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Wie die Nazis 1938 die Kunstschätze jüdischer Bürger raubten - How the Nazis stole the artworks of Jewish citizens in 1938

1998
1970
1945
Badische Zeitung 20 December 2016

Wie es dazu kam, erklärt der Historiker Jan Schleusener, der ein Buch darüber verfasst hat, im Gespräch mit Christa Sigg.



Mit der "Reichskristallnacht" fielen alle Hemmungen. Vor allem in München: Kurz nach dem Pogrom im November 1938 konfiszierte die Geheime Staatspolizei in 69 jüdischen Haushalten rund 2500 Kulturgüter. Damit war eine der größten Kunstraubaktionen der Nazis eingeleitet – mit tatkräftiger Unterstützung von Kunsthändlern und Museumsfachleuten.

BZ: Im Münchner Stadtmuseum wurde 2007 bei Renovierungsarbeiten ein Ordner mit ausgiebigem Material zum Kunstraub der Nazis gefunden. Hat das die Sicht noch einmal verändert?
Schleusener: Der Fund hat die Aufarbeitung stark befördert. Er ist deshalb so interessant, weil er etwas über das Agieren der Kunstraubakteure aussagt. Anhand von Protokollen kann man sehr genau sehen, was beschlagnahmt wurde.

BZ: Der Kunsthändler Otto Bernheimer erwähnt 1957 in seiner Autobiografie, dass während seiner KZ-Haft in Dachau die Wohnung leergeräumt wurde. Und er nennt sogar Namen.
Schleusener: Bernheimers "Erinnerungen eines alten Münchners" waren meines Wissens nach nicht regulär veröffentlicht und eher für Familie und Freunde geschrieben. Aber da ist schon sehr genau zu lesen, dass die "Gestapo unter der Führung des Kommissars Gerum und verschiedener Museumsdirektoren" sein Haus ausgeräumt und "wertvolle Sachen ins Nationalmuseum" gebracht hätten.

BZ: Bernheimer war nicht nur in München ein bekannter Mann. Solche Aufzeichnungen müssen doch trotzdem Auswirkungen gehabt haben.
Schleusener: Bernheimers Kunsthandelsfirma besaß Weltgeltung. Ich nehme aber nicht an, dass von den Beschlagnahmungen in seinem Fall auf eine größere Gestapo-Aktion geschlossen wurde.

BZ: Bernheimer hatte enge Beziehungen zum Bayerischen Nationalmuseum. Welche Rolle spielte das Haus beim Kunstraub?
Schleusener: Unterlagen im Nationalmuseum geben deutliche Hinweise darauf, an welchen Aktionen Direktor Hans Buchheit und Mitarbeiter des Hauses beteiligt waren. Das "Neue Studiengebäude" des Museums war zwischenzeitlich ein wichtiges Lager für die geraubten Bilder und Kunstgegenstände.

BZ: Stimmt es, dass die Gestapo bei ihren Raubzügen eine professionell erstellte Liste "abarbeiten" konnte?
Schleusener: Davon gehe ich aus. Mit Hilfe der Kunstexperten war zusammengestellt worden, was in welchen jüdischen Haushalten zu finden war. Die Gestapo allein hätte diesen Kunstraub niemals ohne die Informationen der Fachleute durchführen können. An den Protokollen sieht man, dass die Gestapo-Leute nicht einmal wussten, wie Künstler wie Renoir zu schreiben waren.

BZ: Wer war der Kopf hinter dem Münchner Kunstraub?
Schleusener: Gauleiter Adolf Wagner hat die Gestapo sehr bald nach dem November-Pogrom damit beauftragt. Max Heiß, der lokale Referent für Kunsthandelsfragen der Reichskammer für bildende Künste, nahm später für sich in Anspruch, den Anstoß gegeben zu haben. Aber dafür gibt es keine unabhängigen Belege. Die Museumsdirektoren erklärten sich offenbar ohne großen Skrupel bereit, ihre zum Teil intimen Kenntnisse aus den Sammlerhaushalten beizusteuern.

BZ: Die Täter sprachen immer von "Sicherstellung".
Schleusener: Nach dem Krieg wurde so getan, als hätte man die Kunstgüter der Juden nach den Pogromen "schützen" müssen. Man habe den Kunstbesitz im "Gau München-Oberbayern" so gut zusammengehalten, dass man keine Probleme mit der Wiedergutmachung habe, hieß es. Welche Perversion.

