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Finstere Weltgeschichte im Kloster

1998
1970
1945
Der Zeit 10 April 2012

Der ZEIT-Museumsführer Nr. 137: Das Kulturhistorische Museum in Rostock.

Ausgerechnet hier, hinter den Mauern des einstigen Zisterzienserinnenklosters in Rostock, zeigen sie den Nachlass von Bernhard A. Böhmer, eine der finstersten Kunstsammlungen der Nazizeit. Böhmer war einer von vier autorisierten Händlern, die im Auftrag der Nationalsozialisten jene Kunst verkaufen durften, die unter Hitler als »entartet« galt. Heute ist der letzte geschlossen erhaltene Bestand von Werken aus der Aktion »Entartete Kunst« in Rostock zu sehen, nachdem das Kulturhistorische Museum langwierig umgebaut wurde.

Das bekannteste Stück in der neuen Dauerausstellung Verfemte Moderne ist Rudolf Bellings Messingkopf. Insgesamt hat der Künstler sechs Güsse hergestellt, den Probeguss besitzen die Rostocker. Auch Feininger und Klee werden hier gezeigt, ebenso wie Marc, Corinth, Barlach oder Kokoschka. Die Bandbreite der Gemälde reicht dabei von der Frauenschule Oskar Schlemmers im Stil seiner berühmten Bauhaustreppe über Erich Heckels bedrückend wirkendes Clown und Knabe bis hin zu Christian Rohlfs düsteren Werken Krieg und Spökenkieker. Zu den ausgestellten Grafiken zählt ein Blatt der Otto-Dix-Radierung Streichholzhändler. Sie zeigt einen blinden, seiner Arme und Beine beraubten Kriegskrüppel, der auf der Straße versucht, Zündhölzer zu verkaufen, während ihm ein Hund an einen der Beinstümpfe pinkelt. Das gleichnamige Gemälde, das zusammen mit der Radierung entstand, hängt in der Staatsgalerie Stuttgart.

Ein Teil des nach Rostock gelangten Böhmer-Nachlasses ging bereits in den 1950er Jahren an die Museen zurück, aus denen die Werke einst entfernt worden waren. Hingegen blieben jene Werke, die den Sammlungen im Westen Deutschlands gehörten, in Rostock und bildeten nach dem Mauerfall die Grundlage für ein gemeinsames Forschungsprojekt der Rostocker mit der Freien Universität in Berlin. Am Ende erklärten sich die betroffenen Museen damit einverstanden, dass die Werke in Rostock verbleiben, um sie in dieser ebenso eindrucksvollen wie erschreckenden Fülle an einem Ort zeigen zu können. Denn so schön viele der Bilder auch sein mögen, liegt doch der eigentliche Wert dieser Ausstellung nicht in der Kunst allein. Dank der sorgfältigen Auswahl und vieler Informationen über die Herkunft der Bilder lädt diese Schau dazu ein, sich am konkreten Beispiel mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen.

Doch damit hat sich ein Besuch dieses erstaunlichen Museums natürlich längst nicht erschöpft. Entdecken lässt sich hier beispielsweise die Mecklenburger Kunst aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sehr zu Unrecht kaum jemand kennt und die wohl nirgendwo sonst so eindrücklich zu sehen ist wie hier in Rostock. Damals gab es an der Ostseeküste durch die Künstlerkolonien Ahrenshoop und Schwaan einen intensiven Austausch mit den großen deutschen Kunstzentren. So kamen Erich Heckel, Elisabeth von Eicken und Thuro Balzer zum Arbeiten in den Norden. Wer die ruhigen Landschaften mit weitem Himmel oder die stillen Porträts jener Zeit mag, wird die Ausstellung mit Freude betrachten.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass auch der Rundgang durch die Klosteranlage mit Kirche und Innenhof überaus anregend und informativ ist. Kleinen Besuchern wird die mittelalterliche Holzplastik des Heiligen Georg im Kampf mit einem Drachen gefallen. In der Ausstellung mit historischem Spielzeug ist zudem Anfassen ausdrücklich erwünscht. Der Eintritt im Kulturhistorischen Museum ist kostenlos.

http://www.zeit.de/2012/15/Museumsfuehrer-Rostock
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