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Dieses Bild fürchten Diktatoren - The painting dictators fear

1998
1970
1945
Sueddeutsche Zeitung 26 July 2017
Von Ira Mazzoni und Kia Vahland

Nach langem Streit zahlt die Stadt München den Erben eines NS-Opfers Geld für Paul Klees Gemälde "Sumpflegende". Das von den Nazis verfemte Bild wird wieder im Lenbachhaus hängen.

Paul Klee hatte auf der Rückseite der "Sumpflegende" den ersten Käufer notiert: Paul Küppers, Gründungsdirektor der Kestner-Gesellschaft in Hannover.

Beschämende 26 Jahre lang währte der Streit, jetzt aber hat der Münchner Stadtrat einer gütlichen Einigung zugestimmt. Von mehreren Stiftungen unterstützt zahlt die Stadt den Nachfahren der Kunstsammlerin Sophie Lissitzky-Küppers eine Ausgleichszahlung für den Verlust von Paul Klees "Sumpflegende". Dem Vernehmen nach ist sie siebenstellig. Bei dem abstrakten Gemälde von 1919 handelt es sich nicht um NS-Raubgut aus jüdischem Besitz, doch der Fall ist nicht minder skandalös. Die Geschichte des Gemäldes erzählt von Hitlers Krieg gegen die Moderne und von der Verfolgung der Kommunisten in NS-Deutschland wie auch in der Sowjetunion. Und sie handelt von bundesdeutscher Rechts- und Mentalitätsgeschichte.

Paul Klee hatte auf der Rückseite des Gemäldes den ersten Käufer notiert: Paul Küppers, Gründungsdirektor der Kestnergesellschaft in Hannover. Als der 1922 starb, erbte seine Frau Sophie seine Sammlung. 1926 gab sie die "Sumpflegende" (der Titel stammt von Klee selbst) dem Provinzialmuseum in Hannover als Leihgabe, löste ihren Hausstand auf und zog in die Sowjetunion. Dort heiratete sie den jüdischen Konstruktivisten und Kommunisten Lazar Markovich Lissitzky, genannt El Lissitzky.

Kunst Wie der IS seinen Terror mit Raubkunst finanziertElf Jahre später rissen die Nazis moderne Kunstwerke von den Wänden deutscher Museen. Die "Sumpflegende" hängten sie zur Abschreckung an die Dada-Wand der Schandausstellung "Entartete Kunst", die im Juli 1937 in München eröffnet wurde. Vier Jahre später verscherbelten sie das Stück an Hildebrand Gurlitt, der das Privileg hatte, mit "entarteter Kunst" zu handeln. Das verstieß sogar gegen die NS-Gesetze, denn Küppers war inzwischen sowjetische Staatsbürgerin und hätte das Bild schon 1938 ausgehändigt bekommen müssen. Für eine Kommunistin aber, die Avantgardewerke sammelte und einen Juden geheiratet hatte, galten keine Regeln mehr. Ihr Sohn Kurt Küppers, der 1935 nach Deutschland zurückgekehrt war, wurde als Kommunist und "Stiefsohn eines Juden" verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht.

Sophie Küppers und ihre Familie erlitten ein doppeltes Verfolgungsschicksal

Im Jahr 1982 erstanden die Stadt München und die Gabriele-Münter- und Johannes-Eichner-Stiftung das Gemälde für das Lenbachhaus. So kehrte das von den Nazis gehasste Stück nach München zurück. Das verstand man in den Achtzigerjahren unter Wiedergutmachung: Ein einst verfemtes Gemälde war öffentlich wieder sichtbar. Das Schicksal seiner Besitzerin war damals bekannt, was das Museum nicht vom Kauf abhielt.

Zu diesem Zeitpunkt war Sophie Küppers bereits tot. Die Sowjets hatten sie 1941 als "feindliche Ausländerin" nach Sibirien verbannt, wo sie nach vielen Entbehrungen 1978 starb. Die kommunistische Kunsthistorikerin und ihre Familie erlitten also ein doppeltes Verfolgungsschicksal. Erst nach der Wende konnte ihr Sohn Jen Lissitzky um das Eigentum seiner Mutter kämpfen. Es gelang ihm, das Bild beschlagnahmen zu lassen, als es 1992 auf einer Rekonstruktion der NS-Ausstellung "Entartete Kunst" im Berliner Deutschen Historischen Museum ausgestellt war. Doch die folgenden Prozesse vor deutschen Gerichten verlor er. Argumentiert wurde mit Verjährung und der angeblichen Gutgläubigkeit späterer Erwerber des Bildes. Das eigentliche Skandalon, der Verkauf von fremdem Eigentum durch die Nazis, geriet aus dem Blick. Jen Lissitzky gab schließlich entnervt auf.

Als andere Nachfahren von Sophie Küppers den Kampf um die Jahrtausendwende wieder aufnahmen, erging es ihnen nicht besser - und das, obwohl deutsche Museen sich inzwischen auf die Washingtoner Erklärung verständigt hatten, die "faire und gerechte Lösungen" im Sinne der Erben von NS-Opfern fordert. Nur wurde in der Praxis damit noch lange nicht anerkannt, welches Unrecht auch politisch drangsalierte Sammler "entarteter" Kunst erlitten.

Erst 2012 mahnte das Landgericht München 1 eine gütliche Einigung an. Zuletzt ging es vor allem um formale Nachweise von Erbberechtigungen. Dass die Stadt München, die sich so lange gegen eine Einigung gewehrt hat, schließlich einen Kurswechsel vollzog und auf die Kläger zuging, mag auch mit einem doppelten Personalwechsel zu tun haben. Inzwischen sind mit dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter und Matthias Mühling als Direktor des Lenbachhauses zwei Akteure im Amt, die auf geraubte Kunst im Stadtbesitz nicht stolz sind.

Nun rückt die Geschichte der Antifaschisten in den Blick

"Die Geschichte der 'Sumpflegende' zeigt, welche Fehler wir über Generationen hin gemacht haben. Jetzt ist es an der Zeit, politisch Stellung zu beziehen", sagt Mühling, der das wegen des Streits im Depot ruhende Gemälde nun wieder aufhängen kann, mit erläuternder Tafel. Die Geschichte des Bildes offenbare, "wie sehr sich totalitäre Regime vor Kunst, Künstlern und Kunsthistorikern fürchten". Eine Lehre aus dem Fall sei es, auch die Schicksale von Antifaschisten wie Sophie Küppers ernst zu nehmen. Christoph von Berg, der Vertreter der Kläger, hat keinen Zweifel: "Das ist ein klassischer Raubkunstfall."

Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, beginnt ein neues Kapitel im Umgang der Deutschen mit ihrem Kunsterbe. Sie müssen sich dann auch dem Wirken derjenigen stellen, die sich einem scheinbar unausweichlichen totalitären System standhaft widersetzten.


http://www.sueddeutsche.de/kultur/kunst-im-nationalsozialismus-dieses-bild-fuerchten-diktatoren-1.3603805
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