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Die reiche Beute der Deutschen aus der Nazizeit

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1970
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Die Welt 18 September 2008

Nach 1933 mussten Juden ihr Hab und Gut verkaufen, oft wurde ihnen Besitz gestohlen. Viele Kunstgegenstände und Bilder wechselten so die Besitzer. In Berlin ist nun die Ausstellung "Raub und Restitution" zu sehen. Sie zeigt, wie deutsche Museen von den Taten der Nazis bis heute profitieren. Von Uta Baier
Eine Ausstellung in Berlin über Raubkunst
Jüdisches Museum

Amerikanische Soldaten zeigen im Mai 1945 geraubte Bilder im Schloss Neuschwanstein.

Das Ungeheuerliche kommt im schönsten Bürokratendeutsch daher: "Alle Juden deutscher Staatsangehörigkeit und alle staatenlosen Juden müssen die ihnen gehörenden Gegenstände aus Gold, Silber und Platin sowie Edelsteine und Perlen binnen zwei Wochen an die eingerichteten öffentlichen Ankaufsstellen abliefern." Das war 1939.

Gezahlt wurden zwei Pfennig pro Gramm, marktüblich war das Zehnfache - allerdings allein für das Material. In Hamburg hat man die abgelieferten Silberschalen und Besteckteile, die Ketten, Ringe, Pokale, Schmuckstücke gewogen. Es waren 20 Tonnen, in Berlin war es wahrscheinlich noch viel mehr. Das meiste wurde eingeschmolzen, doch zuvor durfte sich mancher Museumsdirektor etwas aussuchen.

Alles wurde "versilbert"

Das Berliner Märkische Museum kaufte 235 Kilo Silberobjekte. In der penibel geführten Museumskartei waren das 4706 Einzelnummern - keine Kunstwerke, sondern Ringe und Halsketten, Frühstücksmesser, Servierplatten, Trinkbecher, Kerzenleuchter. Haushaltsgegenstände. Das Privateste, das niemand freiwillig hergibt. Doch der Direktor des Märkischen Museums Walter Stengel brauchte eine Aufgabe und fand sie im jüdischen Silberbesitz. Er konnte nun "die Silberkultur der letzten 150 Jahre in einzigartigen Serien darstellen", wie er 1941 im Neuerwerbungsbericht vermerkte. Museumskollege Wolfgang Scheffler schrieb später anhand dieser Stücke das Standardwerk über die Berliner Gold- und Silberschmiedekunst.

Haben die Museen dieses Kunsthandwerk gerettet oder sich am Leid bereichert? Es lässt sich schwer entscheiden, wenn man nun einigen dieser Berliner Stücke in der Ausstellung "Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute" im Jüdischen Museum Berlin gegenüber tritt. Dem Armband eines Mädchens etwa, dem Mama, Papa, Großmama eine gravierte Münze angehängt haben, den zierlichen Frühstücksmessern, Silberbechern, Halsketten. Nur 535 Stücke haben den Krieg überlebt, 1992 wurden sie erstmals ausgestellt und bis die geplante Rückübertragung vollzogen ist, verwaltet sie die Stiftung Stadtmuseum Berlin.

Auch die anderen 14 Fälle, die das Jüdische Museum in Berlin jetzt zeigt, sind abgeschlossen. Die Erben haben den Familienbesitz zurückbekommen und sich mit den Museen geeinigt, haben ihn verkauft oder die Werke mit nach Hause genommen. Und so hängt jetzt auch Jan van Goyens "Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern bei einem Wirtshaus" aus der Sammlung Goudstikker in Berlin, das der Niederländische Staat 1996 restituieren musste.

Das legendäre "Black Book"

Aber nicht nur das Bild kam in die Ausstellung. Das legendäre "Black Book" von Jacques Goudstikker, in dem der Amsterdamer Kunsthändler vor der Flucht alle 1400 Kunstwerke seiner Kunsthandlung verzeichnet hatte, liegt in einer Museumsvitrine, die stark an eine Transportkiste erinnert. Wie überhaupt die Ausstellungsarchitektur den Charme und das Labyrinthische einer vollgestellten Lagerhalle verbreitet. Das ist nicht unbedingt schön, doch die Kistenarchitektur vermittelt auf sehr sinnliche Weise einen Eindruck vom Chaos, dem sich die Alliierten nach dem Krieg ausgesetzt sahen, als sie begannen, die Depots zu sichten und beschlagnahmten Besitz zurückzugeben.

