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Provenienzforschung im Gewerbemuseum - Provenance Research at the Museum for Applied Arts

1998
1970
1945
Deutschlandfunk 11 September 2014
By Silke Reuther 

Einen Schwerpunkt der Provenienzforschung bilden nach wie vor Kunstgegenstände, die während oder nach der Zeit des Nationalsozialismus erworben wurden. Sie stammen häufig aus jüdischem Besitz, der annektiert wurde. Silke Reuther, Provenienzforscherin am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, spricht über die Ausstellung "Raubkunst?".


Die meisten Museen überprüfen ihre Bestände, die zwischen 1933 und 1945 erworbenen Kunstwerke auf ihre Herkunft.

An Interview with Karin Fischer

Karin Fischer: Auch Dinge haben eine Biografie. Das stellen vor allem die Provenienzforscher fest, die das Vor-Leben ihrer Schätze bei anderen Besitzern und in anderen Sammlungen nachvollziehen wollen. Einen Schwerpunkt ihrer Forschung bilden nach wie vor Kunstgegenstände, die während oder nach der Zeit des Nationalsozialismus erworben wurden. Sie stammen häufig aus jüdischem Besitz, der annektiert wurde, oder den die ins Exil flüchtenden jüdischen Familien billig verkaufen mussten.

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe arbeitet jetzt in einer Ausstellung diese Ankaufsgeschichte während der NS-Zeit auf und erzählt dabei die "Biografien" solcher Dinge. Silke Reuther, die Kuratorin der Ausstellung, erzählt zunächst die Biografie einer bekannten Hamburger Persönlichkeit.

Silke Reuther: Ja. Eine der prominentesten Biografien in unserer Ausstellung ist natürlich die der Emma Budge. Emma Budge und ihr Mann Henry stammten aus Frankfurt, sind in den USA dann sehr vermögend geworden und haben sich entschieden, um 1900 Hamburg zu ihrem Altersruhesitz zu machen, haben dort eine große Villa an der Außenalster erworben, und vor allem Emma Budge hat in dieser Zeitspanne angefangen, Kunst zu sammeln, Kunstgewerbe zu sammeln, muss man korrekterweise sagen, und sie hat von Anbeginn den Kontakt zum Museum für Kunst und Gewerbe gesucht. Sie hat sehr viel an Kunst geschenkt über die ganze Zeitspanne hinweg. Sie hat sogar das Museum für Kunst und Gewerbe als Universalerben von Sammlung und Haus vorgesehen mit der Idee, dass daraus ein Museum wird in Personalunion mit dem MKG. Dann gab es 1933 den Einschnitt, die Machtergreifung der Nationalsozialisten und sehr schnell auch eine Verfolgung von Nichten und Neffen von Emma Budge, und das war für sie, glaube ich, der Anlass, dieses Testament zu widerrufen. Sie hat ihr gesamtes Vermögen der Familie vermacht, den Freunden vermacht. Dem ist dann aber nur eingeschränkt entsprochen worden. Die Kunstsammlung ist verauktioniert worden in Auktionen, von denen man heute sagen kann, dass sie eigentlich auch der Verschleuderung entsprechen, und dort hat das Museum für Kunst und Gewerbe gekauft. Dafür ist dann 2002 schon eine Wiedergutmachung geleistet worden.

Fischer: Wenn Sie sagen, Frau Reuther, Emma Budge ist eine zentrale Figur Ihrer Ausstellung, was alles zeigen Sie und wie arbeiten Sie diese ja doch etwas mühselige und puzzelige Recherchearbeit auf?

Reuther: Wir haben in unserem Eingangsbereich zwei große Foyer-Vitrinen. Da sind einzelne Objekte ausgestellt mit einer sehr fokussierenden Beschilderung, wo nur auf die Provenienz hingewiesen wird. Wir haben in die Ausstellungsvitrinen integriert auch die Auktionskataloge, Forschungsmaterialien. Da kann man in diesem Fall an den Annotationen sehen, dass das Museum für Kunst und Gewerbe 1937 auf dieser Auktion gekauft hat.

Fischer: Von welchen Gegenständen sprechen wir konkret?

Reuther: Das sind ein Nautilus-Pokal, ein Trinkspiel und es ist dann noch über eine weitere Privatsammlung 1972 ein Puppenhaus in Museumsbestand übergegangen, das auf der Auktion 1937 unverkauft geblieben ist und dann sich der Weg erst mal durch den Kunsthandel offensichtlich verloren hat, bis es dann hier in Hamburg wieder aufgetaucht ist.

Fischer: Sie sind das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe und landläufig denkt man ja, dass ein Porzellanteller weniger aufsehenerregend sein könnte als ein Rembrandt oder andere große Kunst. Wie beurteilen Sie selbst die Ergebnisse dieser Arbeit? Ist das eher mühselige Sisyphos-Arbeit, weil die möglichen Erben der jüdischen Besitzer sich um das Silberbesteck vielleicht selber auch nicht mehr kümmern, oder gibt es für beide Seiten befriedigende Ergebnisse?

Reuther: Es sind in den Recherchen, finde ich, sehr viele spannende Geschichten, die im Vordergrund stehen und wo vor allem auch sehr schnell klar wird, es gibt überhaupt keinen Handlungsbedarf, weil die Sammlungen beispielsweise nicht verfolgungsbedingt aufgelöst wurden. Es gibt natürlich dann die große Frage auch des Silbers aus ehemals jüdischem Besitz, die 1960 per Zuweisung, Staatszuweisung dann in den Museumsbestand übergegangen sind, wo 1958 mit der Jewish Trust Conference zwar eine Ausgleichszahlung vereinbart worden ist, aber natürlich vor dem Hintergrund des Washingtoner Abkommens diese Rechtmäßigkeit nicht mehr standhält und wo wir auch heute feststellen, es sind Unmengen von Silber. Ich habe sie nicht gezählt; die Auflistung umfasst 58 Seiten. Das ist etwas, was nicht nur das MKG betrifft, sondern auch andere Häuser, und wo wir auch gerne möchten, dass wir uns einfach mal intensiver mit diesem Silber beschäftigen, um da vielleicht noch mal Möglichkeiten auszuschöpfen, die dann Rückgaben machbar werden lassen.

Fischer: Silke Reuther, Provenienzforscherin am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, über die Ausstellung "Raubkunst?". Das Fragezeichen im Titel steht auch für die nicht abgeschlossene Suche in den eigenen Beständen, die jetzt in der Dauerausstellung des Hauses mit kenntlich gemacht wird.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

 

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