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Hans Sachs’ Plakatsammlung: Herausgabe um jeden Preis

1998
1970
1945
Frankfurter Allgemeine 14 November 2012
By Ludwig von Pufendorf und Ulrice Michelbrink

Der BGH hat Hans Sachs’ Plakatsammlung dem Deutschen Historischen Museum abgesprochen - ein gefährliches Fehlurteil.

Die kürzlich erfolgte Übergabe der Plakatsammlung des jüdischen Sammlers Hans Sachs durch das Berliner Deutsche Historische Museum (DHM) an den Sohn Peter Sachs und dessen Ankündigung, die Sammlung - entgegen dem erklärten Wunsch des Vaters - nicht zusammen- und öffentlich verfügbar zu halten, sondern versteigern zu lassen, gibt Gelegenheit zu einem Rückblick.

Mitte März sprach der Bundesgerichtshof Peter Sachs die sich bis dahin im DHM befindende Sammlung seines von den Nationalsozialisten verfolgten Vaters zu. Dem waren knapp zweijährige Verhandlungen vorausgegangen, wie sie in Deutschland nach Abschluss der Washingtoner Konferenz von 1998 auf der Grundlage der Gemeinsamen Erklärung von Bund, Ländern und Gemeinden sowie einer eigens entwickelten „Handreichung“ praktiziert werden. Damit soll jüdischen Verfolgten und ihren Nachkommen auch nach Ablauf der Antragsfristen der nach 1945 erlassenen Wiedergutmachungsgesetze auf freiwilliger Basis eine Möglichkeit eröffnet werden, für verfolgungsbedingt verlorengegangenes und bis zum Ablauf dieser Fristen noch nicht wiederaufgefundenes Kulturgut eine „gerechte und faire“ Lösung zu erwirken.

Das DHM hatte die aus der Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts reichende, ursprünglich etwa 12 000 und heute noch 4200 Plakate umfassende Sammlung vom DDR-Museum für Deutsche Geschichte übernommen. Innerhalb der Verhandlungsphase gelang dem DHM der urkundliche Nachweis, dass der Sammler und Nachlassgeber selbst, nachdem ihm und damit auch seiner Familie im Jahr 1966 bekannt geworden war, dass es die Sammlung in Teilen doch noch gab und wo sie sich befand, erklärt hatte, er wolle seine Plakate nicht zurückhaben. Schließlich sei er großzügig entschädigt worden, die Sammlung solle lediglich für die Öffentlichkeit und die wissenschaftliche Aufarbeitung als Ganzes verfügbar gemacht und gewürdigt werden. So hat denn auch die Witwe nach dem Tod von Hans Sachs im Jahr 1974 als dessen Alleinerbin bis zu ihrem Tod im Jahr 1998 nichts unternommen, um Rückgabeansprüche geltend zu machen. Aus all diesen Gründen wurde das erst sieben Jahre nach Abschluss der Washingtoner Konferenz angemeldete Herausgabeverlangen abgelehnt.

Daraufhin wandte sich der Berliner Anwalt des Erben - begleitet von einer Pressekampagne - an Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der die Anrufung der durch die Gemeinsame Erklärung geschaffenen Beratenden Kommission vorschlug. Deren Vorsitz hat die frühere Bundesverfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach inne. Die Anrufung geschah in der selbstverständlichen Erwartung, dass sich beide Parteien dem Kommissionsvotum unterwerfen würden. Nach einer mehrstündigen Beratung votierte die Kommission erstmals zugunsten einer öffentlichen Kultureinrichtung und empfahl, die Sammlung beim DHM zu belassen.

Die Schaffung der Beratenden Kommission beruht auf der Überzeugung, dass in der Bundesrepublik wegen des Ablaufs der Anmeldefristen von alliierten Rückerstattungsgesetzen, Bundesentschädigungsgesetz, Bundesrückerstattungsgesetz, Vermögensgesetz und der alleinigen Geltung dieser Gesetze für die Wiedergutmachung von NS-Unrecht auf gerichtlichem Weg die Rückgabe solcher Vermögensgegenstände nicht mehr durchgesetzt werden kann. So sollte mit der Kommission ein Mediationselemente enthaltendes Instrument zur Verfügung stehen und dabei helfen, das vorrangige Ziel der Washingtoner Konferenz zu erreichen: gerechte und faire Lösungen zu finden. Von dieser Ausgangslage weicht das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Sammlung Sachs grundlegend ab. Es eröffnet für Restitutionsansprüche - und zwar nicht nur für Kulturgüter - den zivilrechtlichen Weg neu.

