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Gurlitt-Erbe: Die geheimen Seilschaften und Strategien - Gurlitt heirs: The secret cliques and strategies

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Berner Zeitung 10 March 2015
von Michael Feller, Oliver Meier.

Eine Gruppe aus dem Umfeld der Familie Gurlitt setzt das Kunstmuseum Bern seit Monaten unter Druck. Nun plant sie die Veröffentlichung Tausender Dokumente von Cornelius Gurlitt im Internet.

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion tragen zehn Männer Kiste um Kiste aus einem verlotterten Haus im Salzburger Villenviertel Aigen. An der Carl-Storch-Strasse 9 lagert Cornelius Gurlitt rund 250 Kunstwerke. Hier hat Gurlitt auch seine Unterlagen aufbewahrt.

Hinter der Kistenaktion Anfang 2014 steht Christoph Edel, damaliger Betreuer des verschrobenen Kunst-Erben Gurlitt, den Insider liebevoll «Conny» nennen. Hintergrund der Aktion: Edel will die Herkunft der Gurlitt-Bestände untersuchen lassen, zu denen auch mehrere Raubkunstbilder gehören. Gurlitt hat ihm die Erlaubnis erteilt, die Geschäftsunterlagen abtransportieren zu lassen. In den Kisten liegen über 25000 Dokumente, zum Teil angegraut. Jahrelang lagen sie in Gurlitts Haus.

Daten sollen innert sechs Monaten raus

7000 dieser Dokumente sollen nun, ein Jahr nach der Salzburger Kistenaktion, in den Fokus der Gurlitt-Diskussion rücken. Eine Gruppe von Anwälten und Beratern aus dem Umfeld von Gurlitts Cousine Uta Werner plant, sie innerhalb eines halben Jahres zu veröffentlichen. Offiziell informiert wurde noch nicht. Doch bereits jetzt sickert einiges durch. Die umfangreiche Dokumentationsarbeit soll vom Berliner Auktionshaus Auctionata finanziert und auf dessen Website veröffentlicht werden. Aufwand: Rund eine halbe Million Franken.

Bei den «Conny-Leaks»-Dokumenten handelt es sich um Geschäftsakten von Kunsthändler Hildebrand Gurlitt (1895–1956) und dessen Sohn Cornelius (1932–2014). Sie sind Teil einer Auseinandersetzung, die im Hintergrund zwischen gut aufgestellten Netzwerken läuft (siehe Grafik in der Bildstrecke).

Noch ist unklar, ob das Gurlitt-Erbe ins Kunstmuseum Bern kommt, wie es Gurlitt in seinem Testament vorgesehen hat. Cousine Uta Werner zweifelt das Testament an und hat im Januar einen Erbschein beantragt. Cornelius Gurlitt sei nicht urteilsfähig gewesen, lautet die Begründung. Briefe von Gurlitt sollen davon zeugen, dass er seit jungen Jahren an Wahnvorstellungen gelitten habe. Insider sehen reelle Chancen für einen Erfolg von Uta Werners Partei.

Gruppe wollte 1 Million vom Kunstmuseum

Die Gruppe setzt nicht zum ersten Mal Druck auf: Letzten Herbst versuchte sie einen Deal mit dem Museum einzufädeln. «Kurz vor Ablauf der Ausschlagungsfrist ist uns aus dem Umfeld der Cousine mehr als einmal angeboten worden, das Testament gegen viel Geld nicht anzufechten», sagt Kunstmuseumsdirektor Matthias Frehner. Hinter vorgehaltener Hand wird die Summe von 1 Million Franken genannt, die Frehner aber nicht bestätigen will. Wird das Kunstmuseum erpresst?

«Es liegt nicht an uns, diesen Sachverhalt rechtlich zu bewerten. Moralisch liegt der Vorgang allerdings zumindest nahe an einem Erpressungsversuch», sagt Frehner. «Allerdings haben sich diese Personen in einem grundlegend getäuscht: Das Kunstmuseum kämpft nicht um die Erbschaft. Wenn dem Museum die Erbschaft zusteht, hat sich der Stiftungsrat aus einem Verantwortungsgefühl heraus dafür entschieden, die Erbschaft anzunehmen.»

Auch im Zusammenhang mit den «Conny-Leaks»-Dokumenten stand letztes Jahr bereits ein «Geschäft» im Raum: Für 430'000 Franken hätte das Kunstmuseum die Daten kaufen können. Das Museum winkte ab. Wenig später wurden die Daten auch der Taskforce angeboten. Auch sie ging nicht auf den Handel ein.

Die Entourage von Uta Werner will mit ihrer Aktion sowohl dem Kunstmuseum als auch der deutschen Gurlitt-Taskforce Beine machen. «Totale Transparenz», lautet die Losung. Der Gruppe geht es bei der Provenienzforschung zu wenig rasch voran. Bei der Abklärung der Raubkunstverdachtsfälle seien bisher kaum Resultate erzielt worden, heisst es.

