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Bern ist für Gurlitt ein Segen - Bern is a blessing for Gurlitt

1998
1970
1945
Die Welt 26 November 2014

Von Hans-Joachim Müller

 Die Stiftung Kunstmuseum Bern hat sich entschieden, wie mit der angeblichen Millionen-Kunst umgegangen wird. Die problematischen Kunstwerke bleiben in Deutschland. Wer profitiert vom Gurlitt-Vertrag?

Im Kunstmuseum Bern ist man überaus behutsam und auf gut helvetische Art spektakelscheu mit der Kunst umgegangen Foto: dpa

Es hat lange gedauert, und es war gut so, dass es lange gedauert hat. Die Vereinbarung, die der Bund, das Land Bayern und die Stiftung Kunstmuseum Bern in der Causa Gurlitt getroffen haben, ist ein respektables Vertragswerk geworden, das im Ton und in der Sache ein ungewohntes Verantwortungsbewusstsein dokumentiert. Wer die taktischen Verzögerungen, rhetorischen Peinlichkeiten und juristischen Winkelzüge zum Maßstab nimmt, die seit Jahrzehnten das Thema Raubkunst begleiten, der begegnet hier einem Bewusstsein für die moralische Verpflichtung aus dem Sammlungserbe, wie man es kaum erwartet hätte.

Dass der alte Mann, der sich ein eremitisches Leben lang in seinem Bilder-Hort verkrochen hatte, seinen fragwürdigen Schatz dem Berner Kunstmuseum vermacht hat, erweist sich nachgerade als Segen. Denn dort ist man überaus behutsam, eher skeptisch und auf gut helvetische Art spektakelscheu mit der angeblichen Millionen-Kunst umgegangen. Andere Häuser wären in Jubel über den unverhofften Sammlungszuwachs ausgebrochen, in Bern zog man die Stirn in Falten und ging in Klausur.

Es ist ein bisschen billig, wenn man dem Schweizer Museum nun vorhält, es habe vornehm alles Folgemanagement an die deutsche Seite übertragen. Der Nutznießer ist keineswegs Bern allein, das unter Ausschluss aller Problembilder vielleicht einmal einen Courbet und ein paar Blätter expressionistische Grafik mehr in seiner Sammlung haben wird.

Mit guten Gründen und kluger Diplomatie haben die Anwälte der Museumsstiftung die deutschen Partner dazu gebracht, den Hauptanteil der moralischen und materiellen Folgekosten zu übernehmen

Gewinner sind vielmehr die paar bekannten und zahllosen unbekannten Anspruchsberechtigten, denen der Gurlitt-Vertrag eine reelle Chance auf Wiedergewinnung ihres Kunstbesitzes verspricht. Kaum je zuvor ist mit solcher Entschlossenheit und Deutlichkeit festgelegt worden, wie man die bis heute unüberschaubare Zahl von Raubkunst-Bildern aus der Sammlung veröffentlichen und nach Klärung ihrer Provenienz auch umständelos restituieren will.

Das taugt fürwahr zum Modell und ist mit Sicherheit nicht einem plötzlichen Gesittungswandel im museumspolitischen Diskurs in Deutschland zu danken. Die Berner Handschrift ist unübersehbar. Mit guten Gründen und kluger Diplomatie haben die Anwälte der Museumsstiftung die deutschen Partner dazu gebracht, den Hauptanteil der moralischen und materiellen Folgekosten zu übernehmen.

Das verkennt keineswegs, dass der Vertrag nicht zuletzt daran zu messen sein wird, welche Mittel künftig der noch immer auf argwöhnisch machende Weise unterbesetzten Task-Force zufließen werden. Auch wird man zu sehen haben, wie viel die Berner Zusicherung wert ist, sich an der Forschung beteiligen zu wollen. Die Schweiz hat lange gezögert, ihre eigene Verstrickung in den Raubkunsthandel der Nazis kritisch aufzuarbeiten. Kein ungeprüftes Gurlitt-Bild soll eidgenössischen Boden berühren, so hieß es bei der Vertragsunterzeichnung. Das sind auch im Voralpenland neue Töne.

So gesehen ist der Vertrag nicht das Ende einer zwischenstaatlichen Testamentsvollstreckung, sondern erst ein Anfang. Und der Geist, in dem die Bereitschaft zur Unrechtsklärung und Wiedergutmachung gemeinsam bekundet wird, scheint durchaus geeignet, auch andere Dunkelsammlungen ans Licht zu bringen und säumige Museumsleute zu Überstunden in ihren gehüteten Bilderverstecken zu animieren.

http://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article134757071/Bern-ist-fuer-Gurlitt-ein-Segen.html
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