rechtlichen Grundlage werden die Bilder jetzt so ausdauernd erforscht?

Berggreen-Merkel Die Staatsanwaltschaft ermittelt und muss klären, ob Straftaten begangen wurden. Dazu muss sie die Provenienz der Bilder kennen. Um die Herkunftsgeschichte effektiver nachverfolgen zu können, werden die Bilder in der Datenbank Lost Art im Internet gezeigt.

SPIEGEL ONLINE: Wie fänden Sie es, wenn Kunstwerke von Ihnen in aller Welt im Internet präsentiert würden?

Berggreen-Merkel: Dieser Problematik sind wir uns bewusst und wir haben mit der Staatsanwaltschaft Augsburg und dem Bayerischen Justizministerium lange darüber gesprochen. Wenn wir erfolgreich recherchieren wollen, brauchen wir aber alle nur denkbaren Hinweise. Dafür ist die Lost Art Datenbank von großer Bedeutung, weil wir nicht in der ganzen Welt herumsuchen können. Das alles dient auch dem Interesse von Herrn Gurlitt.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Berggreen-Merkel: Wenn wir mit unseren Recherchen zu dem Ergebnis kommen würden, bei dem Werk "xyz" ist kein verfolgungsbedingter Entzug vorhanden, dann ist vor der ganzen Welt klar, dass es sein Eigentum ist.

SPIEGEL ONLINE: Müssten dann nicht auch andere Privatsammler ihren Besitz offenlegen und zur Verantwortung gezogen werden?

Berggreen-Merkel: Es wäre zu begrüßen, wenn betroffene private Sammler beispielsweise Kontakt mit der Datenbank Lost Art aufnähmen. Aber das kann staatlich nicht angeordnet werden.

SPIEGEL ONLINE: Bei Herrn Gurlitt offenbar wohl.

Berggreen-Merkel: Noch einmal, hier geht es um ein Strafverfahren.

SPIEGEL ONLINE: Mit bislang dürftiger Rechtsgrundlage. Ein Händlerkollege von Hildebrand Gurlitt, Karl Haberstock, hat im großen Maßstab profitiert von Raubkunst. Die Stadt Augsburg würdigt ihn und seine Sammelleidenschaft mit einer Präsentation im Schaezlerpalais. Sie waren lange im Bayerischen Kultusministerium tätig. Erklären Sie uns: Wie kann das sein?

Berggreen-Merkel: Wissen Sie, für mich geht es jetzt vordringlich um die Sammlung Gurlitt. Darauf konzentriere ich mich.

SPIEGEL ONLINE: Falls es nicht zu Rückgaben von möglicher Raubkunst kommt: Wie soll man mit den Nachkommen der Opfer umgehen? Zahlt man Entschädigungen?

Berggreen-Merkel: Eines muss in diesem Zusammenhang klar sein: Unsere Vorgehen ist maßgeblich getragen von der Intention der Washingtoner Erklärung. Das grauenvolle Geschehen im Dritten Reich, das unfassbare Leid, das Morden - das verlangt, dass wir alles tun, um das wieder gut zu machen. Das bewegt mich auch persönlich zutiefst, auch bei meiner Aufgabe, die Provenienzen zu klären. Auch Herrn Gurlitt gegenüber würde ich gerne zum Ausdruck bringen, was die Herkunft seiner Bilder bedeutet und wem sie etwas bedeuten.

 

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/interview-mit-gurlitt-taskforce-leiterin-berggreen-merkel-a-935184.html
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