Die Gruppe hat die Dokumente gescannt und gespeichert. Nach dem Tod von Cornelius Gurlitt gingen die Kisten voller Unterlagen zurück an die Behörden. Derzeit hat das Kunstmuseum keinen Zugriff auf die Daten. Sie lagern beim Nachlasspfleger, werden aufbereitet und kategorisiert – eine Arbeit, welche die Gegenpartei bereits unternommen hat.

Ablehnende Haltung als Desinteresse gewertet

Diese will die heiklen Dokumente – anders als die deutschen Behörden – ohne geschwärzte Stellen veröffentlichen, mitsamt Namen von Kunsthändlern und Käufern. Mit diesem Vorhaben dürfte sie sich im auf Diskretion bedachten Kunsthandel keine Freunde schaffen. Klagen will die Gruppe in Kauf nehmen.

Ohne die Geschäftsunterlagen aus dem Salzburger Haus von Cornelius Gurlitt könne man «keine ernsthafte Forschung betreiben», heisst es aus dem Umfeld von Uta Werner. Die Dokumente enthalten demnach detaillierte Angaben zu jedem Kunstwerk aus der Gurlitt-Sammlung mitsamt Abbildung. Die ablehnende Haltung von Museum und Taskforce wird als Desinteresse an der vollen Wahrheit gewertet.

Und was sagt die Taskforce? Sprecher Matthias Henkel bestätigt, dass nach Gurlitts Tod ein Gespräch mit Personen geführt wurde, die nun an «Conny-Leaks» beteiligt sind. «Ein beziffertes Angebot» sei dabei aber nicht gemacht worden. «In der mit Cornelius Gurlitt getroffenen Vereinbarung vom April 2014 war die Taskforce mit der weiteren Recherche beauftragt worden», so Henkel.

«Dieser Aufgabe kommt sie nach. Es ist nicht Sache der Taskforce, fremde Datenbanken aufzukaufen.» Zur geplanten Veröffentlichung von Daten durch die Gurlitt-Entourage und allfällige rechtliche Folgen will sich Sprecher Matthias Henkel nicht äussern. «Die Taskforce hat das nicht zu bewerten.»

 

Die verkappten Beziehungen im Fall Gurlitt

Seite Kunstmuseum:
1. Christoph Schäublin, Präsident des Kunstmuseums Bern, hat mit Oskar Bätschmann einen Univertrauten an die Spitze der Gurlitt-Forschungsstelle gesetzt. Dass sich Bätschmann eher als Hodler-Kenner denn als Provenienzforscher hervorgetan hat, wird hinter den Kulissen teils süffisant kommentiert.

2. Zwischen Regierungsrat Bernhard Pulver, Vertreter des Subventionsgebers, und dem ausgezeichnet vernetzten Stiftungsratspräsidenten Schäublin herrscht bestes Einvernehmen. Trotz Altersguillotine durfte Schäublin (74) länger in seinem Amt bleiben – Pulver legte die schützende Hand über ihn.

3. Der umtriebige Anwalt Marcel Brülhart ist Regierungsrat Pulvers Mann für alle (schwierigen) Fälle. Er leitet das Zusammenführungsprojekt Kunstmuseum/Zentrum Paul Klee und agierte in Deutschland als Berner Gurlitt-Verhandlungsführer.

4. Mit dem Verhältnis zwischen Schäublin und Kunstmuseumsdirektor Matthias Frehner steht es nicht zum Besten. Schäublin hat das Heft im Fall Gurlitt an sich gerissen. Raubkunstexperte Frehner ist oft isoliert und bleibt bei wichtigen Vorgängen aussen vor.

5. Ende Februar trafen sich Stiftungsratspräsident Christoph Schäublin und Ständerat Hans Stöckli zu Gesprächen. Ziel: Die Eidgenossenschaft im Fall Gurlitt (finanziell) ins Boot zu holen.

6. Stiftungsratspräsident Schäublin und Pulvers Delegierter Brülhart managen den Fall Gurlitt gemeinsam. Zusammen führten sie auch die Verhandlungen mit Deutschland.

7. Anwalt Marcel Brülhart und Anwalt Peter Bratschi waren früher in derselben Berner Kanzlei tätig. Im Fall Gurlitt gibt es Spannungen, weil Bratschi als Vertreter von Gurlitt-Mäzenin Ursula Streit gerne mitmischt und Forderungen stellt.

8. Marcel Brülhart nahm Ende Februar am Lobbygespräch mit Berner Bundesparlamentariern, darunter Hans Stöckli, teil.

9. Ständerat Hans Stöckli und Anwalt Peter Bratschi kennen einander und tauschen Informationen zum Fall Gurlitt aus.

10. SVP-Grossrat und Notar Peter Brand pflegt enge Beziehungen zu Peter Bratschi und hat bereits zwei Gurlitt-Vorstösse im Grossen Rat eingereicht.

