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Wem gehört der Welfenschatz?

1998
1970
1945
Frankfurter Allgemeine 22 September 2013
By Stefan Koldehoff

Sie zählen zu den bedeutendsten Goldschmiedearbeiten des Mittelalters: 1935 wurden sie von antisemitisch verfolgten Kunsthändlern an den preußischen Staat verkauft. Ihre Erben klagen auf Rückgabe. Nun meldet sich Israels Kulturministerin zu Wort.

Eigentlich hätte die für die Schlichtung strittiger NS–Raubkunstfälle gegründete Limbach-Kommission am Dienstag dieser Woche über ihren bislang größten und bedeutendsten Fall beraten sollen. In Berlin sollten unter anderem die Erben jener drei Frankfurter Kunsthändler angehört werden, die im Oktober 1929 den legendären „Welfenschatz“ vom Fürstenhaus Hannover erworben hatten: 82 Stücke aus dem mittelalterlichen Braunschweiger Domschatz, von denen sie in den folgenden Jahren vierzig an Sammler und Museen verkaufen konnten.

Nach 1933 wurden Zacharias Max Hackenbroch, Isaac Rosenbaum, Saemy Rosenberg und Julius Falk Goldschmidt und Arthur Goldschmidt aber als Juden verfolgt und durch die NS-Rassepolitik wirtschaftlich ruiniert. Sie gerieten immer mehr unter Druck – einige von ihnen mussten bald aus Deutschland fliehen – und verkauften im Juni 1935 schließlich die noch verbliebenen 42 Stücke des „Welfenschatzes“ an den preußischen Staat, der sich durch die Dresdner Bank hatte vertreten lassen.

Internationale Vereinbarungen

Wie Akten aus dem Archiv der Bank belegen, waren NS-Größen wie der preußische Ministerpräsident Hermann Göring und sein Kultusminister Bernhard Rust persönlich involviert. Der Verkauf durch die Händler, die bis auf wenige Ausnahmen mit ihren gefährdeten Familien damals noch in Deutschland lebten, sei kein freiwilliger gewesen, argumentieren seit fünf Jahren deren Erben und fordern die wertvollen kunsthandwerklichen Gegenstände aus dem Berliner Kunstgewerbemuseum zurück. Berufen können sie sich dabei auf die „Washingtoner Erklärung“ von 1998 und die „Berliner Erklärung“ von 1999, in denen sich die Träger öffentlicher Museen verpflichtet haben, ohne Ansehen von Verjährungsfristen unter NS-Druck erworbene Werke an die rechtmäßigen Eigentümer zu restituieren.

„Für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz besteht nach den hier bekannten Erwerbsumständen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Anlass zu der Annahme, dass der Ankauf des ‚Welfenschatzes‘ 1935 als NS-verfolgungsbedingter Entzug zu bewerten sein könnte“, lautete 2008 die erste Reaktion der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), zu der das Berliner Kunstgewerbemuseum gehört. Man werde aber prüfen. Eine der Anspruchstellerinnen, Yvonne Hackenbroch, war damals bereits hoch betagt. Sie verstarb im vergangenen Jahr und erlebte das Ende der Prüfungen nicht mehr.

Neue Dokumente

So einfach wie damals allerdings lässt sich das Restitutionsbegehren heute nicht mehr vom Tisch fegen. Eine Reihe inzwischen vorgelegter Dokumente, vor allem die Ankaufsunterlagen der Dresdner Bank, sprechen dafür, dass sich seine Besitzer nur unter dem Druck ihrer zunehmenden Verfolgung vom „Welfenschatz“ trennten, keinen angemessenen Kaufpreis erhielten und über den erhaltenen Betrag auch nicht frei verfügen konnten.

In einem Brief aus dem Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 31. Oktober 1934 heißt es über die Verhandlungen: „Da die Verkaufsaussichten der geschlossenen Sammlung jetzt ungünstig sind und eine zum Händlerkonsortium gehörende Firma sich in Zahlungsschwierigkeiten befindet, wäre die Zeit für einen Gesamtankauf durch den Staat zu einem bedeutend geringeren Preis außerordentlich günstig.“

Die wirtschaftliche Notlage des jüdischen Händlerkonsortiums wurde also wissentlich ausgenutzt. Damit wären die maßgeblichen Bedingungen der „Washingtoner Erklärung“ und ihrer deutschen Bestätigung erfüllt, die zu einer Restitution der Sammlung führen müssten. Trotzdem verweigerte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bislang eine Rückgabe. Immerhin stimmte man aber schon vor mehr als einem Jahr der Anrufung der Limbach-Kommission zu.

Zwei Gutachten

Die von der Kommission angesetzte Anhörung beider Seiten – den Kunsthändlererben als Antragsteller auf der einen und der Stiftung auf der anderen Seite – fand dennoch nicht statt. Um 11.21 Uhr am Montagmorgen teilte die Stiftung mit, dass sie keinen Vertreter entsenden werde. Grund dafür seien zwei Gutachten, die die Anwälte der Antragsteller, Mel Urbach aus New York und Markus Stötzel aus Marburg, noch am Freitag eingereicht hatten.

