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Eine ziemlich illustre Sippe - A fairly illustrious clan

1998
1970
1945
Der Bund 14 December 2014
von Alexander Sury

Wahrscheinlich wird sich die Frage, warum Cornelius Gurlitt seine Sammlung dem Kunstmuseum Bern vererbt hat, nie eindeutig beantworten lassen. Die Geschichte seiner Familie jedenfalls ist ein Stück deutscher Kulturgeschichte.

In der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist der 9. November ein schicksalsträchtiges Datum: An diesem Tag wurde 1918 in Berlin die Republik ausgerufen, 1938 markierte die «Reichskristallnacht» eine neue Eskalationsstufe in der Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, und 1989 schliesslich «fiel» in Berlin die Mauer und leitete so die Wiedervereinigung ein.

Am einem 9. November verunfallte Hildebrand Gurlitt, seines Zeichens Leiter des Düsseldorfer Kunstvereins, mit dem Auto tödlich. Der 61-Jährige Kunsthändler und Museumsdirektor starb 1956 als hoch angesehener Mann und hinterliess zwei Kinder, den 24-jährigen Sohn Cornelius und die 21-jährige Tochter Bettina sowie seine Ehefrau Helene. In ihrer Jugend ­bekannt unter dem Bühnennamen «Bambula», war sie eine der ersten Schülerinnen der berühmten Ausdruckstänzerin Mary Wigman gewesen.

Für den stillen und introvertierten Sohn Cornelius – der umgeben von Kunst aufgewachsen war und später einige Semester Kunstgeschichte studiert, aber nie abgeschlossen hatte – muss der plötzliche Tod des Vaters ein Schock gewesen sein. Er übernahm nun zusammen mit seiner Mutter die Verantwortung für die vom Vater über die Jahrzehnte zusammengetragenen Bilderschätze: Bis in die 1950er-Jahre galt die Kunstsammlung von Hildebrand Gurlitt als eine der bedeutendsten in Deutschland, die Herkunft der Werke interessierte kaum. Hildebrand Gurlitt hatte, wie auch später seine Frau, unmittelbar nach dem Krieg gegenüber den ­Alliierten geltend gemacht, der Grossteil seiner Kunstsammlung sei im Februar 1945 bei der Bombardierung Dresdens vernichtet worden – eine Lüge, wie wir spätestens seit dem «Schwabinger» und dem «Salzburger» Fund 2013 wissen.

In einem Entnazifizierungsverfahren wurde Hildebrand Gurlitt als «unbedenklich» eingestuft; dabei half zweifellos, dass er nie Parteimitglied gewesen war und Freunde wie der Maler Max Beckmann – dem er 1937 kurz vor Beginn der Kampagne der Nazis gegen «entartete Kunst» die letzte Ausstellung in Deutschland ausgerichtet hatte – mit «Unbedenklichkeitserklärungen» zu seinen Gunsten aussagten. Gurlitt machte im Nachkriegsdeutschland rasch wieder Karriere und organisierte als Museumsdirektor in Düsseldorf Ausstellungen zu Chagall oder zu Picasso. 1950 erhielt er fast alle seine von den Alliierten beschlagnahmten Bilder zurück, er setzte sich auch aktiv bei der Restitution von Bildern aus deutschen Museen nach Frankreich ein – Werke notabene, die er einst in seiner Eigenschaft als Kunsthändler im Auftrag des Propagandaministeriums selber erworben hatte.

Ehe der Weg des «Vierteljuden» Hildebrand Gurlitt zum privilegierten Kunsthändler der Nationalsozialisten nachgezeichnet wird, wollen wir hier kurz in die Vergangenheit dieser kunstsinnigen und illustren Familie zurückblenden, die im wilhelminischen Deutschland nationalkonservative Geisteshaltung mit einer Weltoffenheit in geistigen und künstlerischen Dingen zu verbinden wusste.

Der weltfremde, zurückgezogen lebende Cornelius Gurlitt – in vielerlei Hinsicht ein ewiger Sohn, dessen einziger Lebensinhalt wohl darin bestand, die Kunstreichtümer seines Vaters in klandestiner Abgeschiedenheit zu bewahren – stand gleichsam auf den Schultern von drei Generationen von Professoren, Wissenschaftlern und Künstlern, die als herausragende Bildungsbürger in ihren Fachgebieten teils Bedeutendes geleistet hatten.

