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Arte-Doku über Cornelius Gurlitt Gut gefragt und nicht geantwortet - No answers to the questions of Cornelius Gurlitt

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Frankfurter Allgemeine Zeitung 20 March 2014
Von Julia Voss

In einer Dokumentation über Cornelius Gurlitt, den Erben der umstrittenen Münchner Bildersammlung, soll es um große Erkenntnisse und die Lösung einiger Rätsel gehen. Der Film verspricht zu viel.

 
© ARTE/ Roman Babirad Vergrößern Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt: Im Film sagt sein Betreuer, dass sich der 81-Jährige die Klärung der Provenienzen wünsche

Wer die Ankündigung zur Dokumentation „Der seltsame Herr Gurlitt“ liest, hat sofort das Gefühl: „Den Film will ich sehen!“ Warum? Zum einen, weil in den Köpfen der meisten Beobachter die Daten, Hintergründe und Kommentare zum sogenannten „Schwabinger Kunstfund“ in einen wilden, verwirrenden Strudel geraten sind. Fünf Monate fast permanenter Berichterstattung bleiben nicht folgenlos. Zum anderen, weil die Dokumentation mehr verspricht, als nur die wesentlichen Abläufe zu klären.  

Es werde, so heißt es, „eine Geschichte erzählt, die die Grenzen von Recht und Moral aufzeigt“. Dabei geht es um beide Gurlitts: den Sohn Cornelius, in dessen Wohnung in München im Februar 2012 etwa 1280 Bilder beschlagnahmt wurden - und den Vater, Hildebrand Gurlitt, der im Nationalsozialismus zu einem der erfolgreichsten Kunsthändler aufgestiegen war. Bei beiden Biographien steht bis heute der Verdacht im Raum, sie könnten gutgehütete Geheimnisse haben.

Und der Sender Arte verspricht nun, den Finger in die Wunde zu legen: War Hildebrand Gurlitt für jüdische Sammler „die letzte Hoffnung, an Geld zu kommen, oder bereicherte er sich an ihrer Not“? Oder, ebenfalls aus der Ankündigung: „Wusste der Erbe von der Herkunft der Bilder?“

Das alles würde man doch wirklich gern wissen. Für die Antworten interessieren sich im Übrigen auch brennend Staats- und Rechtsanwälte, weil sie erhebliche juristische Folgen hätten. Die Dokumentation von Maurice Philip Remy aber beantwortet sie nicht. Muss man das dem Film vorwerfen?

Ohne Gegenstimmen und Kontroversen

Auf den ersten Blick scheint es natürlich nicht verwerflich, dass eine Dokumentation keine Wunder vollbringt, also nicht mit Schwung sämtliche Geheimfächer knackt, um die schon viele Historiker und Juristen erfolglos herumgeschlichen sind. Andererseits hat man als Zuschauer auch nicht den Eindruck, dass man allzu große Mühen auf sich genommen hat, um Licht in die Sache zu bringen. Im Fall Gurlitt, muss man wissen, gibt es zu vielen Fragen Kontroversen.

Die aber kommen im Film gar nicht vor. Es meldet sich meistens jeweils nur eine Seite zu Wort. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft etwa wurde in den letzten Monaten vielfach kritisiert. Im Film berichtet nur Staatsanwalt Reinhard Nemetz, wie prima die Beschlagnahme und die Ermittlungen gelaufen sind.

Acht Werke aus dem spektakulären Münchner Kunstfund - Bei Cornelius Gurlitt wurden im Februar 2012 etwa 1280 Bilder beschlagnahmt. © dpa Vergrößern Acht Werke aus dem spektakulären Münchner Kunstfund - Bei Cornelius Gurlitt wurden im Februar 2012 etwa 1280 Bilder beschlagnahmt.

Hildebrand Gurlitts Rolle als Chefeinkäufer für Hitlers Museumsprojekt in Linz ist gut dokumentiert. Im Film schwärmt die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann, die nach der Entdeckung der Bilder in München mit der Betreuung und Erforschung der Sammlung beauftragt worden war, aber vor allem von Hildebrand Gurlitts Engagement für die Moderne Kunst. Um kein Missverständnis zu erzeugen: Sowohl der Staatsanwalt als auch die Kunsthistorikerin haben gute sachliche Gründe zu vertreten, was sie vertreten. Warum aber lässt der Film keine Gegenstimme zu? Die hohen Summen, die Hildebrand Gurlitt in der NS-Zeit verdiente, interpretiert der Film eigenwillig mit einer Suggestivfrage: „Profit als Rache am Regime?“

Nach den sogenannten „Nürnberger Rassegesetzen“ galt Gurlitt senior als „Mischling zweiten Grades“; er hatte eine jüdische Großmutter. Eine Laufbahn als Museumsbeamter sei damit ausgeschlossen gewesen. Seine Dienste als Kunsthändler schätzten die Machthaber allerdings. Den angeblichen „Rachefeldzug“ hätte Hildebrand Gurlitt aber natürlich in der Nachkriegszeit aufgeben können, was er bekanntlich nicht tat.

Kurzum: Man hat den Eindruck, wenn man den Film sieht, hier sollen vor allem Wogen geglättet werden. Die Kontroversen sind rundgeschliffen, keine Ecken, keine Kanten. Zum Schluss kommt der Betreuer Cornelius Gurlitts zu Wort, der im Dezember bestellt wurde. Er habe den Eindruck, dass es Gurlitts „innerste Überzeugung ist, dass das geregelt werden muss“. Gemeint sind die strittigen Werke der Sammlung, bei denen es sich um NS-Raubkunst handelt. Hier wolle man sich mit den Erben einigen. Darauf ist zu hoffen.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/keine-antwort-arte-doku-ueber-gurlitts-sammlung-12852734.html
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