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St. Gallen als Drehscheibe des Kunsthandels - St Gallen as the hub of the art trade

1998
1970
1945
Neue Zuercher Zeigung 11 May 2016
von Jörg Krummenacher

Das St.Galler Kunstmuseum will die Provenienz von 150 Kunstwerken genauer erforschen. St.Gallen war in den 1930er-Jahren eine Drehscheibe des Kunsthandels.



Kunsthändler Fritz Nathan wirkte von St.Gallen aus. (Bild: Privatarchiv Familie Nathan)

15 Museen und Sammlungen haben beim Bundesamt für Kultur Antrag auf Projektbeiträge gestellt, um die Herkunft von Kunstwerken in ihren Häusern abzuklären. Die Gelder, insgesamt zwei Millionen Franken, sollen mithelfen, vertieft nach allfälliger Raubkunst oder nach Fluchtgut zu forschen. Das Kunstmuseum St. Gallen erhofft sich einen Bundesbeitrag von 45 000 Franken, wie dessen Direktor Roland Wäspe gegenüber dem SRF-Regionaljournal Ostschweiz erklärte. Das Kunstmuseum St. Gallen ist denn auch in einer besonderen Lage. Es verdankt diese insbesondere dem jüdischen Kunsthändler Fritz Nathan, der Anfang 1936 von München in die Ostschweiz emigrieren musste und danach als Drehscheibe für den Kunsthandel fungierte – auch mit Nazi-Deutschland. Nathan stand in engem Kontakt mit den Zürcher Kunstsammlern Oskar Reinhart und Emil Georg Bührle und dem Luzerner Kunsthändler Theodor Fischer. Alle kamen sie mehr oder weniger intensiv in Kontakt mit Raubkunst und mit Fluchtgut aus Deutschland.

Reger Handel mit Deutschland

Nachdem das Gebäude von Fritz Nathans Münchner Ludwigsgalerie durch die NSDAP konfisziert worden war, zog dieser mit seiner Familie nach St. Gallen, konnte dank guten Beziehungen aber weiterhin nach Deutschland reisen und dort auch Auktionen besuchen. So half er etwa, die umfangreiche Kunstsammlung des St. Galler Textilunternehmers Eduard Sturzenegger, die sich im Kunstmuseum St. Gallen befindet, zu reorganisieren. Er verkaufte Dutzende als künstlerisch unerfreulich betrachtete Bilder in Deutschland, kaufte im Gegenzug wertvollere ein. Allein für die Sammlung Sturzenegger verkaufte er bis 1936 insgesamt 61 Bilder, davon 49 in Deutschland, und erwarb aus deren Erlös 26 Werke.

Durch die Hände Nathans gelangten auch Bilder zu Adolf Hitler. Arnold Böcklins «Toteninsel», die einst das Büro von Eduard Sturzenegger schmückte, hing ab 1939 in der Reichskanzlei in Berlin. Auch später, als Nathan nicht mehr nach Deutschland durfte, behielt er Kontakt mit dem bevorzugten Kunsthändler Hitlers, Karl Haberstock aus Berlin, und verkaufte Bilder zuhanden des Führermuseums.

Hitler vor der «Toteninsel» in der Reichskanzlei (Bild: Böcklin-Archiv Hans Holenweg, Kunstmuseum Basel)

Bilder in Sicherheit gebracht

Fritz Nathan galt dennoch als integer, achtete auf seinen guten Ruf. Er gehörte zu den Ersten, die vor Raubkunst in der Schweiz warnten. «Man weiss zum Beispiel, dass mancherorts die Besitzer wertvoller Kunstwerke entweder ihres Besitzes enteignet oder durch Druck zu dessen Preisgabe gezwungen wurden», sagte er im März 1944 gegenüber der NZZ.

Gleichzeitig half er zahlreichen jüdischen Flüchtlingen, indem er sie in seinem Haus im Zentrum St. Gallens aufnahm und indem er ihre Kunstwerke vor den Schergen der Nazis in Sicherheit brachte. Neun Fälle sind dokumentiert, da er mithalf, Kunstsammlungen zu retten oder Bilder zu veräussern, um die Mittel für die Weiterreisen in sichere Länder aufzubringen. Nathan nutzte dabei die Möglichkeit, die Bilder als Leihgaben in die Schweiz einzuführen.

Leihgaben längst aufgearbeitet

Das umfangreiche Wirken Nathans und dessen Auswirkungen auf den Bestand des St. Galler Kunstmuseums lässt sich kaum definitiv erfassen. Bei seiner Dokumentation der An- und Verkäufe für die Sturzeneggersche Gemäldesammlung sprach das Kunstmuseum von einer «aufgrund der komplizierten Quellenlage kaum mehr zu überblickenden Reorganisation». Hingegen sind die unzähligen Leihgaben, die in jenen Jahren nach St. Gallen gelangten, längst genau aufgearbeitet. Aufgrund des Verzeichnisses aller Bilder sei aus jener Zeit nichts Identifizierbares im Kunstmuseum verblieben, sagte Direktor Roland Wäspe schon vor Jahren: «Es gibt keine Bilder mehr im Kunstmuseum St. Gallen oder in dessen Depot aus den Leihgaben jener Zeit.»

Die Herkunft zahlreicher Bilder des Kunstmuseums ist demnach bereits einmal erforscht worden. Weil sich inzwischen die Forschungsmethoden verändert hätten, will das Museum nun aber neuerliche Abklärungen treffen. Mit Blick auf die Rolle St. Gallens als Kunsthandels-Drehscheibe zur Zeit des Nationalsozialismus wird es interessant sein, welches die rund 150 Kunstwerke sind und wie sie nach St. Gallen gelangten, deren Provenienz noch nicht hinreichend erforscht ist.

http://www.nzz.ch/schweiz/raubkunst-und-fluchtgut-stgallen-als-drehscheibe-des-kunsthandels-ld.81899
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