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Das Geschäft mit dem Argwohn - Business under suspicion

1998
1970
1945
Berner Zeitung 10 April 2016
By Oliver Meier

«Tote Stadt III» von Egon Schiele ist keine Raubkunst. Trotzdem steht das Gemälde auf einer schwarzen Liste. Jetzt spitzt sich der Streit um Schieles «Tote Stadt III» und weitere Werke zu. Mittendrin: der Berner Kunsthändler Eberhard W. Kornfeld.

Eine enge Häusergruppe, umschlossen von der düsterblauen Moldau: «Tote Stadt III», nannte Egon Schiele seine Vision der böhmischen Stadt ?eský Krumlov (Krumau), der Heimatstadt seiner Mutter. Heute hängt das Ölbild im Leopold-Museum in Wien. Wem es wirklich gehört, darüber wird seit vielen Jahren gestritten.

Kein Fall – neben Gurlitt – hat dem Berner Kunsthändler Eberhard W. Kornfeld so viel unliebsame Aufmerksamkeit beschert wie der Disput um die «Tote Stadt III» und weitere Werke aus dem Nachlass von Fritz Grünbaum, der im Konzentrationslager Dachau ums Leben kam.

Ein Fall von Raubkunst? Nichts deutet darauf hin. Der «ewige Fall Grünbaum» erscheint vielmehr als Musterbeispiel für ein zweifelhaftes Geschäftsmodell, das nichts mehr mit dem Bemühen um Gerechtigkeit, mit dem Streben nach fairen und gerechten Lösungen bei historisch belasteten Werken zu tun hat. Eher schon mit Erpressung. Es ist das Geschäftsmodell von Anwälten und Erbenjägern. Sie machen sich zunutze, dass der Verdacht auf Raubkunst genügt, damit ein Gemälde seinen Marktwert verliert, weil es nicht mehr verkäuflich ist. Und sie spekulieren darauf, dass Händler lieber Einnahmen teilen, als auf gesperrten Werken sitzen zu bleiben.

Missbrauchte Datenbank

Seit Herbst 2015 spitzt sich eine Auseinandersetzung zwischen entfernten Verwandten Grünbaums und Kornfeld sowie weiteren Kunsthändlern zu. Das zeigen Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen. Der Disput wirft ein Licht auf Mechanismen des Kunsthandelsbetriebs, aber auch auf die zwiespältige Rolle der Datenbank Lostart.de, die vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg betrieben wird, einer Stiftung, eingesetzt vom deutschen Staat.

Lostart.de soll die Suche nach Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus erleichtern und das Bemühen um faire Lösungen fördern. Vieles spricht jedoch ­dafür, dass die Plattform auf zynische Weise dazu missbraucht wird, aus dem Schicksal Grünbaums spätes Kapital zu schlagen. Die Mittel dazu könnten einfacher nicht sein: Das Ausfüllen eines «Meldeformulars» genügt dafür, auf Lostart.de ein Werk einzutragen und einen Raubkunstverdacht in die Welt zu setzen.

Grünbaums Schicksal

Hinter der verwickelten Geschichte steht ein Schicksal. Es ist das Schicksal Fritz Grünbaums (1880–1941). Der Sohn eines Versicherungsagenten und Kunsthändlers war ein Mann der Bühne, populär und vielseitig. Grünbaum arbeitete als Schauspieler und Kabarettist, als Revueautor und Librettist. Bis zum Auftrittsverbot für jüdische Künstler 1938 war er eine Grösse in der Wiener Theaterwelt, gerühmt für seinen selbstironischen Humor. Als es bei einem seiner letzten Auftritte im Kabarett Simpl zu einem Stromausfall kam, scherzte er: «Ich sehe nichts, absolut gar nichts, da muss ich mich in die nationalsozialistische Kultur verirrt haben.»

Von Dachau nach Buchenwald

Beim «Anschluss» Österreichs an das Dritte Reich im März 1938 versuchte Grünbaum, in die Tschechoslowakei zu fliehen. Die Grenzbeamten schickten ihn zurück. Als ihn die Gestapo verhaftete, triumphierte der «Völkische Beobachter»: «Den Grünbaum haben wir!»