Im ersten kommt der Hannoveraner Zivilrechtsprofessor Stefan Meder zu dem Ergebnis: „Durch die Vorgänge im Jahr 1935 haben die jüdischen Kunsthändler ihr Eigentum an dem ‚Welfenschatz‘ nicht verloren, weil das Geschäft gem. § 138 Abs. 1 BGB gegen die guten Sitten verstoßen und damit nichtig sind. Die Anspruchsteller haben gegen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz einen Anspruch auf Herausgabe aus § 985 BGB.“

Im zweiten Gutachten schreibt der Direktor der Stiftung „Topographie des Terrors“ in Berlin, Professor Andreas Nachama: „Heute besteht unstreitig breiter Konsens darüber, dass den unter dem NS-Regime unter jüdischer Mitbeteiligung und unter Ausnutzung der besonderen Zwangslage getätigten Rechtsgeschäfte der Makel der ‚Verfolgungsursächlichkeit‘ und der ‚Sittenwidrigkeit‘, weil moralisch-ethisch in höchstem Maße bedenklich und verwerflich, anhaftet. Nichts anderes kann meiner Überzeugung nach deswegen auch für ein solches Rechtsgeschäft gelten, wie es im Juni 1935 über den sogenannten ‚Welfenschatz‘ abgeschlossen wurde.“

Ein Fall auf Regierungsebene

SPK-Präsident Hermann Parzinger sah sich laut Absageschreiben nicht in der Lage, diese zwar kurzfristig vorgelegten, inhaltlich aber bereits mehrfach vorgetragene Argumente wiederholenden Unterlagen in der Zeit bis zur geplanten Anhörung „in der nötigen Intensität auszuwerten“. Die aus den Vereinigten Staaten und aus London angereisten Erbenvertreter mussten unverrichteter Dinge wieder nach Hause fliegen.

Fraglich ist inzwischen allerdings, ob für den Eklat tatsächlich die beiden kaum überraschenden Gutachten verantwortlich sind und ob die maßgeblich vom Bund getragenen SPK und die Limbach-Kommission überhaupt noch selbst Herrinnen des Verfahrens sind. Inzwischen droht der „Fall Welfenschatz“ nämlich auf höchster Ebene das deutsch-israelische Verhältnis zu belasten.

English Summary:

The claim for the Guelph Treasures was due to be heard by the Limbach Commission last Tuesday. It would have been its largest and most important case. However two new expert opinions submitted by the claimants led to the withdrawal of the government funded and regulated Prussian Cultural Heritage Foundation (SPK) which holds the Treasures and has been claiming for five years that persecution had no part in their acquisition in 1935. Pressure from the Israeli Cultural Minister to come to a just conclusion underlines the significance of the case and how the government must review its position: 

The first reaction of the SPK in 2008, was that the acquisition of the Treasures in 1935 had nothing to do with Nazi persecution. However a number of documents submitted as part of the claim, especially the purchase documents of the Dresdner Bank through which they were acquired, suggest that his owners separated from them only under the pressure of their increasing persecution, received no reasonable purchase price and the proceeds were not freely available to them. Bank documents show the keenness to exploit the Jewish owners' situation so that 'the State could acquire them at a significantly low price'.

At 11.21am on the morning of the hearing, the Foundation withdrew from the hearing. The claimants had submitted two new opinions.
The first, from Hannover civil law professor Stefan Medes concluded that the claimants were entitled to restitution under § 985 BGB. The second, from the Director of the Tpography of Terror Foundation in Berlin , Professor Andreas Nachama, concluded that the acquisition was morally tainted, took place in a context of  'Verfolgungsursächlichkeit 'and' could not be considered as other than morally and ethically reprehensible.

The question is now how the SPK addresses the opinions and, given that the SPK is funded by the federal government, who is leading the process. Meanwhile, the case is threatening German-Israeli relations at the highest level.

In a letter dated last Thursday, the Israeli Minister of Culture Limor Livnat appealed to the German Culture Minister Bernd Neumann. She referred to the Washington Declaration of 1998, which was reaffirmed once again at an international conference in Theresienstadt four years ago, and the resulting moral obligation of Germany for finding fair and equitable solutions for the victims whose cultural property was appropriated by the Nazis: "We trust that the Commission will take into account these principles and is aware of the importance of the matter for the Jewish people in general and especially for Holocaust survivors in Israel and the world".

The Prussian Cultural Heritage Foundation, meanwhile, has committed an international law firm to search for a "fair and equitable solution." The Guelph Treasure, however, nearly eighty years after its purchase by the Berlin museums, is now a government matter.

 

http://www.faz.net/aktuell/kunstrestitution-wem-gehoert-der-welfenschatz-12585247.html
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