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Späte Gerechtigkeit - Late Justice

1998
1970
1945
Sueddeutsche Zeitung 19 June 2017
Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Der jüdische Orientalist Karl Süßheim musste dem NS-Regime eine vom Bruder geerbte Sammlung zum Spottpreis überlassen. Erst dann durfte er 1941 mit der Familie ausreisen - nun wurden die wertvollen Dokumente zurückgegeben

In seinem Testament hat Max Süßheim 1932 das Unheil heraufziehen sehen. Er verfolge mit Bedauern, notierte er, wie der Antisemitismus das deutsche Volk vergifte und, als wäre das nicht genug, gar "in die sozialdemokratische Partei" eindringe und "selbst führende Genossen dem Antisemitismus" zuneigten. Süßheim wusste, von was er sprach. Der Jurist war lange SPD-Vorsitzender im Nürnberger Stadtrat, später auch der letzte jüdische Landtagsabgeordnete in Bayern.

Als er am 1. März 1933 bei einem Spaziergang einem Herzinfarkt erlag, ging seine auf Zehntausende Reichsmark geschätzte Sammlung wertvoller Dokumente auf seine Familie über. Sie wurde später zum Grundstock für die Privatbibliothek seines Bruders Karl, eines bedeutenden Orientalisten. Dessen Sammlung galt nach seiner Flucht aus Hitler-Deutschland lange als in alle Winde zerstreut. Nach Provenienzforschungen in den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek und des Staatsarchivs Nürnberg sind nun 44 Archivalien an seine Nachkommen restituiert worden. Auf Wunsch der Familie werden sie künftig in Nürnbergs Stadtarchiv verwahrt und zugänglich gemacht. Übergeben wurden sie am Montag im Staatsarchiv Nürnberg.

Bei Teilen der Werke reichte offenbar das Quellenstudium aus, um festzustellen, dass es sich um Raubgut handeln muss. Beim Durchsehen von Erwerbungsbüchern war Provenienzforschern aufgefallen, dass der 1878 in Nürnberg geborene Karl Süßheim der Staatsbibliothek zwei Handschriften - darunter eine Chronik Nürnbergs aus der Frühen Neuzeit - zu einem Preis überlassen musste, der nicht im Geringsten den Wert dieser Werke widerspiegelte. Karl Süßheim, der an der Uni München Arabisch, Persisch und Türkisch unterrichtete, war nach der Progromnacht 1938 zunächst für kurze Zeit im Konzentrationslager Dachau interniert gewesen, angeblicher "Devisenvergehen" wegen. Er wurde aus dem Staatsdienst entlassen, 1941 gelang ihm mit Hilfe türkischer Freunde gemeinsam mit seiner Familie die Ausreise nach Istanbul. Zuvor hatte er seine Archivalien-Sammlung weit unter Wert verkaufen müssen, um NS-Deutschland verlassen zu können. Karl Süßheim starb zwei Jahre nach Kriegsende in Istanbul.

Die Geschichte der Brüder Max und Karl, Söhne eines Hopfen-Händlers aus Kronach, gilt als exemplarisch für das Schicksal jüdischer Familien aus Franken. Sie empfinde es als Ehre, sagte Lisa d'Angelo bei der feierlichen Restitution der Werke, das Lebenswerk der Süßheims in Nürnberg so gewürdigt zu sehen. Vor drei Jahren war es der Stadt gelungen, zu ihrer Tante Margot, einer Tochter Karl Süßheims, in New York Kontakt aufzunehmen. Sie habe lange von den Werken nichts gewusst, sagt d'Angelo, für sie habe in dem Moment "ein wichtiges Abenteuer" begonnen. Für Nürnbergs Kulturreferentin Julia Lehner sind die nun übergebenen Kartenwerke und Chroniken eine "sehr wertvolle" Ergänzung der Stadthistorie. Am Dienstag sollen sie ins Stadtarchiv verbracht werden.

http://www.sueddeutsche.de/bayern/raubgut-spaete-gerechtigkeit-1.3550711
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