Am 24. Mai 1938 wurde der Künstler mit weiteren Prominenten in das Konzentrations­lager Dachau deportiert, später nach Buchenwald und wieder zurück nach Dachau. Es gibt Zeugenberichte über Torturen, denen der Häftling Grünbaum ausgesetzt war. Aber auch Berichte, die zeigen, dass er seinen Stolz bewahrte. Als ihm ein Aufseher ein Stück Seife verweigerte, soll er erwidert haben: «Wer für Seife kein Geld hat, soll sich kein KZ halten.» Noch einmal, Ende 1940, trat er in Dachau als Kabarettist auf. Kurz darauf unternahm er einen Suizidversuch. Er starb am 14. Januar 1941 – «abgegangen an Herzlähmung», behauptete der Totenschein.

Schiele-Werke bei Kornfeld

Grünbaums Kunstsammlung umfasste mehrere Hundert Werke, darunter fünf Gemälde des Expressionisten Egon Schiele. Ein Grossteil waren Grafiken. Nach Grünbaums Deportation waren sie zunächst im Besitz seiner Ehefrau, ab Herbst 1938 eingelagert bei der Wiener Speditionsfirma Schenker & Co. Was danach mit den Werken geschah, ist nicht restlos geklärt. Elisabeth Grünbaum wurde im Oktober 1942 in das weissrussische Vernichtungslager Maly Trostinec gebracht und wohl unmittelbar danach ermordet.

Im Mai 1952 meldete sich ihre Schwester Mathilde Lukacs bei Eberhard W. Kornfeld. Lukacs war durch ein Inserat in der «Weltwoche» auf die Berner Galerie aufmerksam geworden. Sie wollte Werke veräussern, um sich in ein jüdisches Altenheim in Wien einzukaufen. Kornfeld, gerade mal 29-jährig, empfing die gepflegte Dame mit dem Wiener Dialekt, das Material für die Herbstauktion brachte sie mit – sechzehn Zeichnungen, Aquarelle, Radierungen und Kupfer­stiche von «alten und modernen Meistern».

Eklat in New York

Bis 1956 reiste Lukacs mehrmals nach Bern, brachte Pakete mit Werken mit. Einige holte Kornfeld auch in Brüssel ab. Über ­hundert Arbeiten aus dem Grünbaum-Nachlass gelangten so nach Bern. Zuletzt, 1956, vierzehn Schiele-Aquarelle und das kleine Ölbild «Tote Stadt III».

Einen grossen Teil dieser Schiele-Arbeiten erwarb der Spezialist Otto Kallir, der sie teils an den Wiener Sammler Rudolf Leopold weiterverkaufte. Schieles «Tote Stadt III» gehörte dazu. 1998 stellte die Leopold-Stiftung das Gemälde mit weiteren Werken dem Museum of Modern Art für eine Schiele-Retrospektive zur Verfügung. Dort kam es zum Eklat: Die New Yorker Staatsanwaltschaft liess zwei Leihgaben der Leopold-Stiftung wegen Raubkunstverdachts beschlagnahmen. Entfernte Grünbaum-Verwandte in den USA behaupteten, Schieles «Tote Stadt III» sei von der Gestapo konfisziert und weiterverkauft worden.

Damit geriet auch der Berner Kunsthändler Eberhard W. Kornfeld in den Fokus – passend zum schiefen Image des Landes, das von seiner Vergangenheit eingeholt wurde. Die heftige Debatte, angestossen durch die USA, drehte sich um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, um «Raubgold» und nachrichtenlose Vermögen. In Bern verlangte die New Yorker Staatsanwaltschaft die Herausgabe von Unterlagen. Kornfeld tat dies. Zu verbergen hatte er offenkundig nichts. Der Verkauf der Grünbaum-Bestände war einwandfrei.

Abenteuerliche Konstrukte

Bis heute ist es zu mehreren Gerichtsverfahren um das Grünbaum-Erbe gekommen. Das Wiener Leopold-Museum stellte Herkunftsforscher an, um die Sammlung mitsamt der «Toten Stadt III» und weiteren Schiele-Werken aus dem Grünbaum-Bestand zu untersuchen. Und gleich zweimal befassten sich Kunstrückgabegremien der österreichischen Regierung mit dem Thema, zuletzt 2015.

