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Der Fall Gurlitt: "Unzuverlässig, willkürlich, unberechenbar, hoffnungslos" - The Gurlitt Case: "Unreliable, arbitrary, unpredictable, hopeless"

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1970
1945
Rhein-Neckar Zeitung 28 January 2014
 

Die Tagung "Ersessene Kunst - Der Fall Gurlitt" fand in der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg statt. Es ging um die Restitutionspraxis von Raubkunst.

 

Tagungsteilnehmer in der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg waren (v.l.) Rektor Johannes Heil, Lucas Elmenhorst, Ingeborg Berggreen-Merkel, Felicitas Heimann-Jelinek, Susanne Kaufmann, Willi Kotte und Frieder Hepp. Foto: Friederike Hentschel
Tagungsteilnehmer in der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg waren (v.l.) Rektor Johannes Heil, Lucas Elmenhorst, Ingeborg Berggreen-Merkel, Felicitas Heimann-Jelinek, Susanne Kaufmann, Willi Kotte und Frieder Hepp. Foto: Friederike Hentschel

Von Matthias Roth

Im Notfall, wenn keine Einsicht zu erwarten sei, schicke er die Zollfahndung los, so der Jurist, Historiker und Provenienzforscher Willi Korte (Washington), und "die holt dann das Bild bei den Leuten von der Wand". Da war man doch erstaunt bei der Schlussdiskussion der Tagung "Ersessene Kunst - Der Fall Gurlitt" in der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, wo man sich mit den Folgen des Münchner Kunstfundes befasste, der im November 2013 international für Aufsehen gesorgt hatte.

Ein knappes Dutzend Experten hatte zuvor die Problemfelder "Raubkunst" und "Restitution" aus unterschiedlichen Perspektiven in Vorträgen beleuchtet. In der Schlussrunde trafen sechs weitere Koryphäen aufeinander, die die bisherige Praxis und mögliche, durch den Fall Gurlitt angestoßene Neuerungen diskutierten.

Er arbeite auch mit dem FBI zusammen, so Korte, um ein zweifelsfrei aus ehemals jüdischem Besitz stammendes Kunstwerk zu restituieren, denn in den USA gilt der Grundsatz, "dass gestohlenes Gut nicht Eigentum werden kann". Darin unterscheide sich das deutsche Verfahren bei der Rückgabe von "Raubkunst" an die eigentlichen Besitzer oder deren Rechtsnachfolger, denn hier gelte "Enteignung nicht als Diebstahl".

Auf die Frage, wie er die derzeitige Restitutionspraxis in Deutschland bewerte, hatte Korte eine klare Antwort: "Unzuverlässig, willkürlich, unberechenbar" - ganz gleich, ob es sich dabei um die Rückgabe von Kunstobjekten aus öffentlichen oder privaten Sammlungen handele. Die juristische Handhabe bei in Privatbesitz befindlichen Werken sei seiner Meinung nach selbst bei eindeutigen Fällen von Raubkunst "hoffnungslos".

Eloquent widersprach Ingeborg Berg-green-Merkel (Berliner "Taskforce Schwabinger Kunstfund") dieser pessimistischen Einschätzung aus US-amerikanischer Sicht. Das Eigentumsrecht und der Persönlichkeitsschutz würden in Deutschland doch höher bewertet als in den USA. Außerdem gelte bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung, und es sei überaus schwierig, jemandem zum Zeitpunkt des Ankaufs "Bösgläubigkeit" nachzuweisen, wenn er darauf bestehe, gutgläubig gehandelt zu haben.

So könne Cornelius Gurlitt, den sie besuchte und etwa eine Stunde sprach, rund 300 Arbeiten seiner Sammlung eindeutig als sein Eigentum nachweisen, da sie erst nach 1945 erstanden wurden. 45 Werke seien der so genannten "Entarteten Kunst" zuzuweisen, der Rest der rund 1200 Werke - von denen nur etwa 100 Gemälde seien - werde derzeit auf seine Herkunft überprüft. Rund 460 Werke habe die Staatsanwaltschaft Augsburg bereits im Internet veröffentlicht, der die Taskforce mit 13 Experten aus dem In- und Ausland "Amtshilfe" leiste.

Berggreen-Merkel begrüßte die "Lex Gurlitt"-Initiative des bayerischen Ministeriums, über die im Februar abgestimmt werden soll. Allerdings: "In wieweit dieser Weg effektiv ist, wird sich zeigen", so Berggreen-Merkel.

Der Jurist und Kunsthistoriker Lucas Elmenhorst (Berlin) fürchtet allerdings schon heute, dass dieser "zahnlose Tiger" spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern wird, da der Nachweis einer "Bösgläubigkeit" beim Ankauf eines Kunstwerks kaum erfolgreich zu führen sei. Elmenhorst sieht hier eher einen "problematischen politischen Aktionismus", und er stellte die ketzerische Frage: "Handelt es sich beim ,Fall Gurlitt' überhaupt um eine Straftat (nach deutschem Recht)?" Die Vermutung liege für ihn nahe, dass durch die Diskussion um Privatbesitz und Persönlichkeitsschutz nur abgelenkt werden soll vom eigentlichen "Raubkunst"-Problem der Provenienzforschung in den öffentlichen Museen, für die in Österreich immerhin ein Gesetz als Grundlage dient, so Felicitas Heimann-Jelinek (Wien).

Frieder Hepp, Leiter des Kurpfälzischen Museums Heidelberg, begrüßte demgegenüber, dass die Provenienzforschung mittlerweile doch den Stellenwert habe, den sie brauche. Allerdings wären verbindliche Regeln zum Umgang mit zweifelhafter oder unbekannter Herkunft von Kunstwerken wünschenswert. Im Übrigen gemahnte er, doch bei aller juristischen und wirtschaftlichen Betrachtung des Gegenstands nicht zu vergessen, dass es sich dabei um Kunst handle, die mit menschlichen Schicksalen eng verbunden sei. Die Frage, wie man den Opfern gerecht werden könne, rückte er für einen Moment ins Zentrum der Diskussion und erhielt dafür viel Beifall.

Willi Korte entgegnete diesem Einwand kurz und bündig: "Die Realität sieht leider anders aus!" Denn auf den Hinweis auf ein Kunstwerk aus "liquidiertem jüdischen Besitz" erhalte man in der Regel noch von jedem Museum die gleiche Antwort: "Das kann nicht sein!" Provenienzforschung und Restitution müssten daher gegen große Widerstände kämpfen, auch weil die Museen nicht zur Herausgabe von Akten gezwungen werden können, die ihre eigenen Bestände belasten würden. Er forderte daher, auch im Fall Gurlitt die noch vorhandenen Geschäftsunterlagen zu publizieren, die Klarheit bringen könnten.

Doch das schließt unser Rechtssystem aus, so Berggreen-Merkel, da es sich hier um persönliche Unterlagen handele. So schützt das Privatrecht heute das alte Unrecht gegenüber früheren Besitzern. Gerecht ist das nicht, und auch nicht fair, wie das "Washingtoner Abkommen" fordert, aber die Bundesregierung sei "sich ihrer Verantwortung bewusst".

 

http://www.rnz.de/kulturregional/00_20140128060000_110619914-Der_Fall_Gurlitt_Unzuverlaessig_willkuerlich_u.html
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