Des Stammvaters begabte Kinder

Der Urgrossvater Louis Gurlitt – so etwas wie der Stammvater seiner künstlerisch und akademisch wirkenden ­Nachkommen – wurde 1812 als Sohn des Golddraht­ziehers und späteren Fabrikanten August Wilhelm Gurlitt im damals dänischen ­Altona geboren. In seinen Erinnerungen berichtet er von einer Kindheit in ärmlichen Verhältnissen zusammen mit 15 Geschwistern. Der Vater scheint jedoch Wert auf eine solide Ausbildung seiner Kinder gelegt zu haben. Einer der Brüder von Louis, der ausgebildete Uhrmacher Emanuel Gurlitt, wurde später ein populärer, auf plattdeutsch schreibender ­Autor. Er war mit Theodor Storm befreundet und während vieler Jahre Bürgermeister von Husum an der Nordsee.

Louis Gurlitts zeichnerisches Talent wurde früh entdeckt, an der Kopenhagener Kunstakademie erwachte seine Passion für die Landschaftsmalerei. Auf seinen Studienreisen bereiste er zahlreiche europäische Länder, lebte eine Zeitlang in Wien, verbrachte später 14 Jahre als ­Maler am Hof des Herzogs in der thüringischen Residenzstadt Gotha und liess sich schliesslich als gefragter Maler in Berlin nieder. Nachdem seine beiden ersten Ehefrauen jung gestorben waren, heiratete er in dritter Ehe die Schwester der Schriftstellerin Fanny Lewald, die aus ­einer jüdischen Familie stammten.

Von Louis Gurlitts Söhnen machten sich Ludwig als Pädagoge, Fritz als Kunsthändler (der 1883 erstmals in Deutschland französische Impressionisten ausstellte und sich als Förderer von Arnold Böcklin profilierte), Wilhelm als Archäologe und Cornelius als Architekturhistoriker einen Namen. Mit seinem Grossvater teilte Cornelius Gurlitt den Vornamen. Der als Autor von Büchern und wissenschaftlichen Artikeln ungemein produktive Cornelius Gurlitt gilt heute als Begründer der kunsthistorischen Barock­forschung, der sächsischen Denkmalpflege und war während Jahrzehnten Professor an der Technischen Hochschule Dresden. Im Dritten Reich wurde er, der anfangs noch mit Hitler sympathisiert hatte, wegen seiner jüdischen Mutter zum «Halbjuden» erklärt. Als Gurlitt 1938 starb, wurde seinem beruflichen Wirken wegen seiner «semitischen» Herkunft jede offizielle Würdigung verweigert.

Für die Avantgarde-Kunst

«Unser Leben geht – wie gut ist das – nicht mehr seinen geraden Weg. Es geht sogar ein wenig zu sehr um die Ecke, ist voller Zufälle und Aufregungen, leicht bleibt ­einer irgendwo liegen.» Diese Zeilen schrieb Hildebrand Gurlitt mitten in den «Goldenen Zwanzigerjahren» zum Neujahr 1926 in der «Deutschen Allgemeinen Zeitung». Diese Sätze können durchaus auch auf seinen eigenen Lebensweg gemünzt werden. Der 1895 geborene Hildebrand Gurlitt war nach den Nürnberger Rassegesetzen ein «Vierteljude»; gleichwohl wandelte er sich dank seiner Anpassungsfähigkeit vom potenziell Verfolgten des Regimes zu einem mit Privilegien ausgestatteten Kollaborateur. Dieser Weg war nicht unbedingt vorgezeichnet. Hilde­brand Gurlitts Geschichte ist komplexer: Es ist der Weg eines Rebellen, der mutig die Kunst-Avantgarde propagierte, selber unter Druck geriet und schliesslich dank seiner fachlichen Kompetenz zum Profiteur des NS-Kunstraubs wurde.