Der V. Zivilsenat des BGH kommt zu dem Schluss, dass von der ausschließlichen Geltung der alliierten Rückerstattungsgesetze abgewichen werden müsse, wenn eine Sache nach dem Krieg verschollen war und der Verfolgte respektive seine Erben erst nach Ablauf der einschlägigen Fristen von ihrem Wiederauftauchen Kenntnis erlangt habe. Anderenfalls hätten die alliierten Rückerstattungsgesetze dem Berechtigten jede Möglichkeit genommen, „die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands zu verlangen, und auf diese Weise das nationalsozialistische Unrecht perpetuiert“.

Wie ist die Rechtslage tatsächlich? Die kurzen Anmeldefristen der alliierten Rückerstattungsgesetze sollten dem baldigen Rechtsfrieden, aber auch dem zügigen Wiederaufbau des Landes dienen. In diesem Sinne entschied das oberste Rückerstattungsgericht für die amerikanische Zone 1951, dass ein Rechtsverlust endgültig sei, wenn der Berechtigte die Anmeldefrist für seinen Rückerstattungsanspruch versäumt habe. Von dieser Haltung wich der Große Senat des BGH 1955 für den Fall ab, dass mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes der Verfolgte oder seine Erben ungehindert auf den in seinen tatsächlichen Verhältnissen unverändert gebliebenen Vermögensgegenstand zugreifen konnten. In dem Fall handelte es sich um ein Wertpapierdepot, das auch nach der Emigration der jüdischen Eigentümerin auf ihren Namen weitergeführt wurde. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland verlangte sie von der kontoführenden Bank die Herausgabe der in dem Depot geführten Wertpapiere.

Neue Aktualität gewann die Rechtsprechung zu den alliierten Rückerstattungsgesetzen mit der Wiedervereinigung. Im Vermögensgesetz setzte der bundesdeutsche Gesetzgeber die von der letzten Volkskammer der DDR beschlossene Wiedergutmachung für die vom NS-Regime auf dem Gebiet der DDR Verfolgten um. Dabei knüpfte man unmittelbar an die Grundsätze der alliierten Rückerstattungsgesetze an. Wiederum waren die Anmeldefristen des Vermögensgesetzes kurz; die letzte endete am 30. Juni 1993. Die gerichtliche Zuständigkeit für diese Verfahren ging an die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

In gewisser Weise also die gleiche Konstellation wie nach dem Krieg: kurze Fristen und eine Spezialgesetzgebung mit klar zugewiesenem Rechtsweg. Es verwundert allerdings nicht, dass Betroffene nach Verstreichen der Fristen des Vermögensgesetzes versuchten, ihren Anspruch zivilrechtlich durchzusetzen. Schon im Mai 1995 entschied aber das Bundesverwaltungsgericht in Anknüpfung an die Rechtsprechung der fünfziger Jahre, dass „im ordentlichen Rechtsweg . . . Ansprüche auf Herausgabe von Vermögenswerten nur geltend gemacht werden (dürfen), wenn sie auf nicht verfolgungsbedingte Gründe gestützt waren“, und fügte mit Bezug auf die Entscheidung des Großen Senats aus dem Jahre 1955 hinzu: „Von diesen Grundsätzen hat der Große Senat für Zivilsachen . . . lediglich für den besonderen Fall eine Ausnahme zugelassen, dass der durch eine nichtige Verfallserklärung entzogene Vermögensgegenstand ohne jede Veränderung der ihn betreffenden tatsächlichen Verhältnisse erhalten geblieben war und der Verfolgte deshalb ohne weiteres auf ihn zugreifen konnte.“ Der III. Zivilsenat des BGH bekräftigte diese Rechtsprechung im Jahr 2003 (BGH vom 9. Januar 2003 - III ZR 121/02).

Weder mit der später vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG, VIZ 1999, 468f.) bestätigten und jedem Restitutionsrechtler vertrauten Grundentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch mit der des III. Zivilsenats des eigenen Gerichts setzt sich der V. Senat auseinander. Er blendet diese Entscheidungen aus und verzichtet trotz seiner abweichenden Rechtsauffassung darauf, den gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe anzurufen. Wo bleibt hier das grundgesetzlich verankerte Recht auf den gesetzlichen Richter?

