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Der Fall Wilhelm und Antonie Dosquet - The Case of Wilhelm and Antonie Dosquet

1998
1970
1945
Klassik Stiftung Weimar 12 August 2016
Von Romy Langeheine

Historische Zugangsbücher sind für Provenienzforscher wahre Fundgruben: In diesen Verzeichnissen sind neu erworbene Objekte mit Erwerbungsdatum, Erwerbungsart sowie Angaben zur Herkunft eingetragen.

Ein Anfangsverdacht auf »NS-Raubgut« besteht bereits, wenn Objekte zwischen 1933 und 1945 antiquarisch oder über Auktionshäuser angekauft wurden. Insbesondere gilt das für Auktionshäuser oder Antiquariate, die in jener Zeit nachweislich mit Kulturgütern aus jüdischem Besitz gehandelt haben.

Neuerwerbungsbuch des Goethe-Nationalmuseums aus dem Jahr 1941. Unter dem Datum 30.5. sind verschiedene Objekte verzeichnet, die über das Auktionshaus Hans W. Lange in Berlin erworben wurden. © Klassik Stiftung Weimar

So ist es auch im Fall Wilhelm Dosquet: Im Neuerwerbungsbuch des Goethe-Nationalmuseums stoßen die Provenienzforscher auf einen verdächtigen Eintrag. Mehrere Objekte sind dort unter der Nummer 15/1941 verzeichnet, darunter ein Porzellan-Medaillon der Weimarer Bildhauerin Angelica Facius. Es zeigt den Komponisten und Musiker Carl Friedrich Zelter, einen Freund Goethes.

Neben dem Erwerbungsjahr erhärtet auch die Angabe zum Lieferanten den Anfangsverdacht: Das Berliner Auktionshaus Hans W. Lange ist für Versteigerungen von Kulturgut aus jüdischem Besitz bekannt.

Das Porzellan-Medaillon zeigt den Komponisten und Musiker Carl Friedrich Zelter, einen Freund Goethes. Es stammt aus der Sammlung des Berliner Arztes Dr. Wilhelm Dosquet. © Klassik Stiftung Weimar

Da der Vorbesitzer im Auktionskatalog lediglich anonymisiert »D., Berlin« genannt wird, beginnen die Weimarer Historiker mit ihren Recherchen. Mit Hilfe der Berliner Provenienzforscherin Sibylle Ehringhaus können sie schließlich den Vorbesitzer Wilhelm Dosquet, geborener Manasse, identifizieren und beginnen, dessen Biografie zu rekonstruieren.

Wilhelm Manasse wurde am 2. Februar 1859 in Breslau geboren, seine Familie war jüdischer Herkunft. In Berlin begann er eine medizinische Ausbildung. Als er im Jahr 1890 Antonie Morino aus Gotha heiratete, konvertierte er zum Katholizismus. Das Ehepaar bekam eine Tochter, Marie-Theres, und einen Sohn, Hans. Ab 1913 änderte Wilhelm Manasse seinen Namen und nannte sich fortan Dosquet.

Wilhelm Dosquet (r.) mit seiner Familie, undatiert. © Privatbesitz

Im Berliner Nordend gründete Wilhelm Dosquet eine Privatklinik für Lungenkrankheiten, in der später auch sein Sohn Hans Dosquet als Arzt arbeitete. Bekannt wurde die Klinik durch den Nobelpreisträger Carl von Ossietzky, der hier von 1936 bis zu seinem Tod 1938 als Tuberkulose-Patient behandelt wurde.

Dosquet war nicht nur ein angesehener Arzt, er war auch als Kunstliebhaber und -kenner bekannt. Seine umfangreiche Sammlung bestand aus Möbeln, Porzellanen und Gemälden des 18. und 19. Jahrhunderts. Bis 1933 gehörte er dem Sachverständigenbeirat des Berliner Schlossmuseums an.

Nach dem Tod Wilhelm Dosquets im Februar 1938 erbte seine Witwe die Sammlung. Sie blieb auch Eigentümerin und Oberin des Privatkrankenhauses, das unter ständiger Überwachung des NS-Staats stand. Ihre beiden Kinder galten den Nationalsozialisten als »jüdische Mischlinge ersten Grades« und waren zunehmend Repressalien ausgesetzt.

Als ab dem 30. September 1938 jüdischen Ärzten die Approbation entzogen wurde, durfte auch Hans Dosquet nicht mehr praktizieren. Die Gestapo verhaftete ihn schließlich und wies ihn 1944 in die psychiatrische Anstalt Weißensee ein. Dort starb er im gleichen Jahr.

Die Tochter Marie-Theres Thiedig, undatiert. © Privatbesitz

Seine Schwester Marie-Theres, verheiratete Thiedig, und ihr Mann wurden 1942 wegen eines »Kriegswirtschaftsverbrechens« angeklagt und inhaftiert. Zudem wurde ihnen der Pachtvertrag für ihre Landwirtschaft gekündigt und damit die Existenzgrundlage entzogen.

Nach dem Krieg erhob Marie-Theres Wiedergutmachungsansprüche, da ihre Mutter Antonie Dosquet 1945 in Berlin verstorben war. Sie wurden jedoch abgelehnt.

Die Recherchen legen nahe, dass Antonie Dosquet nur aufgrund des Verfolgungsdrucks der Versteigerung der wertvollen Sammlung im Mai 1941 zustimmte. Während dieser erwarb das Weimarer Goethe-Nationalmuseum das Porzellan-Medaillon sowie fünf weitere Objekte. Vieles spricht dafür, dass es sich bei dem ausgestellten Relief um NS-Raubgut handelt. Sein Verkauf ist in engem Zusammenhang mit der Verfolgung zu betrachten. Die Recherchen zu diesem Fall dauern weiter an.

Die Mobile Vitrine mit dem Fall Dosquet ist bis Ende Oktober 2016 im Foyer des Goethe-Nationalmuseums zu sehen.

Zur Reihe »NS-Raubgut in der Klassik Stiftung Weimar«

In den Beständen der Klassik Stiftung Weimar befinden sich unrechtmäßig erworbene Kulturgüter. Seit 2010 sucht die Stiftung systematisch nach sogenanntem NS-Raubgut und strebt gemeinsam mit den Verfolgten oder deren Erben gerechte und faire Lösungen an. 2011 hat die Stiftung diese Aufgabe in ihr Leitbild aufgenommen.

In mehreren Fällen konnten als »NS-Raubgut« identifizierte Objekte an die Erben der einstigen Besitzer zurückgegeben werden. Seit November 2015 ist die Mobile Vitrine auf Wanderschaft durch die Foyers der Häuser und stellt besonders interessante Einzelfälle von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern und die Verfolgungsschicksale der früheren Eigentümer vor.

Zu jedem Fall wird ein Blogbeitrag veröffentlicht.

Romy Langeheine

Romy Langeheine studierte Jüdische Geschichte und Linguistik an der Universität Erfurt, der FU Berlin und an der University of Sussex. Ihre Promotion über den Nationalismusforscher Hans Kohn erschien 2013 im Göttinger Wallstein Verlag. Romy Langeheine arbeitet als selbstständige Kuratorin und Lektorin in Jena.

 

https://blog.klassik-stiftung.de/der-fall-wilhelm-dosquet/
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