Im Ersten Weltkrieg wurde Hildebrand Gurlitt mehrfach an der Westfront verwundet. Nach Deutschland zurückgekehrt, studierte er Kunstgeschichte und arbeitete nach seiner Promotion als Kunstkritiker für namhafte Tageszeitungen. Der Selbstmord seiner 29-jährigen Schwester Cornelia 1919, einer hochbegabten Malerin expressionistischer Stilrichtung, warf ihn eine Zeitlang aus der Bahn. Sein Bruder Willibald war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Musikwissenschaftler für zwei Jahre an der Universität Bern tätig; es ist anzunehmen, dass der junge Cornelius seinen Onkel in Bern besuchte und so auch das Kunst­museum Bern kennen lernte.

1925 bot sich dem 30-jährige Hildebrand Gurlitt eine Chance, die er beherzt ergriff: Er wurde Direktor des König-Albert-Museums in Zwickau und brachte gegen die Widerstände örtlicher Honoratioren die Kunst-Avantgarde von Barlach über Kokoschka, Pechstein, Nolde bis zu Paul Klee in die sächsische Provinz. 1930 musste er jedoch zurücktreten, der Druck wurde zu gross. Eine lokale Nazi-Grösse diffamierte ihn als «Kämpfer für den Krikel-­Krakel-Klee» und den «Schmierer Nolde». Faktisch war Hildebrand Gurlitt der erste Museumsdirektor Deutschlands, der wegen seiner Förderung der Kunstavantgarde seine Stelle verlor.

Im Einsatz fürs «Führermuseum»

Gurlitt liess sich als Kunsthändler in Hamburg nieder, wo sein Sohn Cornelius Kindheit und Jugend im Zeichen des Haken­kreuzes verbrachte. Als Händler blieb er auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten der künstlerischen Moderne treu; es gab dafür auch im Dritten Reich eine lukrative Nachfrage. Als die Nazis 1937 den Kulturterror gegen die «entartete Kunst» lostraten, gehörte Hildebrand Gurlitt zu den Profiteuren. Gemeinsam mit seinem Cousin Wolfgang (1888–1965), Sohn des Galeristen Fritz Gurlitt, und zwei weiteren Händlern erhielt er die Erlaubnis, sich aus dem Konvolut der verfemten Kunst zu bedienen, um die Bilder gegen Devisen ins Ausland zu verkaufen.

Hildebrand Gurlitt, als Kunstvermittler und -händler lange eine Lichtgestalt der Avantgarde, geriet Schritt für Schritt ins Zwielicht. Er rettete zwar auch «entartete Kunst» – für sich kaufte er vor allem Grafiken, weniger Gemälde, und widersetzte sich den Weisungen des Propagandaministeriums, nur ins Ausland zu verkaufen. Zu seinen Abnehmern in Deutschland gehörten der Unternehmer Reemtsma in Hamburg und das Sammlerehepaar Sprengler in Hannover.

Über den Direktor der Dresdner Sammlungen, Hermann Voss, kam Gurlitt 1942 zu einem weiteren Auftrag; er wurde für den «Sonderauftrag Linz» ausgewählt und sollte als «Chefeinkäufer» ­Exponate für das geplante Führermuseum beschaffen. Der «Pakt mit dem Teufel» war endgültig besiegelt: Er kaufte im Rahmen des grössten organisierten Kunstraubs aller Zeiten in Frankreich, Belgien und ­Holland ein, wurde wohlhabend und vergrösserte seine privaten Bestände

Die Kunstsammlung von Cousin Wolfgang Gurlitt, der während des Dritten Reiches ebenfalls «entartete Kunst» für sich gesammelt hatte, bildete später den Grundstein der Neuen Galerie der Stadt Linz. In der oberösterreichischen Stadt stellt man sich seit dem Schwabinger Fund auf den Standpunkt, dass es keine Beziehung zwischen den Aktivitäten von Hildebrand und denen seines Cousins Wolfgang gegeben habe. Und so lebte Cornelius Gurlitt während Jahrzehnten mit seinem im Geheimen gehüteten Bilderschatz, der von der Kunstleidenschaft seiner Familie ebenso zeugt wie von den Leiden derer, denen Kunstwerke gestohlen und abgepresst wurden.

Literatur: Vanessa-Maria Voigt: Kunsthändler und Sammler der Moderne im Nationalsozialismus, Verlag Reimer 2007.

http://www.derbund.ch/kultur/diverses/Eine-ziemlich-illustre-Sippe/story/31516752
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