Kein Fall dürfte so akribisch untersucht worden sein wie dieser. Anhaltspunkte für einen «verfolgungsbedingten Entzug» der Grünbaum-Sammlung wurden keine gefunden. Doch die Lücken in der Herkunftsgeschichte bleiben: Dafür, was mit Werken wie Schieles «Tote Stadt III» zwischen 1939 und 1952 genau geschah, gibt es nur Hypothesen, keine Belege. Die entfernten Grünbaum-Verwandten nutzen diese Leerstellen geschickt für eine suggestive Argumentation: Aus dem Umstand, dass nach Grünbaums Deportation ein Verwalter für dessen Vermögen eingesetzt wurde, leiten sie direkt eine «verfolgungsbedingte Entziehung» der Sammlung ab.

Dem Konstrukt kann eine simple Frage entgegenhalten werden: Wie ist zu erklären, dass die vermeintlich geraubte Sammlung nach dem Krieg bei Grünbaums Schwägerin, innerhalb der Familie, wieder aufgetaucht ist? Schon allein deshalb ist die Raubkunstthese wenig plausibel. Doch die Grünbaum-Verwandten lassen sich davon nicht beirren. Seit Jahren greifen sie immer wieder zu juristischen Mitteln, unterstützt von amerikanischen Anwälten und dem Österreicher Herbert Gruber, Inhaber eines Büros für Genealogie, das seinen Service und sein Geschäftsmodell wie folgt umschreibt: «Wir suchen und finden Erbinnen und Erben von Hinterlassenschaften, die an den Staat zu fallen drohen. ( . . . ) Wir arbeiten rein auf Basis von Erfolgshonoraren, die sich an der Höhe der durchgesetzten Ansprüche orientieren.»

Im Juni 2015 forderten die Grünbaum-Verwandten erneut zwölf Schiele-Werke heraus, darunter die «Tote Stadt III» aus dem Leopold-Museum. In einem weiteren Fall intervenierte der Rechtsanwalt der Grünbaum-Erben beim Londoner Kunsthändler Richard Nagy und setzte im November 2015 eine einstweilige Verfügung durch. Nagy hatte an einer Kunstmesse zwei Aquarelle offeriert, die 1956 bei Kornfeld verkauft worden waren. Anfang Dezember 2015 kam es zu einer ersten Gerichtsverhandlung. Das Verfahren ist hängig. Die Werke verbleiben so lange in New York.

Das Kalkül der Kläger

Obwohl der Fall Grünbaum gut erforscht ist und nichts auf einen Raubkunstfall hindeutet, bleiben die Werke «vergiftet», mit dem Makel des Verdachts behaftet. Der Wiener Herbert Gruber, seit Jahren im Dienst der Grünbaum-Erben, äussert sich mit entwaffnender Offenheit über das Kalkül der Kläger: «85 Prozent solcher Verfahren enden mit einem Vergleich.» Meist geht es dabei um die Beteiligung am Verkaufserlös – im Fall Grünbaum ist das nicht anders.

Den entscheidenden Druck setzen Gruber und die amerikanischen Anwälte nicht nur auf dem Gerichtsweg auf. Sie nutzen auch die deutsche Datenbank Lostart. Seit Jahren sind dort pauschal über zweihundert Suchmeldungen zu Werken mit möglicher Provenienz Grünbaum registriert, veranlasst von Vertretern der Grünbaum-Verwandten in New York.

Ob die Einträge wirklich gerechtfertigt sind, hat niemand ­abgeklärt. Erben oder deren Rechtsvertreter können bei Lost­art mühelos Suchmeldungen registrieren lassen – das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste übernimmt als Betreiberin keine Verantwortung und überprüft die Einträge nur oberflächlich. Bei jedem Wikipedia-Eintrag sind die Kontrollen strenger.

Umso höher sind die Hürden danach: Gelöscht werden Einträge nur, wenn ein deutsches Gericht über ein «strittiges Objekt» endgültig entschieden hat oder wenn die «Plausibilität einer Meldung grundlegend erschüttert» ist und auch «durch den Melder nicht wiederhergestellt» wird. Das erstaunt angesichts der Konsequenzen, die eine Meldung mit sich bringt: Werke auf Lost­art.de sind nicht mehr handelbar und haben ihren Marktwert verloren. Kritiker sprechen von einem «digitalen Pranger».

Laufende Auseinandersetzung

Drei Branchenvertreter gehen nun juristisch dagegen vor: Eberhard W. Kornfeld, Richard Nagy und Jane Kallir, Enkelin des Galeristen Otto Kallir, der in den Fünfzigerjahren bei Kornfeld einen Grossteil der Schiele-Werke aus der Sammlung Grünbaum erwarb. «Diese Meldung ist momentan Gegenstand einer Auseinandersetzung!», heisst es inzwischen bei Dutzenden von Grünbaum-Einträgen in der Datenbank Lostart.de.

