News:

Kämpfe, Konsolidierung und die Beschränkung des Blicks - Struggles, Consolidation and Limitation of Vision

1998
1970
1945
Neue Zürcher Zeitung 9 August 2014
Von Caroline Kesser


Max Liebermanns Werke gehörten, auch dank geschickt inszenierten Ausstellungen, zu den Verkaufsschlagern im Kunstsalon von Paul Cassirer: «Strand in Noordwijk», 1908. Öl auf Holz.

Zwei Jahre nach den beiden Prachtsbänden, die den Anfängen des Kunstsalons Cassirer gelten, haben Bernhard Echte und Walter Feilchenfeldt einen zweiten Doppelband mit der Fortsetzung vorgelegt und damit ein weiteres Kapitel deutscher Kulturgeschichte aufgerollt.

Paul Cassirer (1871–1926) dürfte der einflussreichste deutsche Kunsthändler aller Zeiten gewesen sein. Zusammen mit dem Maler Max Liebermann, dem Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe, dem Direktor der Nationalgalerie Hugo von Tschudi und anderen Gleichgesinnten setzte er im Lauf weniger Jahre den Impressionismus, van Gogh und Cézanne in Deutschland durch. Die Geschichte seines Berliner Kunstsalons ist eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte und spiegelt die Entwicklung der Kunst dieser Zeit mit all ihren Widersprüchen und Grabenkämpfen. Wie bereits in den ersten zwei Bänden, die die Jahre 1898 bis 1905 umfassen, lassen Bernhard Echte und Walter Feilchenfeldt in den neusten zwei, die Cassirers Tätigkeit von 1905 bis 1910 gewidmet sind, die meist hochkarätigen Ausstellungen durch eine weitgehende Rekonstruktion des Gezeigten und die Wiedergabe des breiten und kontroversen Presse-Echos lebendig werden. Wertvolle Informationen liefern auch die kommentierenden Texte.

Zeit der Konsolidierung

Die Jahre 1905 bis 1910 sind für den bestvernetzten Cassirer eine Zeit der Konsolidierung und zeigen schon die Grenzen seines Interessengebiets auf. Kämpfe prägen aber auch diese Periode. Ein immer wieder aufflammender Streit dreht sich um Wert und Wesen der deutschen Kunst. Wer wie Cassirer – und mit ihm sämtliche Vertreter der Moderne – der französischen Kunst zugeneigt war, sah sich leicht als Landesverräter gebrandmarkt. Die pikanterweise von den beiden Franzosenfreunden Meier-Graefe und Hugo von Tschudi verantwortete «Jahrhundertausstellung deutscher Kunst» im Jahr 1906 besänftigte die traditionalistischen Patrioten von Kaisers Gnaden nur vorübergehend. Zwei Jahre nachdem von Tschudi aufgrund seiner Verdienste zum Geheimen Regierungsrat ernannt worden war, gelang es seinen Widersachern, ihn durch absurde Vorwürfe aus Berlin zu vertreiben.

Sekretär Robert Walser

Indessen war der Kunstsalon Cassirer so berühmt, dass er keine Werbung mehr zu machen brauchte. Jeder wollte sich da sehen lassen. Robert Walser, der seine Romane im Verlag von Bruno Cassirer veröffentlichte, war im Frühjahr 1907 einige Wochen lang Sekretär von Paul Cassirer und hat seine Erfahrungen an diesem Posten unter dem Titel «Der Sekretär» für diese Zeitung literarisch verarbeitet. Herrlich, wie er die Klientel dieses Hauses beschreibt: «Personen jeglichen Charakters, allerlei Ranges und Standes drangen mehr oder weniger heftig ins Ministerium, will sagen Hauptquartier hinein: Spitzen der Gesellschaft, elegante Agenten, armes Wandervolk, gerissene Zigeuner, wilde Dichter, beängstigend vornehme Damen, mürrische Fürsten, bildhübsche jugendliche Offiziere, Schriftsteller, Schauspielerinnen, Bildhauer, Diplomaten, Politiker, Kritiker, Publizisten, Theaterdirektoren, Virtuosen, gefeierte Gelehrte, Verleger und Finanzgenies. Ein und aus ging Längstobenangekommenes wie Untenherumtastendes und Hochemporstrebendes; hellstrahlende und glänzende wie düstere und beklemmende Existenzen.» (NZZ, Nr. 1970, 21. Oktober 1917)

Robert Walser war seinem Bruder nachgereist, dem erfolgreichen Maler und Illustrator Karl Walser, der Mitglied der Berliner Secession und ein Schützling von Cassirer war. Bruder Karl stellte mehrmals bei diesem aus und verdankte ihm auch seine Japan-Reise im Jahr 1908.