BZ: Wie ist denn eine Figur wie Ernst Buchner, der Direktor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, zu sehen? Er saß nach dem Krieg ja bald wieder auf dem alten Posten.
Schleusener: Buchner war ein durchaus leidenschaftlicher Kunsthistoriker mit hervorragenden Kontakten in die Sammlerszene. Man fragt sich, warum er da mitgemacht hat. Schließlich ging es ja im Grunde um Verrat.
BZ: Hatte München eine Sonderrolle?
Schleusener: Das würde ich schon sagen. Kunstraubaktionen in diesem Ausmaß und in dieser systematischen Durchführung gab es weder in Frankfurt noch in Hamburg, Köln, Leipzig oder Berlin. Wesentlich waren sicher die engen Kontakte zwischen Gauleiter Wagner und Hitler. Dazu kam ein gesellschaftliches Klima, in dem ein harscher Antisemitismus absolut hoffähig war. Und das schon seit 1933.

BZ: Oberbürgermeister Karl Fiehler war ein glühender Antisemit.
Schleusener: Fiehler und Wagner haben sich einen perfiden Konkurrenzkampf geliefert, wer der radikalere Antisemit ist. Auch deshalb nahm die Stadt eine Vorreiterrolle in der Judenverfolgung ein. Für den Kunstraub hatte München genau die richtige Größe, man kannte sich. München war ja nicht nur die "Hauptstadt der Bewegung", sondern auch die "Hauptstadt der deutschen Kunst" – ein zweifelhafter Ehrentitel.

BZ: In Wien gab es bereits im März 1938 solche Beschlagnahmungen. Könnte das für München den Anstoß gegeben haben?
Schleusener: Das ist nicht eindeutig zu belegen, doch man darf annehmen, dass den NS-Akteuren die Vorgänge in Wien bewusst waren. Aber dort lief alles anders ab, denn das Bundesdenkmalamt hatte weitgehende Befugnisse. Die Gestapo war dort weniger wichtig als in München.

BZ: Was die Kunstgüter betrifft, fand das auch auf einer ganz anderen Ebene statt.
Schleusener: Ja, da ging es um Rembrandt und Holbein, die Sammler hießen Rothschild oder Bondy. Fritz Dworschak, der Direktor des Kunsthistorischen Museums, war sehr daran interessiert, reiche Beute zu machen. Überhaupt ist sehr vieles in Österreich radikaler passiert, die Exzesse gegen Juden waren um vieles gewalttätiger.

BZ: Wie ging der Kunstraub auf die Münchner Museen über?
Schleusener: Nach dem Raub passierte monatelang wenig. Schließlich hat man das, was interessant schien, gekauft.
BZ: Gekauft?
Schleusener: Ja, die Museen haben der Gestapo die Kunst abgekauft – obwohl sie genau wussten, wem das Ganze gehört. Dann gab es eine unerwartete Wende: Das Finanzpräsidium bestimmte, dass die geraubte Kunst Eigentum des Reiches sei. Also wurden alle Verkäufe wieder rückabgewickelt. Dagegen haben die Museen rebelliert, die wollten ihre Errungenschaften behalten. Es kam zu Dauerleihgaben.

BZ: Völlig absurd. Wie sah denn die Verteilung auf die Museen in München aus?
Schleusener: Am meisten ging ans Bayerische Nationalmuseum, schon weil das Raubgut eher in dessen Sammlungen passte. Dann kamen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und das Lenbachhaus.

BZ: Nach 1945 saßen die betreffenden Museumsleute zum Teil wieder auf ihrem Direktorensessel.
Schleusener: Hans Buchheit vom Nationalmuseum sogar ohne Unterbrechung und Ernst Buchner von den Staatsgemäldesammlungen mit einer Zwangspause. Ab 1953 war auch Buchner wieder in Amt und Würden.

BZ: Und konnte 1957 den kunstkundigen Bundespräsidenten Theodor Heuss durch die wieder eröffnete Alte Pinakothek führen.
Schleusener: Bei solchen Gelegenheiten wurde sicher nicht über die zurückliegenden "bösen Jahre" gesprochen.

Jan Schleusener: Raub von Kulturgut. Der Zugriff des NS-Staats auf jüdischen Kunstbesitz in München und seine Nachgeschichte. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2016. 224 Seiten, 49,90 Euro


Der Historiker Jan Schleusener, 40, aus Münster befasst sich seit seinem Studium mit der NS-Vergangenheit. Die Arbeit über den Münchner Kunstraub entstand in einem Forschungsprojekt des Kulturreferats der Stadt und der Universität Erfurt mit den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.

http://www.badische-zeitung.de/kunst-1/wie-die-nazis-1938-die-kunstschaetze-juedischer-buerger-raubten--131451370.html
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