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Der Wille zur Sensation - The Will to Sensation

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Der Freitag 14 November 2013

Kunstfund So glücklich die Entdeckung der 1.400 Werke in München ist: Ihre kunsthistorische Bedeutung wird übertrieben. Eine Einordnung

Der Wille  zur Sensation

Foto: JEAN-LUC IKELLE-MATIBA/ fotolia

Der „entartete“ Bilder-Schatz von München sorgt seit Tagen für Schlagzeilen und Begehrlichkeiten. Vieles erweist sich bei genauer Betrachtung jedoch als spekulativ, manches als schlichtweg falsch. Die bloße Zahl der 1.400 Werke sagt zum Beispiel nur wenig über ihre kunsthistorische Bedeutung und historische Relevanz aus.

Aufschluss kann der zeitgeschichtliche Hintergrund der überwiegend aus grafischen Blättern bestehenden Sammlung geben. Der Vater von Cornelius Gurlitt, in dessen Wohnung die Werke gefunden wurden, war einer der vier ausgewählten Kunsthändler, die nach der Propagandaschau „Entartete Kunst“ 1937 die finanzielle „Verwertung“ der konfiszierten Kunst vornehmen sollten.

Bei den Beschlagnahmungen in deutschen Museen waren über 20.000 Werke entfernt worden, darunter Hauptwerke von van Gogh, Picasso, Beckmann, Dix, Kirchner oder Nolde, die heute zum großen Teil weltweit verstreut sind. Ziel der Nationalsozialisten war die moderne Kunst ab 1910, die während der Weimarer Republik gekauft worden war. Die Propaganda sprach verächtlich von „Systemkunst“, „Bluff“ und einer „Verschwörung des jüdischen Kunsthandels“; stereotype Vorurteile, die sich bis heute halten.

Die Schweiz als Drehscheibe

Die vom Regime geplante Verwertung war aber keineswegs einfach, das zeigt die berühmte Auktion von 125 Werken aus deutschem Museumsbesitz 1939 bei Fischer in Luzern. Spitzenpreise erzielten Werke von van Gogh, Gauguin und Picasso. Hauptwerke von Dix wie das berühmte Porträt der Tänzerin Anita Berber – in Nürnberg beschlagnahmt und heute eine Ikone des Kunstmuseums Stuttgart – konnten gar nicht verkauft werden. Das lag zum Teil daran, dass ein internationaler Markt für moderne deutsche Kunst kaum etabliert war, die französische Kunst weiter den allgemeinen Geschmack dominierte, Expressionismus und Verismus als zu „deutsch“ galten und man das „Dritte Reich“ nicht unterstützen wollte.

Dennoch griffen einige zu: Das Kunstmuseum Basel besitzt heute über 20 Werke, deren Erwerb mit der Aktion „Entartete Kunst“ im Zusammenhang steht. Die Revision einer vormals zu konservativen Sammlungspolitik und die Rettung bedrohter Kunstwerke konnten Hand in Hand gehen, wobei der Standort Schweiz als Drehscheibe funktionierte.

Das gilt bis heute, schließlich verkaufte der Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt dort Werke aus der väterlichen Sammlung und ließ sich seine Erträge daraus in der Schweiz gutschreiben. Überhaupt offenbart der Fall Gurlitt alle Facetten kaum geleisteter Aufarbeitung der Vergangenheit: ungebrochene Karriereverläufe der Kollaborateure nach 1945, undurchsichtige bis kriminelle Netzwerke der Profiteure, kurz: „gute Geschäfte“ im Nachfolgestaat des „Dritten Reichs“ und darüber hinaus.

Aber: die Nationalsozialisten blieben vor allem auf den umfangreichen grafischen Beständen – die jetzt auch den Münchner Fund wesentlich ausmachen – sitzen. So soll es 1939 im Hof der Hauptfeuerwache in Berlin-Kreuzberg zum barbarischen Akt der, bis heute nicht belegten, Verbrennung von fast 5.000 Kunstwerken gekommen sein, deren Verkauf unmöglich schien.

Wille zur Sensation

Was also hat man vor diesem Hintergrund in München gefunden? Bleiben wir bei Dix, dem Künstler, dessen Raucher-Selbstbildnis als zentraler Beleg für den angeblichen Sensationsfund dient: Ein bislang weitgehend unbekanntes Selbstbildnis von Dix! In Öl, angeblich 1919 gemalt und nicht im Werkverzeichnis von Fritz Löffler erwähnt! In der Tat ist es eine glückliche Fügung, dass der Zoll das Bild fand, doch weder war das Bild unbekannt, noch ist es 1919 gemalt worden – stilistisch und thematisch fällt es in den Zeitraum 1913/14. Zudem handelt es sich nicht um ein wirklich bedeutendes Dix-Selbstbildnis, wie schon der Vergleich mit dem fast zeitgleichen programmatischen Selbstbildnis mit Nelke lehrt, 1937 in Düsseldorf beschlagnahmt und heute in Detroit.