Triumph

Cassirer stellte seine Favoriten kontinuierlich und in immer wieder neuen Facetten vor. Er war der Erste, der Cézannes Aquarellen eine Ausstellung widmete, und zeigte als Erster ein grosses Konvolut von Zeichnungen van Goghs. Dass er bei van Goghs Schwägerin Johanna auf so viel Entgegenkommen stiess und dabei Museumsleute auf den zweiten Platz verwies, lag an seinem unvergleichlichen, von Seriosität und Finanzkraft gestützten Engagement. Cassirer triumphierte auch mit seinem Liebling Manet. 1906 konnte er die Manet- und Monet-Sammlung des Pariser Opernsängers Jean-Baptiste Faure, der zu Modernerem wechselte, übernehmen, vier Jahre später gelang ihm durch die Bildung eines Konsortiums (mit den Pariser Kunsthändlern Bernheim-Jeune und Durand-Ruel) die Übernahme von rund vierzig Manets aus der Sammlung von Auguste Pellerin, darunter so bedeutende wie «Nana» oder «Die Bar in den Folies Bergères». Mit einem Umsatz von einer Million Mark war die Ausstellung dieser Bilder ein Riesenerfolg.

Im Kunstsalon Cassirer waren längst nicht alle Ausstellungen supermodern und nur wenige monografisch. In einem geschickten Mix zeigte er meist mehrere Künstler zusammen und placierte dazwischen gerne ältere Meister wie Delacroix, Goya oder den noch unbekannten El Greco. Am besten verkauften sich natürlich die deutschen Zeitgenossen, zuallererst Max Liebermann, dann Walter Leistikow, Max Slevogt und Lovis Corinth.

So passte auch Ferdinand Hodler in Cassirers Programm. 1907 kam der Schweizer, ein altes auswärtiges Mitglied der Berliner Secession, mit einer grösseren, vorwiegend seinem früheren realistischen Werk gewidmeten Schau zum Zug. Die fortschrittliche Presse reagierte mehrheitlich positiv auf diesen noch unbekannten Hodler. So bewunderte Max Osborn in der «Kunstchronik», «wie Hodler in den realistischen Motiven früher Jahre schon die malerischen Gedanken vorklingen lässt, die später seine monumentalen Entdeckerfahrten leiteten», und erklärte «Die Enttäuschten» gar «zum Hoffnungsvollsten, was die europäische Malerei heute zuwege bringt».

Im Generationenkonflikt

Paul Cassirer war so klug, seine Skepsis gegenüber den jungen Expressionisten, die in die Kunstszene drängten, so gut wie möglich zu verbergen, und gab einem Max Beckmann und Oskar Kokoschka grosszügig Gastrecht. Dass er sich nicht mehr auf Neues einlassen wollte, zeigte sich schon bei Matisse, den er zwar einmal gross ausstellte, aber für einen «akademischen Eklektiker» hielt. Von den Jungen herausgefordert wurde Paul Cassirer auch als Geschäftsführer der Secession. Vorwürfe, dass er die von seinem Spezi Max Liebermann präsidierte Künstlergruppe wie eine Filiale seines Kunsthandels manipulierte, hatte er schon früher gehört.

Nun warfen ihm die Jungen «Allüren eines Caesars» vor und schritten zur Gründung der «Neuen Secession». Während der Kunsthistoriker und -kritiker Curt Glaser voraussagte, dass der Impressionismus schon bald «die Kunst von gestern» sein werde, sah Paul Cassirer für die junge Generation nur schwarz: «Die Malerei, die die Jungen heute treiben, wird in kurzer Zeit üppig aufschiessen, um dann zu Grunde zu gehen.» Das hinderte ihn nicht daran, den jüngeren Kollegen Alfred Flechtheim bei seiner Bemühung um ebendiese Jungen zu unterstützen.

Bernhard Echte, Walter Feilchenfeldt: «Den Sinnen ein magischer Rausch» / «Ganz eigenartige neue Werte». Kunstsalon Cassirer. Die Ausstellungen 1905 bis 1910, 2 Bde., Nimbus-Verlag, Wädenswil 2013, 148 Franken.


http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/kaempfe-konsolidierung-und-die-beschraenkung-des-blicks-1.18359122
© website copyright Central Registry 2024