Barockwerk „Holländisches Platzbild“
Der Schriftsteller und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach will die Raubkunstgeschäfte seiner Vorfahren aufarbeiten lassen. Das kündigte er gegenüber dem SPIEGEL an: „Aus den vielen Strafverfahren, in denen ich verteidigt habe, weiß ich, dass Aufklärung den Opfern helfen kann.“ Anlass sind Berichte der Londoner Organisation Commission for Looted Art in Europe (CLAE), die nach dem Verbleib solcher Kunstwerke forscht, die einst jüdischen Verfolgten von den Nazis geraubt worden waren und nie an ihre Eigentümer oder deren Erben zurückgingen. Diesen Nachforschungen zufolge hatte der Freistaat Bayern sogar Handel mit ehemaliger Raubkunst getrieben, obwohl er diese eigentlich hätte restituieren sollen. Profitiert hat auch Ferdinand von Schirachs Großmutter Henriette. Sie war die Tochter des Fotografen und Hitler-Freundes Heinrich Hoffmann und Ehefrau des NS-Funktionärs Baldur von Schirach, der in den Nürnberger Prozessen zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Vermögen und Besitztümer der Familien Hoffmann und Schirach wurden eingezogen. In der Nachkriegszeit bekam Hoffmann dennoch Kunstwerke zurück. 1962 erwarb seine Tochter Henriette, seit 1950 von Baldur von Schirach geschieden, sieben weitere Bilder vom Freistaat, die ihre Familie schon früher zu Unrecht besessen hatte. Darunter ist auch ein holländisches Barockbild mit der Ansicht eines idyllischen Marktplatzes; es hatte dem jüdischen Geschäftsmann Gottlieb Kraus gehört, wurde 1941 von der Gestapo konfisziert und an Heinrich Hoffmann veräußert. In den frühen Sechzigerjahren zahlte Henriette von Schirach an die Regierung des Freistaates nur 300 Mark für dieses Gemälde und ließ es kurz darauf von einem Auktionshaus für 16 100 Mark versteigern. Käufer war der Xantener Dombauverein. Dort befindet es sich noch heute, obwohl man schon vor Jahren über die Geschichte des Bildes informiert wurde. Ferdinand von Schirach erfuhr erst jetzt davon, er habe, sagt er, keinen Anlass, an der Darstellung der CLAE zu zweifeln. „Diese Ereignisse fanden vor meiner Geburt statt, sie erschrecken und bestürzen mich. Heinrich Hoffmann, Henriette und Baldur von Schirach und mein Vater leben nicht mehr. Eigene oder vermittelte Kenntnisse über diese Vorgänge besitze ich nicht. Meine Familie väterlicherseits hinterließ mir nichts.“ Die ungeheure Schuld, die sein Großvater auf sich geladen habe, könne nicht getilgt werden. „Dass Mitglieder meiner Familie auch in der Nachkriegszeit unverantwortlich handelten, erfüllt mich mit Scham.“ Deshalb, so Schirach, werde er diese Vorgänge wissenschaftlich unabhängig aufarbeiten lassen, denn man müsse um das Böse wissen, „nur so können wir damit leben“. Sobald das Gutachten vorliege, werde er es der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Er denke, sagt Schirach, in diesen Tagen oft an einen Satz des Schriftstellers William Faulkner: „Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.“