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Reden, zuhören, handeln - Speak, listen, act

1998
1970
1945
Sueddeutsche Zeitung 21 July 2017
Von Kia Vahland

Die Staatsgemäldesammlungen haben ein Bild aus der Sammlung Göring den Erben des jüdischen Besitzers abgekauft. Dieser kooperative Prozess sollte Schule machen.

Wenn es um NS-Raubkunst geht, kursieren schnell zwei fatale Legenden. Die eine unterstellt den Erben ermordeter Juden, erlittenes Unrecht in Geld aufwiegen zu wollen. Das ist offenkundig antisemitisch, zynisch und zeugt von einem mangelnden Unrechtsbewusstsein darüber, in welchem enormen Maß die deutsche Gesellschaft an der Verfolgung und Enteignung der Juden im Nationalsozialismus verdient hat.

Die andere Legende ist vor allem, aber nicht nur, in Amerika zu hören. Sie besagt, dass sich in Deutschland seit dem Krieg nur wenig geändert habe. Heutige Museen seien nicht an Aufklärung interessiert, weil sie immer noch in der Tradition ihrer räuberischen Vorgängerinstitutionen stünden. In dieser Legende erscheint die deutsche NS-Vergangenheit als ewiger Fluch, dem sich auch nachkommende Generationen nicht entziehen wollen und können. Auch das ist ahistorisch gedacht. Staatliche Museen sind keine zeitlosen rechtsfreien Gebilde, sondern demokratische Institutionen, in denen einzelne Menschen richtig oder falsch handeln. Sie unterstehen neben den deutschen Gesetzen auch den Washingtoner Prinzipien, wonach für NS-Raubgut "faire und gerechte Lösungen" gefunden werden müssen.

In München war nun zu erleben, wie konstruktiv es zugehen kann, wenn niemand dunkle Legenden bemüht, sondern beide Parteien einander zuhören und zusammenarbeiten. Am Freitag gaben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen eine "Auferweckung des Lazarus" aus der Dürerzeit an die Erben des Sammlers James von Bleichröder zurück. Bleichröder, ein zum Protestantismus konvertierter Jude, starb 1937; seine Familie erlitt in den kommenden Jahren Grauenhaftes. Eine Tochter wurde in einen der Todeszüge nach Riga gepfercht und von den Nazis erschossen. Eine andere überlebte das Konzentrationslager Theresienstadt nur knapp. Das "Lazarus"-Gemälde aus der väterlichen Sammlung wurde 1938 verauktioniert und ging schließlich an Hermann Göring, der sich für scheinbar "arische" Kunst begeisterte. In der Nachkriegszeit fiel der Besitz etlicher NS-Größen als "Überweisung aus Staatsbesitz" an die Bayerische Staatsgemäldesammlung, so auch im Jahr 1961 der "Lazarus".

Darauf passierte erst einmal gar nichts, bis eine Provenienzforscherin um die Jahrtausendwende im Auftrag des Museums die Sammlung Göring erforschte und die Herkunft des Bildes entdeckte. Das Museum handelte richtig und veröffentlichte den Fund, sodass die Erben sich melden konnten. Nun mussten die Details der Geschichte erforscht werden, Erbscheine gesucht und Familienverhältnisse geklärt werden, um nicht an die falschen Personen zu restituieren. Das dauerte mehrere Jahre. Sowohl die Provenienzforscherin der Pinakotheken, Andrea Bambi, ihr Chef Bernhard Maaz als auch James Palmer und Arndt Surner als Vertreter der Erbengruppen brachten die nötige Geduld für diesen Prozess auf; während der Pressekonferenz zollten beide Seiten einander Respekt.

In München wird ein Gemälde restituiert und bleibt trotzdem im Museum. So sollte es sein

Solche versöhnlichen Töne waren in Raubkunstfällen lange nicht mehr zu hören. Am Ende kauften die Pinakotheken das Werk den Erben mithilfe von privatem und staatlichem Geld ab, sodass es in der Aschaffenburger Zweigstelle hängen bleiben wird. Die gute Kooperation verhinderte letztlich, dass ein Museumswerk zur Auktion kam und so der Öffentlichkeit verloren ging.

Zu hoffen bleibt, dass diese Geschichte den Ton setzt für weitere Fälle, nicht nur in München. Dann kann es um die Sache gehen, nicht um düstere Legenden.

 

http://www.sueddeutsche.de/kultur/ns-raubkunst-reden-zuhoeren-handeln-1.3597778
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