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Geschenk in Verpackung - A Wrapped Gift

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Neue Zürcher Zeitung 7 May 2014
Von Samuel Herzog

Bern soll von Gurlitt erben

Selten hat so wenig Kunst für so viel Aufregung gesorgt. Als der «Fall Gurlitt» im letzten Herbst an die Öffentlichkeit gezerrt wurde, glaubte man tatsächlich ein paar kühne Momente lang, nun würden kapitale Werke wieder auftauchen, die man seit dem Zweiten Weltkrieg vermisst. Das war, als führen die Panzer der Kriegsgeschichte, deren Ketten ungeahnte Kunstschätze aus der Welt gerissen haben, für kurze Zeit rückwärts durchs Gelände.

Allmählich nur kam ans Licht, was die Behörden in einer aufsehenerregenden Aktion beschlagnahmt hatten. Die Gemüter beruhigten sich. Zwar enthielt die Kollektion durchaus respektable Werke vorrangig der klassischen Moderne, grosse Lücken in der Kunstgeschichte aber würden damit keine geschlossen. Ausserdem wurde bald einmal klar, dass die Behörden einen Teil des «Schatzes» an Gurlitt würden zurückgeben müssen, der offenbar doch einiges rechtmässig besass.

Dann aber tauchten plötzlich Bilder in einem Salzburger Haus von Gurlitt auf – und noch einmal entfaltete das schwarze Loch seinen vollen Sog. War es möglich, dass der eigentliche Schatz in dieser abgewrackten Hütte steckte? Bis heute ist nicht ganz klar, was in Salzburg genau gefunden wurde. Die Öffentlichkeit schien sich allerdings auch nicht sonderlich für solche Details zu interessieren – Hauptsache, der Gurlitt-Krimi sorgte weiter für so etwas wie Gothic-Stimmung in den Medien. Die Vorstellung, dass in irgendeinem Keller die «Schöne Gärtnerin» (1924) von Max Ernst auf einen behördlichen Ritter mit Kussmund warten könnte, war einfach zu schön, um nicht wenigstens ein bisschen möglich zu sein.

Am Dienstagmorgen dieser Woche ist Gurlitt in seiner Münchner Wohnung gestorben. Und am Mittwoch wurde bekannt, dass er seine Sammlung per Testament dem Kunstmuseum Bern vermacht hat. Ein Coup, der auch für die Direktion des Berner Hauses völlig überraschend kam. In seiner Not liess der Direktor diplomatisch verlauten, dass man in Bern noch nicht wisse, wie man auf dieses Vermächtnis zu reagieren gedenke – ja er liess auch offen, ob Bern das Geschenk überhaupt annehmen werde. Solche Vorsicht ist mehr als verständlich angesichts der Verpackung aus rechtlichen und ethischen Fragen, die jedes Werk dieser Sammlung dicht umhüllt. Kann sich ein Haus überhaupt mit Werken aus der Gurlitt-Sammlung schmücken? Kann es sich Bern leisten, den sicher weiterhin schwierigen Umgang mit diesem Erbe zu pflegen? Und vor allem: Ist die Kunst, die den Weg nach Bern auch wirklich schafft, diesen Aufwand überhaupt wert? Solange man nicht genauer weiss, was unter dem Geschenkpapier zum Vorschein kommen wird, ist auf jeden Fall Zurückhaltung angebracht – denn die Depots sind auch an der Aare bereits übervoll.

 

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