11. Anwalt Peter Bratschi und Museumsdirektor Matthias Frehner pflegen eine enge Beziehung. Beide tauschen sich regelmässig zum Fall Gurlitt aus.

Seite Gurlitt:
1. Uta Werner (86) ist die Cousine von Cornelius Gurlitt und zusammen mit ihrem Bruder Dietrich Gurlitt die gesetzliche Erbin. Sie erhebt Anspruch auf den Nachlass und steht im Mittelpunkt des laufenden Erbstreits mit dem Kunstmuseum Bern.

2. Thomas Pfaff, Inhaber einer Agentur für «strategische Kommunikation und Krisenmanagement» in München, ist ein Vertrauter von Uta Werner. Er tritt als Sprecher der Familie Gurlitt auf.

3. Thomas Pfaff unterhält enge Verbindungen zu Gurlitts Neffen zweiten Grades Ekkeheart Gurlitt (66) und kommuniziert auch in dessen Namen.


4. Ekkeheart Gurlitt, Neffe zweiten Grades von Cornelius Gurlitt, lebt als Fotograf in Barcelona und gilt als Querkopf. Seit Monaten engagiert er sich dagegen, dass die Gurlitt-Sammlung nach Bern kommt.

5. Maurice Philip Remy, deutscher Filmemacher und Autor, hat einen Film über Gurlitt gedreht und ist im Hintergrund stark engagiert, unter anderem als «inoffizieller Provenienzforscher» der Familie Gurlitt. Er hat Cornelius Gurlitt zu Lebzeiten besucht.

6. Anwalt Christoph Edel ist Ende 2013 zum Betreuer Gurlitts ernannt worden. Er verhandelte unter anderem mit den Behörden und war bei der Testamentsunterzeichnung dabei.

7. Ekkeheart Gurlitt bezeichnet Maurice Philip Remy als «meinen Freund».

8. Maurice Philip Remy machte 2014 den Münchner Anwalt Wolfgang Seybold auf Briefe Gurlitts aufmerksam, die paranoide Züge zum Ausdruck bringen sollen. Seybold bestellte daraufhin ein Gutachten. Dieses Gutachten ist ein zentrales Dokument im laufenden Erbstreit.

9. Rechtsanwalt Wolfgang Seybold vertritt Gurlitts Neffen zweiten Grades Ekkeheart Gurlitt.

10. Ekkeheart Gurlitt ist der Sohn von Dietrich Gurlitt (94), dem Bruder von Uta Werner. Dietrich hält sich aus dem Erbstreit heraus.

11. Rechtsanwalt Winfried Klöpper, Partner der Münchner Kanzlei SLB Kloepper, vertritt Gurlitts Cousine neuerdings in «erbrechtlichen Fragen».

12. Anwalt Wolfgang Seybold trat im «Gurlitt-Jahr» 2014 als Anwalt der Familie Gurlitt auf.

13. Louis-Gabriel Rönsberg, Partner der Münchner Kanzlei SLB, vertritt Gurlitts Cousine Uta Werner in «Fragen des Kunst- und Restitutionsrechts».

14. Klöpper und Rönsberg arbeiten in München für dieselbe Kanzlei.

15. Louis-Gabriel Rönsberg wurde im April 2014 in das Anwaltsteam um Gurlitts Betreuer Edel aufgenommen. Im Umkreis des Kunstmuseums wird moniert, Rönsberg habe unlauter die Seiten gewechselt, indem er das Mandat bei Uta Werner übernommen habe, die Gurlitts Testament in Zweifel zieht.Die Rechtsanwaltskammer München hat ihm allerdings schriftlich bescheinigt, dass "die Übernahme des Mandats für Frau Werner nach hiesiger Auffassung zulässig" sei.

16. Rönsberg ersetzte im April 2014 Hannes Hartung im Anwaltsteam von Gurlitts Betreuer Christoph Edel.

17. Gurlitts Betreuer Christoph Edel nahm Hannes Hartung Anfang 2014 in sein Anwaltsteam auf. Im März 2014 entliess er ihn «mit sofortiger Wirkung». Hartung liegt im Streit mit dem Kunstmuseum Bern wegen angeblich offener Honorarforderungen.

18. Gurlitts Betreuer Edel engagierte Remy 2014 als Provenienzforscher alternativ zur deutschen Taskforce.

19. Remy und Hartung sind Facebook-Freunde.

20. Remy und Pfaff sind in engem Kontakt und managen die Aktionen im Namen der Familie Gurlitt.

 

 

http://www.bernerzeitung.ch/kultur/kunst/GurlittErbe-Die-geheimen-Seilschaften-und-Strategien/story/25149899
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