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Gehört das etwa den Rothschilds? - Is this the Rothschilds'?

1998
1970
1945
Frankfurter Neue Presse 10 April 2017
Von Dierk Walters

Bis zu 2000 Sammelstücke im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst könnten Raubkunst sein. Katharina Weiler prüft die Herkunft der Objekte.


Akten sichten und Spuren zurückverfolgen: Das ist die Arbeit von Provenienzforscherin Katharina Weiler. Sie untersucht die Herkunft von Sammelstücken, die während der Nazi-Zeit ins Museum für Angewandte Kunst gekommen sind.

Frankfurt. Maximilian Freiherr von Goldschmidt-Rothschild starb in schlimmen Zeiten. Noch vor dem Ersten Weltkrieg galt der Bankierssohn (1843–1940) als reichster Mann von Hessen und Nassau. Er residierte in einem Palais in Frankfurts Bockenheimer Landstraße, dort, wo heute der Opernturm steht – und verlor unter den Nazis alles. 1938, zwei Tage nach der Reichspogromnacht, legte Frankfurts Nazi-Oberbürgermeister Friedrich Krebs dem über 90-Jährigen persönlich nahe, seine Grundstücke mitsamt seiner Kunstsammlung von 1400 Objekten an die Stadt zu verkaufen – um sich und sein Hab und Gut vor dem wütenden Mob zu schützen. Goldschmidt-Rothschild erhielt Bleiberecht in einer kleinen Wohnung seines eigenen Hauses: zur Miete von 25 000 Reichsmark pro Jahr. Das Haus wurde kurzerhand in „Museum für Kunsthandwerk II“ umbenannt, im März 1944 wurde es bei den schweren Luftangriffen der Alliierten zerbombt. Die Sammlung hatten die Nazis damals schon ausgelagert. Nach dem Krieg, 1949, ging sie an die Erben in Amerika. Die ganze Sammlung?

Verkauft unter Wert

Das ist eine der Fragen, mit der sich Katharina Weiler auseinandersetzen muss. Von den 40–50 000 Objekten des Museums für Angewandte Kunst ist die Herkunft von ein- bis zweitausend ungeklärt. Sie kamen ins Museum, als viele Juden emigrieren mussten. Sie alle mussten eine Reichsfluchtsteuer bezahlen, mitnehmen durften sie nichts, und waren insofern gezwungen, auch ihre Kunstsammlungen zu verkaufen – nicht selten weit unter Wert. Kamen solche Stücke ins Museum, haben die Erben Anspruch auf Rückerstattung. Ein chinesisches Gefäß hat Weiler jüngst in der Datenbank Lost Art gefunden. Die Frage ist: Wie kam es in die Sammlung? Wurde es unrechtmäßig erworben – etwa zu nicht marktgerechten Preisen auf dem Auktionsmarkt?

„Indem ich erforsche, welchen Weg die Sammlungsobjekte gingen, gebe ich ihnen einen Teil ihrer Geschichte zurück“, sagt Katharina Weiler. „Sie stehen ja nicht nur für sich selbst, sondern erzählen auch von denen, die sie herstellten und von denen, die sagten: Dies sammle ich jetzt.“ Zu Weilers Aufgaben gehört es, den Sammlerweg und die Bedingungen von Käufen und Verkäufen zu erkunden. Weiler meldet einen Verdachtsmoment dem Direktorium und den Kuratoren. Wenn Ansprüche geltend gemacht werden, übergibt sie den Fall den zuständigen Juristen.

Besonders kompliziert macht den Fall Goldschmidt-Rothschild, dass der reiche Bankier als Mitglied des Kunstgewerbevereins lange einer der spendabelsten Stifter in der Region war. Viel schenkte er den Frankfurter Museen. „Das macht es umso schmerzhafter“, sagt Weiler. Dass sich also auch heute noch Werke aus dem Besitz von Goldschmidt-Rothschild in Museen finden, ist deswegen nicht per se rechtswidrig. Jeder Fall muss einzeln untersucht werden.

Zentral gesteuert wird die Herkunftsforschung in Deutschland vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg. Das fördert auch Weilers Stelle – maximal allerdings für 36 Monate. Um die Geschichte ihrer Objekte zu erforschen, sucht Weiler nach Hinweisen zum Beispiel in Kaufunterlagen oder in Korrespondenzen mit der Stadt. Die gleicht sie dann ab mit den Inventarlisten und historischen Karteikarten. „Dann stößt man auf Namen, Auktionshäuser, sucht nach den entsprechenden Auktionskatalogen und geht in andere Archive.“

„In gewisser Weise war der Zweite Weltkrieg auch eine Boomzeit für Kunsthandel. Umso mehr ringe ich mit der Fassung, wenn ich in Briefen von Museumsdirektoren an die Stadt Frankfurt lese: Können wir bitte noch mehr Budget haben? Wir haben die einmalige Chance, Kunst günstig aus Paris zu kaufen.“ Argumentiert wurde oft mit dem „Schutz“ und der „Sicherstellung“ der Werke. Weiler sagt: „Das sind sehr interpretierbare Begriffe.“

Serie oder Einzelstück

Dass Museen dafür verantwortlich sind, sich um die Aufklärung ihrer Museumsgeschichte zu kümmern, ist in den sogenannten „Washingtoner Prinzipien“ verankert. Zu ihnen hat sich 1999 auch Deutschland bekannt. Im kunsthandwerklichen Bereich gibt es darüber hinaus eine besondere Herausforderung, schildert Katharina Weiler: Sammlungsstücke sind selten Unikate. „Wenn ein Werk seriell hergestellt wird, ist es nicht einfach zu sehen, ob ein identifiziertes Objekt tatsächlich das gesuchte ist. Da kommen dann die Restauratoren ins Spiel.“

„Vor einiger Zeit habe ich etwa ein ostasiatisches Gefäß aus der Asiatischen Sammlung entdeckt, das in der Lost-Art-Datenbank als gesucht gemeldet war“, erzählt Katharina Weiler. Erstanden wurde es bei einer großen Auktion nach 1933. Wie der Fall ausgehen wird, ist noch ungewiss. Weiler hat ihre Beweise dem Amtsjuristen übergeben. Der wird sich jetzt mit der Anwaltskanzlei in Verbindung setzen, die den Erben vertritt.

Jahrzehntelange Suche

Was Katharina Weiler und ihre Provenienzforscher-Kollegen tun, ist der Versuch, die systemische Ungerechtigkeit aus den 30er Jahren in der Gegenwart nicht weiterwuchern zu lassen. Es wird noch viele Jahre und womöglich Jahrzehnte dauern, bis alle Listen abgeglichen und alle Fälle untersucht sind. „Die Anerkennung, die das Forschungsfeld braucht, hat es noch lange nicht“, sagt Weiler.

http://www.fnp.de/nachrichten/kultur/Gehoert-das-etwa-den-Rothschilds;art679,2570334
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