Über eine Anwältin meldeten sich die Kunsthändler im September 2015 beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und beantragten die Löschung von 84 Schiele-Werken auf Lostart.de, darunter 61 Arbeiten, die Grünbaums Schwägerin nach dem Krieg bei Kornfeld eingeliefert hatte. Die Herkunft dieser Arbeiten sei «umfassend erforscht worden», es sei «erwiesen, dass die Werke nie Gegenstand eines NS-verfolgungsbedingten Entzugs waren», argumentieren die Kunsthändler. Bei weiteren dreiundzwanzig Werken auf Lost­art.de sei der Bezug zur Sammlung Grünbaum nicht erkennbar oder nachweisbar, sondern «rein spekulativ».

Ende Oktober 2015 zog das Zentrum Kulturgutverluste erste Konsequenzen und forderte die Grünbaum-Verwandten auf, innert dreier Monate «die Zugehörigkeit aller gemeldeten Objekte zur Sammlung Grünbaum zu bestätigen sowie alle Hinweise auf einen verfolgungsbedingten Entzug der Sammlung vorzulegen». Kurz vor Ende der Frist legte Grünbaum-Vertreter Gruber eine dreissigseitige Stellungnahme mit kommentierten Grafiken und historischen Quellen vor – ohne neue Fakten oder Belege zu präsentieren.

Der Druck nimmt zu

Mitte Februar 2016 erhöhten Kornfeld, Nagy und Kallir über ihre Anwältin den Druck, drohten mit «rechtlichen Auseinandersetzungen» und dem «Geltendmachen von Schadenersatzansprüchen». Gruber reagierte darauf mit einem Brief, der sein zynisches Kalkül offenbart: Er lud die Kunsthändler ein, «Werke aus der geraubten Sammlung von Fritz Grünbaum gemeinsam zu veräussern». Nur so könne man danach «mit diesen Kostbarkeiten wieder unbeschädigt handeln». Anders ausgedrückt: Entweder ihr teilt mit uns, oder die Werke bleiben für den Markt gesperrt.

Ein Einzelfall? Wohl kaum. Wie verbreitet aussergerichtliche «Deals» zwischen Anwälten und Auktionshäusern wirklich sind, ist allerdings schwer zu beantworten. Diskretion gehört zu den höchsten Gütern des Kunsthandelsgeschäfts.

«Restitutionsbusiness»: Bei Kunsthändlern ist der Vorwurf schnell zur Hand. Branchenvertreter wie Walter Feilchenfeldt sehen allenthalben «gierige Anwälte» am Werk. Es gehe nicht um Gerechtigkeit, es gehe ums Geld – so liess sich Feilchenfeldt an einer Tagung 2015 in Winterthur pauschal vernehmen. Eine Entgleisung mit antisemitischen Untertönen? Oder schlicht – die Wahrheit?

Der Grat zwischen berechtigter Kritik und Selbstgerechtigkeit ist schmal. Im Fall Grünbaum aber ist die Vokabel vom «Restitutionsbusiness» durchaus berechtigt. Ein Musterfall auch für den Missbrauch der offiziellen Datenbank Lostart.de.

Auf Anfrage hält das Zentrum Kulturgutverluste gegenüber dieser Zeitung fest: «Die Stellungnahme des Melders im Falle Grünbaum ist zwischenzeitlich bei uns eingegangen und wird derzeit geprüft und ausgewertet.» Falls es den Grünbaum-Verwandten nicht gelingt, die einzelnen Einträge plausibel zu machen, will Lostart die Werke aus der Datenbank entfernen. Man fragt sich, weshalb das nicht schon früher möglich war – ohne juristischen Druck vonseiten der Kunsthändler. Das Zentrum Kulturgutverluste sei zurzeit daran, die «Meldungsgrundsätze» zu überarbeiten, heisst es in der Stellungnahme. «Dabei fliessen die bisher gesammelten Erfahrungen einschliesslich der kritischen Hinweise ein.» Immerhin, so scheint es, ist der Reformbedarf inzwischen erkannt.

http://www.bernerzeitung.ch/kultur/kunst/das-geschaeft-mit-dem-argwohn/story/20824083
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