Mit welcher Entschlossenheit der Senat vorgegangen ist, mag das Folgende beleuchten: Hans Sachs erhielt 1961 für seine verloren geglaubte Plakatsammlung im Zuge eines abschließenden und damit seine Erben bindenden Vergleichs von der Bundesrepublik Deutschland zum auf Basis wohlwollender Gutachten geschätzten Marktwert von 1959 den von ihm selbst so belobigten Schadensersatz in Höhe von 225 000 D-Mark. Der BGH geht in seiner Entscheidung davon aus, dass die Hans Sachs gewährte Schadensersatzzahlung auf der Grundlage des Bundesrückerstattungsgesetzes erfolgt ist. Dieses hatte aber vor allem zur Voraussetzung, dass der Vermögensgegenstand „verlorengegangen“ war. Mit anderen Worten: Mit diesem die alliierten Rückerstattungsgesetze ergänzenden Gesetz und seiner bewusst vagen Begrifflichkeit sollte den schwierigen Nachkriegsbedingungen für die Rückforderung von Sachwerten durch notwendigerweise niedrige Beweisschranken Rechnung getragen und sollten Anspruchsmöglichkeiten gerade eröffnet und erleichtert werden. Hierzu findet sich in den Gründen des Urteils des V. Zivilsenats kein Wort. Wenn aber das zwingende Tatbestandsmerkmal, dass der Vermögensgegenstand verlorengegangen sein musste, nicht erfüllt war, bestand auch keine Schadensersatzpflicht der Bundesrepublik.

Nicht anders ist die Befassung des BGH mit der verwirklichungsrechtlichen Seite des Falls zu bewerten. Wiederum im Zwiespalt mit Gesetzgebung und höchstrichterlicher Rechtsprechung, begegnet der V. Zivilsenat der Frage der Verwirkung des Peter Sachs zugebilligten Herausgabeanspruches. Allgemein ist ein Recht gemäß Paragraph 242 BGB verwirkt, wenn der Berechtigte es über längere Zeit nicht geltend gemacht hat und sich der Verpflichtete aufgrund des gesamten Verhaltens des Berechtigten nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen würde. Aufgrund der vielfältigen schriftlichen Zeugnisse von Hans Sachs, mit denen er immer wieder betonte, wirtschaftlich großzügig entschädigt zu sein, und ausdrücklich die Verwahrung der Sammlung im damaligen DDR-Museum für Deutsche Geschichte begrüßte, hatten noch die Beratende Kommission und das Kammergericht Berlin eine Pflicht zur Rückgabe der Sammlung verneint. Der V. Zivilsenat hält dies alles nicht für ausreichend: denn es müsse berücksichtigt werden, dass der Herausgabeanspruch Kernbestandteil des durch Artikel 14 des Grundgesetzes geschützten Eigentums sei und seine Verneinung wirtschaftlich die Enteignung des Eigentümers bedeute. Dabei stützt sich das Gericht auf seine Entscheidung aus dem Jahr 2007 in einem schon wegen der Unverjährbarkeit nur von Immobilienherausgabeansprüchen nicht vergleichbaren Fall, in dem es um einen Nachbarschaftsstreit um einen Grundstücksschnipsel von 58 Quadratmetern ging (Urteil vom 16. März 2007 - V ZR 190/06). Wirtschaftlich ist aber Hans Sachs, der ohnehin in seine Erben bindender Weise stets davon gesprochen hat, keine materiellen Interessen mehr verfolgen zu wollen, vollständig entschädigt worden. Auch handelte es sich bei den Plakaten im wesentlichen Unterschied zu einem verlustiggegangenen Grundstück um in großer Stückzahl maschinell hergestellte bewegliche Gegenstände, die Hans Sachs - wiederum wirtschaftlich betrachtet - mit der Entschädigungsleistung auf dem Kunstmarkt weitgehend hätte wieder zusammenkaufen können.

So schafft die Verurteilung des DHM zur Herausgabe der Plakatsammlung ohne Verpflichtung zur Rückgewähr der erhaltenen Entschädigungsleistung - übrigens im Gegensatz zu den unverbindlichen Vorgaben von „Gemeinsamer Erklärung“ und „Handreichung“ - auch noch bewusst den Präzedenzfall für eine Entschädigungsdoppelung - nicht nur im Lichte der New Yorker Marktwertschätzung von 5,8 Millionen Dollar wahrlich keine gerechte Entscheidung. Dieses Urteil hätte nur noch im Wege der Verfassungsbeschwerde revidiert werden können; es muss verwundern, dass der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien nicht dafür Sorge getragen hat, dass der Stiftungsrat des DHM, dessen Vorsitz diese Behörde stellt, offenbar nicht die Gelegenheit erhielt, rechtzeitig über einen Gang zum Bundesverfassungsgericht zu entscheiden.

Professor Ludwig von Pufendorf und Ulrice Michelbrink sind Rechtsanwälte in Berlin und haben das Deutsche Historische Museum vor der Beratenden Kommission sowie in der 1. Instanz vor dem Landgericht Berlin vertreten.

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