Erstaunlich ist die Uninformiertheit der Beteiligten, wenn die Augsburger Staatsanwaltschaft nach einigen Monaten der Recherche mit wenigen ausgewählten Stücken der beschlagnahmten Sammlung an die Öffentlichkeit tritt und sich weder des künstlerischen Rangs versichert noch die richtige Datierung eines gefundenen Hauptwerkes vornimmt. Erstaunlich ist der Wille zur Sensation. Natürlich wäre es eine Sensation, wenn einige Dix-Werke wieder auftauchten, die unter ungeklärten Umständen verloren sind: etwa der Schützengraben, jenes große Kriegsbild, mit dem Dix seit 1933 diffamiert wurde und das als „gemalte Wehrsabotage“ in der Broschüre Entartete Kunst abgebildet wurde. Der jetzt aufgespürte Dix ist zum Glück erhalten, aber keine Sensation.

Auch die Qualität weiterer der Öffentlichkeit vorgestellter Werke von Chagall, Courbet oder Liebermann ist relativ: In keinem Fall handelt es sich um ein absolutes Schlüssel- oder Spitzenwerk der genannten Künstler. Die aus Museumsbesitz in Halle an der Saale stammende kleinformatige Papierarbeit von Franz Marc ist ansprechend und glücklich wiedergefunden, aber das ebenfalls in Halle beschlagnahmte Hauptwerk Tierschicksale hängt heute in Basel und Der Turm der Blauen Pferde wird weiter gesucht und von einigen in der Schweiz vermutet. Der Spekulation sind hier keine Grenzen gesetzt.

Ein heikles Geschäft

Ein vergleichender und dann nüchterner Blick auf den Fund zeigt die relative kunsthistorische Bedeutung der beschlagnahmten Werke. Hier würde man sich auch von der Presse mehr Augenmaß wünschen, oder auch nur die Vermeidung simpler Fehler. Dazu zählt neben unhinterfragten Datierungen die Angabe falscher Techniken: Beckmanns Löwenbändiger ist eine Mischtechnik aus Gouache und Pastell und kein Gemälde und vielleicht als ironisches Rollenselbstbildnis dennoch das wichtigste Werk im Zusammenhang mit Gurlitts Sammlung.

Schon 1931 war es in Carl Einsteins berühmtem Band Die Kunst des XX. Jahrhunderts als Farbtafel abgebildet. Die Kunstgeschichte muss also weder neu- noch umgeschrieben werden: Beckmanns Kontakte im Amsterdamer Exil und die Existenz eines „zweiten Kunstmarktes“ während des „Dritten Reichs“ sind lang bekannt. Die Forderung, jetzt Lehrstühle für Provenienzforschung einzurichten, entbehrt angesichts gegenwärtiger Universitäts-Kürzungen nicht tragischer Komik. Es würde reichen, wenn Sachverständige, Experten und Institutionen ihre Arbeit gewissenhaft machten.

Was macht den Fund von München nun aber bedeutend? Relevanz besitzt er deshalb, weil er uns zwingt, einen kritischen Blick auf die Mechanismen des heutigen Umgangs mit der „Entarteten Kunst“, den Fragen der Provenienzforschung und Restitution, der Moral, dem Zusammenwirken von universitärer Forschung, Kunstjournalismus und Kulturpolitik zu werfen. Weder die Berichterstatter noch die Behörden, leider auch nicht die seit zehn Jahren verdienstvoll agierende Forschungsstelle zur „Entarteten Kunst“ sind bislang in adäquater Weise mit dem Fund umgegangen.

Zu den sachlichen Fehlern bei der Fund-Präsentation kommt der vom Ausland kritisierte unsensible Umgang der Behörden mit der Veröffentlichung oder Nicht-Veröffentlichung sowie die reflexhaft behauptete Notwendigkeit der Revision der Kunstgeschichtsschreibung. Für alle, den Kunsthandel, die Provenienzforscher, die Kunstkritiker, die Museen und die Kulturpolitik ist die Frage des Umgangs mit der geraubten oder beschlagnahmten Kunst entweder zu einem großen und heiklen Geschäft oder zu einem mehr oder weniger gut alimentierten Betätigungsfeld aktiver und oft doch seltsam dilatorisch betriebener Vergangenheitspolitik geworden, die selbstkritisch hinterfragt gehört.

Er wird hoffentlich zukünftig entweder offensiv-schonungslos betrieben – wie jüngst im Falle der Kokoschka-Rückgabe durch das Kölner Museum Ludwig – oder aber weniger sensationsheischend, dafür still-effektiver vorangetrieben. Die gegenwärtig erlebbaren Skandalisierungen oder der jüngste Hype zeugen hingegen nur von verspäteter moralischer Rechthaberei und professioneller Selbstüberschätzung.

http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-wille-zur-sensation
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