Die Ausstellung zeigt anhand ihrer 15 Beispiele, die mit Zeittafeln, Originaldokumenten und vielen Erklärungen vorgestellt werden, 15 verschiedene Konstellationen von Verlust und Rückgabe. So bekam die Musikinstrumente-Sammlerin Wanda Lewandowska einige wenige erhaltene Instrumente gleich nach dem Krieg zurück. Für den großen, verschollenen oder verkauften, Rest wurde sie nie entschädigt.

Die Erben der Dresdener Familie von Klemperer kämpften dagegen erfolglos mit DDR-Behörden und dem russischen Staat um ihre Porzellan-, Kunst und Inkunabelsammlung, die teilweise mit den Beutekunstzügen nach Russland geriet. Erst nach 1990 gaben die Kunstsammlungen Dresden die Porzellanschätze - 86 Stücke - zurück. Die meisten schenkte die Familie dem Museum, andere wurden verkauft, wie auch die 295 Bücher, die die Sächsische Staatsbibliothek 1990 restituierte. Der russische Staat hat dagegen bis heute nichts zurückgegeben, obwohl es sich um Privateigentum handelt, das auch nach russischen Gesetzen restituiert werden muss. "Es ist das Privateigentum, an das sich das materielle Gedächtnis haftet. Es hält das Gedächtnis an die Vergangenheit wach und konstituiert Kontinuität", schreibt der Historiker Dan Diener im Katalog.

Was der Fall "Kirchner" ausgelöst hat

Der Fall der Rückgabe der "Berliner Straßenszene" von Ernst Ludwig Kirchner, der indirekt der Auslöser dieser Ausstellung war, wird nicht vorgestellt. Schade, denn gerade bei Kirchner zeigte sich, wie wenig einigen Rückgabe-Kritikern eben diese Kontinuität bedeutet - zumindest wenn es sich um jüdisches Eigentum handelt. Trotzdem schwebt dieser Fall über dem ganzen Unternehmen.

Denn nachdem über die Rückgabe der "Berliner Straßenszene" vor zwei Jahren so erschreckend heftig gestritten wurde, ließ Kulturstaatsminister Bernd Neumann ängstlich in den Kreisen der Fachleute nachfragen, wie viele dieser Fälle es noch geben könnte. Die Antwort war sinngemäß: Es wird noch viele geben und vor allem mehr, als wir ahnen. Denn noch immer gilt der bittere Satz seines Vorgängers Michael Naumann: "Wir wissen heute ziemlich genau, was in den russischen Archiven und Museen deutscher Herkunft ist, aber was die Depots und die Besitzstände der deutschen Museen betrifft, gibt es keine derartige Gesamtübersicht."

Doch seit der Kirchner-Rückgabe bewegt sich etwas. Anfang dieses Jahres wurde die Forschungsstelle für Provenienzrecherche in Berlin eingerichtet, die Museen bei ihrer Archivarbeit finanziell unterstützen soll. Und jetzt eröffnet diese Ausstellung, die erstmals all das angesammelte Wissen zusammenfasst und einige der prominenten Fälle sorgfältig dokumentiert.

Sie ist eine längst fällige Bestandsaufnahme mit einem hervorragenden Katalog, der den aktuellen Forschungsstand über die Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen von Raub und Restitution ausführlich und mit vielen Beispielen beschreibt. Denn die beiden Kuratoren Inka Bertz und Michael Dorrmann haben für ihren Rückblick fleißig recherchiert, akribisch dokumentiert und das schwierige, vielschichtige Thema sehr sinnlich inszeniert. Nur den Blick auf aktuelle Streitfälle und Museen sowie Privatleute, die sich weigern, Kunst zu restituieren, wagen sie nicht. Doch erst mit einem solchen Ausblick wäre die Ausstellung dort angekommen, wo sie hingehört: mitten in der Gegenwart, in der es immer neue Rückgabebegehren gibt.

 

http://www.welt.de/kultur/article2463032/Die-reiche-Beute-der-Deutschen-aus-der-Nazizeit.html
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