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Waschkommode mit Vergangenheit - Washstand with a History

1998
1970
1945
NWZ Online 8 July 2013
By Regina Jerichow

Oldenburger Provenienzforscher Marcus Kenzler recherchiert jüdische Vorbesitzer – Auktion unter Zwang. Die Waschkommode gehörte der 82-jährigen Rosalie Israels aus Weener. Ihr Haushalt wurde 1940 in Oldenburg versteigert. Zwei Jahre später wurde sie im KZ Theresienstadt ermordet.



Restaurierungsbedürftiges Möbelstück: Provenienzforscher Marcus Kenzler (links) im Magazin mit der Waschkommode (1790, im Stil Ludwig des XVI.) aus dem Haushalt von Rosalie Israels. – Die kleine Zeitungsanzeige aus den Oldenburger Nachrichten warb für den zweiten Teil der Auktion am 21.03.1940, wo der Rest ihres Mobiliars veräußert wurde, der zuvor nicht verkauft werden konnte.


Oldenburg Sie ist alt und aus Mahagoni, aber nicht mehr sehr ansehnlich, ziemlich verkratzt, restaurierungsbedürftig und daher auch nicht besonders wertvoll. Weshalb die Waschkommode seit Jahrzehnten im Magazin des Oldenburger Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte ein weitgehend unbeachtetes Dasein fristete.

Bis Marcus Kenzler bei der Durchsicht der Inventarlisten stutzig wurde. Und als er im Staatsarchiv zu recherchieren begann, gesellte sich zur berufsbedingten Neugier ein Grauen, das ihn antrieb, die Spur immer weiter zu verfolgen und tief in die Geschichte einer jüdischen Rentnerin aus Weener in Ostfriesland einzutauchen. Das Ergebnis seiner „Feldforschung“ ist ein Stammbaum, dessen Äste bis in die USA und nach Jerusalem reichen.

„Hollandmöbel“

Der 40-Jährige ist Provenienzforscher am Landesmuseum, einer von rund 60 bundesweit – bei mehr als 6000 Museen, die für diese Art der Recherche ebenfalls in Frage kämen. Er betreibt sein Amt mit geradezu detektivischer Akribie, um herauszufinden, ob Gemälde und kunsthistorische Objekte im „Dritten Reich“ aus jüdischem Besitz enteignet wurden, ins Museum gelangten und bis heute unerkannt geblieben sind. Finanziert wird die Stelle vom Staatsministerium für Kultur und Medien in Berlin.

Eine Herkulesaufgabe, vor der der promovierte Kunsthistoriker steht. Nachdem er sich einen Überblick verschafft und das Inventarbuch des Museums über rund 30 000 Objekte in ein selbst organisiertes System im Computer übertragen hat, widmet er sich derzeit schwerpunktmäßig der Herkunft der Gemälde, die zwischen 1945 und 1966 erworben wurden – das sind allein 254 Werke – sowie der Möbelstücke aus dem Zeitraum 1940 bis 1945, darunter die sogenannten Holland-Möbel.

Diese Möbelstücke wurden aus jüdischem Besitz beschlagnahmt und kamen über die Niederlande oder direkt aus den Niederlanden nach Oldenburg in eine zentrale Sammelstelle, wo sie für die „Verwertung“ sortiert wurden und wo sich die Bürger aus Stadt und Region ohne Scheu bedienten. „Und es wurde alles verwertet“, fasst Kenzler die Ergebnisse seiner Recherche bissig zusammen. Einer der Sonderbeauftragten für die Sortierung und Verwertung war der damalige Museumsdirektor Walter Müller-Wulckow, der manches Stück für das Landesmuseum auswählte.



Im Fall der Waschkommode ist die Provenienz jedoch eine andere: Kenzler fand im Inventarbuch lediglich den Namen „Heimsath“, der ihn aufmerken ließ. Die Recherche führte ihn zu einem Auktionator gleichen Namens, der just an dem Tag, an dem die Kommode beziehungsweise das „Vertikow“ ins Haus kam, eine „Judenversteigerung“ veranstaltete. „Jede dieser Auktionen liefert schon einen Grund, ein dort ersteigertes Objekt zu restituieren“, erläutert der 40-Jährige. Denn die Gegenstände, die dort unter den Hammer kamen, wurden nur scheinbar aus freien Stücken bereitgestellt. So auch bei der Witwe Rosalie Israels, geborene Salomons – eine vermögende Frau mit großem Landbesitz –, die über Jahre sukzessive ihrer Heimat beraubt wurde. Im Februar 1940 fand in Weener die abschließende Säuberungswelle statt – der Ort war fortan „judenfrei“. Die damals schon 82-jährige Mutter von fünf Kindern erhielt den Räumungsbefehl und war in Oldenburg zunächst bei einer jüdischen Rentnerin untergebracht. Ihr gesamter Haushalt – vom Schlafzimmer bis zum Fleischblock und zu „diversen Kleinigkeiten“ – kam zur Versteigerung.

„Ihr Weg war vorgezeichnet“, sagt Kenzler. Schließlich kam die alte Frau nach Berlin, landete vorübergehend in einem jüdischen Pflegeheim und dann im Konzentrationslager Theresienstadt, wo sie 1942 ermordet wurde. Ein Transport übrigens, den sie praktisch selbst bezahlte, denn wie Kenzler nicht ohne zu schaudern betont, wurden die Erlöse dieser Auktionen in der Zeit des Nationalsozialismus auch zur Finanzierung der „Endlösung“ verwendet.

Den finanziellen Wert der Oldenburger Kommode beziffert er auf 3000 bis 3500 Euro, allerdings erst nach der erforderlichen Restaurierung. Kein Vergleich also etwa zu den kostbaren Gemälden der Klassischen Moderne, aber für Kenzler ist das keine Frage: „Jedes Objekt ist die Recherche wert, denn wo wollte man die Grenze ziehen?“

Vieles musste sich Kenzler bei seiner Recherche zusammenreimen, mitunter wurde er auch im Internet fündig. Aber nun hängt die Grundlage für sein weiteres Vorgehen an der Pinnwand hinter seinem Schreibtisch: Ein sorgfältig ausgearbeiteter Stammbaum, der aufzeigt, was aus den fünf Kindern der Witwe Rosalie Israels geworden ist, ob und wen sie heirateten, wo die Enkel und Urenkel geblieben sind. Die gelb und rosa unterlegten Flächen führen ins Leben und weit aus Deutschland hinaus, die grauen in den Tod. Zwei Familienzweige wurden komplett ausgelöscht.

Keine Antwort

Nun gilt es juristisch abzuklären, wer erbberechtigt ist. Alle noch lebenden Familienmitglieder hat Kenzler vor Wochen angeschrieben – „das erschien mir am seriösesten“. Doch er vermutet, dass die Kommunikation „möglicherweise schwierig werden könnte“ und er „einfach mal anrufen“ muss. Eine Antwort jedenfalls hat er bis heute nicht erhalten.

http://www.nwzonline.de/ratgeber/waschkommode-mit-vergangenheit_a_7,2,1236469627.html
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