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"Das war eine große Überraschung" - "This was a big surprise"

1998
1970
1945
Hamburger Abendblatt 18 July 2013


Ein paar Bücher will Nancy Petschek-Kohn zur Erinnerung behalten. Der größte Teil geht an eine geeignete Institution

Hamburg. Nancy Petschek-Kohn, die Urenkelin von Helene und Ignaz Petschek, ist nach Hamburg gereist, um die geraubten Bücher in Empfang zu nehmen. Die Sozialarbeiterin und Filmproduzentin lebt in New York, beschäftigt sich mit Zeitgeschichte und arbeitet in Bildungsprogrammen.

Hamburger Abendblatt:

Ihr Urgroßvater ist vor fast 80 Jahren gestorben. Was hat man in Ihrer Familie über ihn erzählt?

Nancy Petschek-Kohn:

Ich wusste, dass mein Urgroßvater in der Tschechoslowakei mit großem Erfolg unternehmerisch tätig war. In der Familie wurde nicht viel darüber gesprochen, mein Vater hat nur wenige Geschichten erzählt. Für ihn war Deutschland ein abgeschlossenes Kapitel. Ich habe mich später aber sehr dafür interessiert und mich dann auch mit der Geschichte von Helene und Ignaz Petschek beschäftigt.

Woher kam Ihr Interesse?

Petschek-Kohn:

Je mehr ich über den Holocaust wusste, desto mehr hat mich auch beschäftigt, wie die einzelnen Familien davon betroffen waren. Viele sind ermordet worden, manche hatten ein glücklicheres Schicksal. Meiner Familie ist die Emigration gelungen. Diese Dinge haben mich sehr beschäftigt.

Ihre Familie stammt aus Usti, dem früheren Aussig in Tschechien. Waren Sie dort?

Petschek-Kohn:

Ich war drei- oder viermal dort, das erste Mal 1984 mit meinem Vater. Wir haben auch die beiden Villen meiner Urgroßeltern gesehen. Sie stehen noch, nach der Annexion des Sudetenlandes wurde eines der Häuser von der Gestapo genutzt, nach 1945 zog die Kommunistische Partei dort ein. Heute dient es wohl als Kinderkulturzentrum.

Was haben Sie empfunden, als die Hamburger Staatsbibliothek 2009 mit Ihnen Kontakt aufnahm, um die Bücher zurückzugeben?

Petschek-Kohn:

Das war eine große Überraschung. Niemand in meiner Familie erinnerte sich an die Bücher, wir hatten keine Ahnung, dass es eine so große Bibliothek gab. Es war auch ein merkwürdiger Zufall, denn zu dieser Zeit nahm ich in Prag an einer Holocaust-Konferenz zum Thema Raubkunst teil, in der über Fragen der Rückgabe diskutiert wurde. Ich habe dort auch einen Vortrag gehalten und erfuhr nun, dass ich persönlich betroffen bin.

420 Bücher sind viel, aber wahrscheinlich war die Bibliothek noch sehr viel größer. Wissen Sie auch von anderen Fundstellen?

Petschek-Kohn:

Es gibt eine Beschlagnahmungsliste der Gestapo, die mehr als 1000 Titel enthält. Es werden noch sehr viel mehr einzelne Bände gewesen sein. Wir wissen, dass sich im Stadtmuseum von Usti nad Labem noch Bücher befinden. Bei einigen wurden die Exlibris entfernt oder mit denen der dortigen Stadtbibliothek überklebt.

Was werden Sie mit den zurückgegebenen 420 Büchern tun?

Petschek-Kohn:

Das werde ich gemeinsam mit meinen Cousins und Cousinen entscheiden. Ich selbst würde gern einige Bücher zur Erinnerung behalten, vielleicht geht es auch anderen Verwandten ähnlich. Für meine Verwandten hat diese Rückgabe auch dazu geführt, sich mit der eigenen Familiengeschichte zu beschäftigen. Aber den größten Teil des Bestandes werden wir wahrscheinlich an eine geeignete Institution übergeben.

Was denken Sie über die Bemühungen der Staatsbibliothek, geraubtes Kulturgut zurückzugeben?

Petschek-Kohn:

Das ist natürlich wundervoll, nur kommt es leider sehr spät. Damit kritisiere ich keineswegs diejenigen, die sich heute darum bemühen. Deren Engagement finde ich großartig. Aber es ist schon erstaunlich, dass sich so lange Zeit niemand darum gekümmert hat.


http://www.abendblatt.de/kultur-live/article118152654/Das-war-eine-grosse-Ueberraschung.html
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